laut.de-Kritik
In 50 Jahren bestens gealtert.
Review von Philipp Kause"Everybody's In Showbiz" von The Kinks war meine allererste CD. Es handelte sich seinerzeit um rare Import-Ware, mittlerweile bekommt man die CD und sogar die LP erheblich leichter - und ab jetzt erst recht: Erschienen am 26. August 1972 feiert sie dieser Tage runden Geburtstag. Für den steckt man sie mit ihrem Vorgänger "Muswell Hillbillies" in ein Doppel-Pack, für wohlhabende Extrem-Fans in eine Deluxe-Box.
Mit "Muswell Hillbillies", einem weiteren unterbewerteten Album der '70er, war die Platte immer schon durch gemeinsame Bonus-Live-Tracks verbandelt. Die beiden Rundlinge bauen inhaltlich aufeinander auf. Der Schlüssel-Song "Celluloid Heroes" fristet in der Band-Diskographie ein Mauerblümchen-Dasein, läuft über sechs Minuten lang und ist eine der besten Nummern des frühen Britpop. Diese tief in Keyboards getränkte Ballade mit süßer Melodie wirft einen soziologischen Blick aufs Entertaiment und insbesondere die Filmbranche.
Inhaltlich schildern die Davies-Brüder im "Showbiz"-Album zahlreiche Aspekte des gar nicht so schillernden Lebensstils zwischen Bühnen und Tourbussen in ihrer eigenen Branche, hinter den Rock-Kulissen: Einsamkeit, obwohl man nie wirklich alleine ist, zieht sich in ewiger "Täglich grüßt das Murmeltier"-Monotonie zäh wie Kaugummi ("Here Comes Yet Another Day", "Sitting In My Hotel"). Hotelzimmer wechseln mit Autobahnraststätten ("Motorway").
Versalzenes Behelfs-Fast Food unterwegs ("Hot Potatoes") trifft auf potenziell unendlich viel Konsum, weil der von den Gagen her drin wäre. Wobei man keine Zeit mehr hat, diese "Maximum Consumption" auszukosten. Die Realität verschwindet hinter einer Fassade ("Unreal Reality"). Der Körper möchte am liebsten alles hinschmeißen, der Geist kann nicht genug kriegen vom Rausch der Sonnenseite zwischen all den Promis, zu denen man aufblickt und eigentlich selbst dazugehören will ("Celluloid Heroes", "Look A Little On The Sunny Side").
Die Texte folgen dem allgemeinen Kinks-Credo der möglichst konkreten Szenarien an konkreten Orten, lassen sich aber recht universell deuten. Verzerrte Wahrnehmung, paranoide Angst und die Sorge, (nicht) dazu zu gehören, ziehen eine rote Linie durch mehrere Stories dieses Albums und des Vorgängers, bis weiter zur LP "Misfits", die '78 erscheint.
Die uneingelösten Versprechen des schnellen Konsums und sozialen Aufstiegs schlängeln sich als zweites unterschwelliges Thema ebenfalls durch mehrere Texte. Es gilt als subversives Handschrift-Merkmal in der Kinks-Identität als Prä-Punk-Band, und das waren sie, seit ihren frühen Garage-Riffs in "You Really Got Me" mindestens so sehr wie The Who. Und sie beweisen sich auch auf dem mintgrünen "Showbiz"-Album als stringente Storyteller mit visuell farbkräftigen Momenten. Seit sie mit ihrem Musikvideo zu "Dead End Street" die MTV-Clips vorweg nahmen, hatten sie ohnehin für die Kamera gearbeitet, so kauft man ihnen auch ein Stück über Zelluloid ab.
Unterm Strich gipfelt das Basispaket der zehn "Showbiz"-Tracks im Glauben an die Leinwand als bessere Welt. Dass diese aber etwas lieblich-idyllisch-Utopisches an sich hat, grenzt der Raumfahrt-inspirierte Track "Supersonic Rocket Ship" mit niedlichem Futurismus ab. Markenzeichen der Nummer sind zwei clevere Stilmittel: das von Dave gespielte Banjo-Pizzicato und die Kalt-Abblenden auf die Tusch-Schläge des Beckens, die am Ende des Tracks zwei Mal so klingen, als ob das "Rocket Ship" abhebe und zischend durch die Decke schieße. Im instrumentalen Mittelteil wirkt das Lied, wie so viele hier, als marschiere ein zünftiges bajuwarisches Blasorchester auf, also lange nicht so astronautisch, wie der Text dies vorgibt.
