laut.de-Kritik

Karibische Ruhe statt Prog-Orkan.

Review von

Milde Temperaturen, in der Liege auf der Terrasse liegen und dazu The Mars Volta auf den Kopfhörern: Genau eine Sache davon ist bisher im deutschen Arschloch-Frühling eingetreten. Die Latino-Progger aus Los Angeles lassen es diesmal richtig ruhig angehen und veröffentlichen mit "Que Dios Te Maldiga Mi Corazon" eine Unplugged-Version ihres letzten, selbstbetitelten Albums. Kollege Kay Schier attestierte bereits der sanften Bossa Nova-Nummer "Blacklight Shine" eine gewisse Strandtauglichkeit. Nun darf man tatsächlich die Augen schließen und die Zehen in den Sand stecken. Die sanft angezupfte Version des Album-Openers verliert endgültig die bandtypische Zappeligkeit und entführt den Hörer noch tiefer in die Welt der karibischen Klänge. Sie wollten ihre Wurzeln damit stärker erforschen, erzählten Cedric und Omar, deren Eltern aus Puerto Rico und Mexiko stammen.

So kann man davon ausgehen, dass immer eine Gitarre und wahrscheinlich mindestens eine Platte von südamerikanischen Ikonen wie Hector Lavoe oder Laurindo Almeida griffbereit lag. Allein Almeida brachte es bis zu seinem Tod auf geschätzt hundert Alben. Der Output von Mars Volta-Gitarrist Omar Rodriguez-Lopez liegt bisher 'nur' bei 52 Solo-Alben: eine Werkschau, die immer wieder den umtriebigen Forscherdrang des nimmermüden Workaholics widerspiegelt. Nicht immer einfach, häufig sogar überfordernd. Doch er kann auch ganz anders, wie die "The Clouds Hill Tapes, Parts I, II & III" zeigen: zarte Kammermusik, für die er seine Exzentrik dem Kollektiv unterordnete.

Der Vibe dieser Session scheint auch in die Unplugged-Versionen mit einzufließen. Wer zum ungestümen und fahrigen Hochgeschwindigkeits-Prog von The Mars Volta noch keinen Zugang fand, darf diesmal weniger Achterbahn, dafür mehr melancholische Auszeit erwarten. Rein technisch gibt es eh nichts zu bemängeln. Die schwierige Fingerübung "No Case Gain" mit ihren schnellen und häufigen Akkord- und Tempi-Wechseln geht Omar auch auf einer Klampfe ohne Stromanschluss geschmeidig von den Fingern. "Tourmaline", das sonst ein wenig verspielt wegtreibt, klingt beim Verzicht auf Pedal-Effekte zugänglicher.

Es wäre spannend, zu erfahren, was für Omar und Cedric mehr Arbeit erforderte: ihrem nie endenden Stream an Gedanken freien Lauf zu lassen oder doch konzentriert mit der Jazz-Gitarre eine Struktur zu schaffen? Zurück zu der Zeit der Kindheit, vor den wüsten Punk/Hardcore-Tagen von At The Drive- In. Ein- oder zweimal im Jahr, so Omar, kehre in seine Heimat zurück und höre seiner Großmutter zu, ebenfalls eine begnadete Gitarristin. Ihre 91 Jahre stören sie dabei wohl kaum. Wahrscheinlich verspürt die Dame, die so großartige Gene weiter gab, schon einen gewissen Stolz auf ihren Enkel.

Das Feuer der Rodriguez-Lopez-Familie und ihres musikalischen Erbes trägt er somit weiter. Doch eigentlich ist auch Südamerika ein Schmelztiegel aus Einflüssen und im Herzen Weltmusik. So schwingt auch in "Que Dios Te Maldiga Mi Corazon" etwas spanischer Bolero und fast hypnotische, afrikanisch anmutende Percussions mit. Eigentlich beginnt die Idee von The Mars Volta und ihrer Fusion schon dort. Dieser karibische Vibe lässt so manche wabernde Psychedlic-Rock-Idee verschwinden und geht mehr auf die Rhythmik der Latino-Musik und der vielen Einwanderer ein.

