laut.de-Kritik
Punks, Mods, Hippies, Skinheads: Die Legende ist zurück.
Review von Michael SchuhNur wenige Monate, nachdem The Specials 1979 ihre Debütsingle "Gangsters" veröffentlichten, wurde Margaret Thatcher Premierministerin in Großbritannien. Auf der Insel herrschte Rezessionsstimmung und die beginnende Massenarbeitslosigkeit war der Sprengstoff für die schwelenden Rassenunruhen. Punkrock und Ska lautete der musikkulturelle Zufluchtsort für die Jugend aus ihrem tristen Alltag.
2008, dem Jahr der ersten Specials-Reunionkonzerte mit dem gegenüber solcherlei Plänen jahrelang widerspenstigen Sänger Terry Hall, sieht die wirtschaftliche und soziale Lage nicht großartig anders aus. Höchste Zeit, das schwarz-weiße Farbbanner wieder zu hissen, das die friedliche Koexistenz der verschiedenen Rassen verbildlicht.
Mit "More ... Or Less. The Specials Live." liegt nun (wie damals auf dem EMI-Sublabel Chrysalis) das längst erwartete Live-Dokument einer Neverending Tour vor, die die mit sieben Originalmitgliedern beinahe komplette Urformation seit vier Jahren um den halben Erdball führte.
Dass Bandgründer und Keyboarder Jerry Dammers fehlt, ist für das Live-Erlebnis absolut sekundär. Welch halbgare Coververanstaltungen dagegen die jahrelangen Specials-Tourneen ohne den legendären Sänger Terry Hall waren, wird ab der ersten Sekunde dieser Platte klar.
Die immer noch helle, wenngleich sich nicht mehr dauerüberschlagende Stimme Halls, der nach seiner Specials-Karriere trotz Kollaborationen mit Dave Stewart, Damon Albarn und Tricky keinen Hit mehr landen konnte, treibt die punkigen Two Tone-Hits unnachahmlich und mit Verve nach vorne. Klar, dass nur seinetwegen Stars wie Amy Winehouse als Überraschungsgäste zu Specials-Shows eilten.
26 Songs, aufgenommen in Bournemouth, Cardiff, Brighton, Paris, Hull, Manchester, Brixton, Mailand, Cheltenham, Glasgow und natürlich der Band-Heimat Coventry belegen die Live-Qualitäten der 'neuen' Specials, die es nun fast schon länger zusammen aushalten als die Original-Specials (1978-1982). Oder wie es in "It's Up To You" heißt: "Take it or leave it / we carry on regardless / if you don't like it / you don't have to dance!" Wollen aber natürlich alle.
Dem Compilation-Charakter der Konzertstädte folgt die Idee, die beiden Albumklassiker "The Specials" und "More Specials" beinahe in der Original-Reihenfolge aufs Livealbum zu bannen. So startet die Nostalgierunde mit dem Klassiker "A Message To You Rudy" und bereits beim Ska-Punkbrett "Do The Dog" ist klar: Diese Reunion ist kein schnödes Scrabble-Treffen.
John Bradbury prügelt seine Jungs nach vorne, Roddy Radiation schüttelt seine Riffs locker aus dem Ärmel, Neville Staple gibt wie eh und je den Anheizer und Terry Hall feuert seine Parolen an alle Punks, Mods, Hippies und Skinheads raus, "keep on fighting till you're dead".
Ein Gänsehaut-Moment bietet die Liveversion des ohnehin herausragenden Stücks "Nite Klub": Halls legendäre Zeilen im Mittelteil des Originals, der nur vom Schlagzeug begleitet wird, übernehmen hier tausende Fankehlen: "I won't dance in a club like this / all the girls are slags / and the beer tastes just like piss." Halls beeindruckte Antwort ans Publikum: "You fill my heart with luv".
Wie sehr diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht, wird anhand der zusammengestückelten Auftritte auf "More ... Or Less" angemessen deutlich. Ob ein Song wie "Ghost Town" nun vor ihrem Heimatpublikum in Coventry aufgenommen wurde oder ein anderer in Mailand, am Ende merkt das niemand. So dürften auch die Sprechchöre nach dem abschließenden Skatalites-Cover "Guns Of Navarone" nicht nur in Hull so geklungen haben: "Nobody Else Specials"!
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