"Celluloid Heroes" führt den Song-Reigen zu einem nachdenklichen Ende. Einzig in diesem Lied fallen Namen, beispielsweise Greta Garbo, Rudolph Valentino und Bette Davis. Mit den Pop-Art-Bildstreifen von Marilyn Monroe auf dem Cover-Artwork prägt schon die äußere Aufmachung einen starken inhaltlichen Eindruck von der Musik.
Das Thema entspricht den filmischen Abgesängen auf die übertriebenen Auswüchse des (post-)modernen schönen Scheins, wie sie zeitgleich in mehr oder weniger expliziten Satiren sogar auf der Leinwand von Jacques Tati, Mel Brooks oder Jerry Lewis feinsinnig zum Ausdruck kamen. Auch der Stand der damaligen Sozialwissenschaften (zum Beispiel "Wir alle spielen Theater" vom Soziologen Erving Goffman) oder die Semantikforschung und Medienkritik etwa von Neil Postman spiegeln sich immer wieder zufällig oder absichtlich im Werk der Kinks.
"Everybody's In Showbiz" ist für diese Strömung im großen Kinks-Repertoire die zentrale Platte, weil sie sich anders als etwa "Village Green Preservation Society" nicht mehr an der Provinzialität der englischen Heimat, sondern an den übersteigerten Wertmaßstäben Hollywoods abarbeitet. Das Scharnier zwischen beiden Räumen sieht Ray darin, dass er im Übergang während "Muswell Hillbillies" manches "von dem alten Wildwest-Geist in meine Musik einbringen" konnte, den er als Kind in den Vororten des ausgebombten Nachkriegs-London empfand. Auf "Everybody's In Showbiz - Everybody's A Star" heißt es dann nicht mehr "We are the Sherlock Holmes English speaking vernacular." Sondern: Die bereits fünf Jahre alte Zeile "God save Donald Duck, Vaudeville and Variety" aus dem "Village Green"-Titelsong bekommt eine eigene Themenplatte zuerkannt.
Entsprechend ertönen viele Sequenzen mit VaudevilleJazz. Das schiefe, beinahe kakophonisch geblasene "Unreal Reality" in seiner absurden Text-Komik und Schunkeligkeit, besteht nur aus dieser Varieté-Musikfarbe.
Als klarster Classic-Rocker arbeitet sich ausgerechnet der einzige Dave-Titel "You Don't My Name" hervor. Dave hatte oft die Funktion inne, die George bei den Beatles ausübte: mit einem Quoten-Song die Stimmung der ganzen Platte zu drehen. Bis heute neigt er zur Amerikanisierung in seinen kantigeren Riff-Songs zu.
Das Manko, das beide LPs aus dieser Übergangs-Phase nicht so recht zu Charts-Krachern oder gar Kritikerlieblingen werden ließ, liegt wohl an ihrer Unstetheit. Sie passt nicht dazu, wie rund eigentlich die Texte aufeinander abgestimmt sind. Einzige Konstante: "Everybody's In Showbiz" verlässt sich breitflächig auf Saxophone als Beitrag, manchmal aufs E-Piano. Die Aufnahmen sind wunderschön. Jedoch, selbst wenn man diese Instrumente liebt, kann der Eindruck entstehen, dass kaum lockere Momente die zementdichten Arrangements atmen lassen.