Das ist leider nicht immer genau das passende Umfeld für Cedrik Bixler, dessen Organ besser zu aufgedrehten Gehirnverknotungen und hyperaktiven Impro-Ausbrüchen passt. In der manchmal balladesken Neuinterpretation bekommt seine markante, energische Stimme manchmal eine unpassende Aufdringlichkeit. Während sein Bruder im Geiste, Omar, also doch recht schnell das Arrangement umstellt, fällt es Bixler wohl schwerer, die neue Umgebung ohne den hitzigen Jam-Charakter zu antizipieren.

Dabei arrangiert Omar wie in "Vigil" eine wirklich unprätentiöse Begleitmusik: Der Song profitiert nicht wirklich von der eingängigen Umsetzung und rückt sogar recht gefährlich nah an Bon Jovis quäkige Softrock-Harmlosigkeiten heran. Die Entschlackung von allzu viel Produktions-Bombast verleiht vielen Nummern eine interessante Note, doch hier kommt nur reine Zuckerwatte zum Vorschein.

So ergeht es auch "Palm Full Of Crux". Ein unaufgeregtes Dreampop-Lied noch einmal zu entschleunigen, führt letztlich zu einem wenig ergreifenden Halbschlaf-Moment. Das klang im Original schon in der ursprünglichen Pop-Intention richtig und verliert hier nur. Der karibische Müßiggang verpufft gänzlich. Selbst die Oma dürfte sich mehr Schärfe gewünscht haben. Quiet ist nicht immer das neue Loud, das bekamen diese zwei nerdigen Bleichgesichter aus Norwegen schon besser hin.

"Que Dios Te Maldiga Mi Corazon" erweitert trotzdem das Spektrum von The Mars Volta um eine Facette, die bisher noch nicht in Erscheinung trat. Auch wenn damit ein Alleinstellungsmerkmal abhanden kommt, beweisen Cedric und Omar, dass sie es durchaus mit ihren Lehrern aufnehmen können. Aber damit fallen sie im World Music- oder Jazz-Regal nicht weiter auf. Das Abenteuer fällt diesmal für den Heimaturlaub flach. "Que Dios Te Maldiga Mi Corazon" funktioniert als Guide in den Kosmos und erweitert das Verständnis, aus welchen Wurzeln The Mars Volta ihr eigenes Werk erschufen.

Trackliste

  1. 1. Blacklight Shine
  2. 2. Graveyard Love
  3. 3. Shore Story
  4. 4. Blank Condolences
  5. 5. Vigil
  6. 6. Que Dios Te Maldiga Mi Carazon
  7. 7. Cerulea
  8. 8. Flash Burns From Flashbacks
  9. 9. Palm Full Of Crux
  10. 10. Nocasegain
  11. 11. Tourmaline
  12. 12. Equus 3
  13. 13. Collapsible Shoulders
  14. 14. The Requisition

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1 Kommentar mit 4 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Pfft, dann lieber gleich nach Medellín emigrieren und den ganzen Tag Latina Stereo 100.9 FM hören, die bleiben in jedem Moment näher dran an Geist und Wurzeln karibischer und lateinamerikanischer Musik als The Mars Volta in 2023.

    • Vor 11 Monaten

      Bin kein Fan der Versionen hier. Aber schon etwas gewagt, einem Puerto Ricaner und einem Mexikaner den Geist und die Wurzeln der lateinamerikanischen Musik abzusprechen, die die beiden machen. Nicht? So als Nicht-Lateinamerikaner. Hab noch nix dazu mitbekommen, wie Latinos und Latinas finden, sie vergehen sich unqualifiziert an ihrer Musik.

    • Vor 11 Monaten

      Um zu dem Schluss zu gelangen, dass (nicht nur) The Mars Volta "trotz" entsprechendem Geburtslandhintergrund (der Eltern) sich abgesehen von ein paar eingestreuten, wiederverwendetenen Harmonien, Takten, Intervallen und/oder Samples ziemlich weit von dem Geist und den Wurzeln karibischer und lateinamerikanischer Weltmusik entfernt haben und sie ihr mit dieser Platte auch nicht wieder nennenswert näher kommen hab ich schon ein bisschen mehr getan als die Rezi zu lesen, Mars Volta zu kennen und ne Woche lang privat zu Hause Latina Stereo zu hören. Was nicht heißen soll, dass das nicht völlig ausreichend gewesen wäre um zu so einem Schluss zu kommen.

      ...oder um Mal bei deiner bevorzugten Argumentationsstrategie zu bleiben:

      Auch über das oben beispielhaft angeführte Maß weit hinaus hab ich noch nie mitbekommen, dass Latinos und Latinas finden, The Mars Volta führten Geist und Wurzeln dieser Musik qualifiziert und erfolgreich in neue Genres und die gegenwärtige Epoche internationaler Musikrezeption. ;)

    • Vor 11 Monaten

      Will Dir ja nix Böses. Halte es nur für etwas fragwürdig, wenn ein - wie ich annehme - weißer Deutscher besser bescheid zu wissen meint über eine Kultur als diejenigen, die in ihr aufgewachsen sind und nicht nur nach eigenen Angaben die Musik ihrer Kultur verinnerlicht, sie zum Kern all ihrer musikalischen Experimente gemacht haben.

      Ja, sie haben aus diesen Einflüssen etwas sehr fremdartig Neues geschaffen. Und ja, der Anteil in ihrem Output war definitiv mehr Progrock als Salsa. Das bedeutet aber nicht, daß sie sich von ihren eigenen Wurzeln entfernt haben, oder etwa nicht qualifiziert für lateinamerikanische Musik wären. Klar, mehr "real" geht immer, aber die Debatte ist sinnlos, wenn da keine offensichtlichen Verstöße feststellbar sind.

      Es handelt sich ja nicht um einen Rex Gildo, der einen auf Salsa macht. Und so klingt es auch nicht :)

    • Vor 11 Monaten

      Ragi, die Schuhe, die du mir hier anzuziehen versuchst, passen mir einfach nicht. Wieso sollte ich vermuten, dass du mir was böses willst? Ich hab hier ja keine Aussage über die grundsätzliche, potentielle, vermeintlich objektiv messbare Fähigkeit von The Mars Volta, den Geist und die Wurzeln karibischer und lateinamerikanischer Musik zu beschwören, getroffen. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass ich diesen Geist und die Wurzeln subjektiv betrachtet viel weniger deutlich auf dieser Platte vertreten finde als bspw. bei einem beliebigen kolumbianischen Radiosender, der es sich rein zufälligerweise zur Aufgabe gemacht hat, den Geist und die Wurzeln karibischer und lateinamerikanischer Musik durch wiederholtes Abspielen der alten Klassiker in verschiedensten Interpretationen zu konservieren. Du musst dich an solchen Stellen auch mal zusammenreißen und dem ungeschriebenen Kommentarspaltengesetz interindividuell gültiger Subjektivität unterwerfen, wie du es von anderen einforderst.

      Deine Annahmen zu meiner Person sind dabei nämlich so vollkommen willkürlich wie auch für jede ordentliche Argumentation unzulässig gewesen und abgesehen davon sind deine subjektiven Meinungen speziell bei so einer Geschmacksfrage selbstredend um keinen Deut absoluter gültig als meine oder als der Standard hier vorgibt. Ich führe in Folgekommentaren gerne mal weiter aus, was ich gemeint habe, wenn du es nach jetzt noch immer nicht verstanden hast. Tut mir also echt leid, dass du da jetzt ausgerechnet in die Falle getappt bist, die du allem Vernehmen nach selber hier so gerne häufig, erfolgreich und immer auch von langer Hand vorab geplant an spezifischen Stellen rhetorisch aufspannst, aber Verantwortung für meine total subjektiven Ursprungsposts übernehme wie ich latürnich wie immer auch weiterhin, sollte klar sein. :)