"Muswell Hillbillies" war gezielt auf eine US-Tournee zugeschnitten worden, dabei fielen im Original etliche europäischer orientierte Tunes hinten runter. Warum tolle Bonus Tracks früherer Editionen wie "Lavender Lane" (eine von Rays stärksten Gesangsleistungen seiner Karriere), das coole "Mountain Woman", das zu Herzen gehende Akustik-Demo "Nobody's Fool", die Ballade "Kentucky Moon" und die längst veröffentlichten Instrumentals mancher Album-Cuts in diesem Re-Release durch den Rost fielen, lässt sich nicht nachvollziehen. Für "Muswell Hillbillies" wurde die Chance verspielt, gerade die charakterstarken Outtakes, die's nicht aufs allzu glatte Album schafften, nachträglich zu ehren und auf Vinyl zur Verfügung zu stellen. Zumindest gibt es mit "Travelling With My Band" sogar einen komplett unveröffentlichten Song.
Eine lange Live-Sektion machte "Everybody's In Showbiz" seit jeher zur Doppel-LP, und erst das CD-Format brachte alles auf einer einzigen Scheibe unter. Das Konzert-Set enthält neben Songs aus dem vorigen "Muswell Hillbillies"-Album den Song "Top Of The Pops" übers Musikbiz und die in England beliebte, gleichnamige TV-Sendung. "Top Of The Pops" entstammte dem "Lola"-Album. Bis zu dieser Platte waren bei den Kinks handelnde Personen wie Walter, Lola, Percy, Arthur, Annabella, Monica, Johnny, Victoria, Susanna usw. üblich, was man in den '70ern erst mal abschafft.
Wesentlich häufiger werden hier nun Songs mit einem Ich-Erzähler und einer geistigen oder sozialen Störung. Der "Acute Schizophrenia Paranoia Blues", das schwarzhumorige "Alcohol", bei dem Ray Davies erzählerisch zu einer Art Peter Ustinov reift, und "Skin And Bone" entstammen der LP "Muswell Hillbillies" und dürfen gerne live gehört werden, zumal der Mitschnitt aus der New Yorker "Carnegie Hall" eine herausragende Klangqualität besitzt.
"Alcohol" über den "alten Dämonen Alkohol" ist ein halbwegs gelalltes, von Bläsern bräsig untermauertes Lied mit schlurfender, wabernder Orgel und einer Spoken Word-Bridge, nahe an Tom Waits im lyrischen und musikalischen Stil. Das Konzert pflegt launige Unterhaltung. Es öffnet stilistisch viele Winkel an den Rändern des Kinks-Kosmos, die man nicht so von der Band kennt und die mit dem Charme der Kleinkunstbühne punkten.
Neben der Standardausführung erscheint in der Wiederveröffentlichung eine Deluxe-Box mit Coloured Vinyl-Scheiben: Drei Mal gelb für "Showbiz" und die Live-Aufnahmen, zwei Mal hellblau für "Hillbillies", plus eine schwarze LP mit von Ray Davies kuratierten Remixes. Ergänzt werden diese insgesamt sechs Vinyls von vier CDs nebst einer BluRay mit einer Viertelstunde Film, den Ray anno '71 drehte, und einem Stadtplan von London mit essenziellen Orten im Leben und den Liedern der Kinks. Eine ganz nette Idee. Am Ende hält man ein schweres Gerät in Händen, hat manchen Song vierfach und gibt ganz viel Geld aus.
In der Live-Sektion wurde jedoch ein weiterer, in der 2016er Sony-Legacy-Edition bereits veröffentlichter Teil des tollen Mitschnitts wieder aussortiert, leider - darunter mit "Sunny Afternoon (Live)". Aber was "Everybody's In Showbiz" betrifft, lässt sich ganz klar sagen: "Happy Birthday zum 50., liebes Lieblingsalbum. Du bist gut gealtert!"
2 Kommentare
Von meiner Wohnung aus kann ich den Pub sehen, in dem das Coverfoto von der Muswell Hillbillies geschossen wurde. Ist allerdings nicht in Muswell Hill, sondern in Archway.
Unschlagbare Alben, insbesonders Muswell Hillbillies. Zu "Celluloid Heroes" sei angemerkt, dass die 2005 BAP-Besetzung mit Ray Davies eine kölsch-englische Version namens "Hollywood Boulevard" eingespielt hat. Besser nicht anhören.