laut.de-Kritik

Drückt sich herrlich brachial ins Trommelfell.

Review von

History repeating. Dass Geschichte seit Menschengedenken immer wieder in denselben Förmchen neu aufgebacken wird, ist beileibe keine Meldung wert. Der Konsens über sich periodisch wiederholende Weltgeschehnisse gereicht heutzutage gar zum Bandnamen. Beheimatet im südenglischen Marinestützpunkt Portsmouth, bezieht sich "The Strange Death Of Liberal England" auf eine Abhandlung über das Empire kurz vor dem Ersten Weltkrieg.

Womit sich der Kreis schließt: Ebenso wie die Vormachtstellung der Liberalen im Parlament zwischen 1910 und 1914 zusammenbrach, so marginalisiert ist die libertäre Intelligenzija nicht nur auf der Insel allerspätestens seit 9/11. Inwieweit das Debüt-Minialbum des gemischten Quintetts allerdings auf einem Aktualitätsdruck im Hier und Jetzt gründet, bleibt ungewiss.

Während das Plattencover auf niedlich macht, so "Ye Olde England"-mäßig, drückt sich "Forward March!" mit herrlicher Brachialität ins Trommelfell. Dabei liegt jederzeit auf der Hand, dass in den acht Songs nicht bloß lyrisch die Vergangenheit widerhallt. TSDOLE haben zweifellos die Spätwerke von A Silver Mt. Zion und Broken Social Scene im CD-Regal, Modest Mouse-Songwriting-Seminare belegt und vorderdings Arcade Fire auseinanderklambüsert.

Vor allem Erststimme Adam Woolway klingt nach perfekter Kreuzung aus Win Butler, Isaac Brock und Constellations Vorzeige-Hippie Efrim Menuck. Ausdrucksstark, aufwühlend und immer dieses gewisse emphatische Zittern auf den Lippen. Von hinten bekommt er einen choralen Backup, der mittlere Flächenbrände auszulösen vermag. Anfangs ganz im Geiste einer Marschkapelle folkloristisch oder auch polkatanzend unterwegs, tauschen TSDOLE ihre Klamotte gen Ende gegen gewittrigen Breitwand-Indie und orchestralen Postrock ein.

Hier werden sophisticated Hymnen per Fließbandverfahren geboren. "Forward March!" geht bereits jetzt als eine der überraschendsten Veröffentlichungen des Jahres über die Ziellinie. Uneingeschränktes Empfehlungsschreiben auch live: Auf der Bühne verzichtet die Portsmouth-Clique auf Kommunikation mit dem Publikum und hält stattdessen beschriebene Plakate in die Höhe. Extraordinär in jeglicher Hinsicht.

Trackliste

  1. 1. Modern Folk Song
  2. 2. Oh Solitude
  3. 3. A Day Another Day
  4. 4. An Old Fashioned War
  5. 5. Mozart On 33
  6. 6. I Saw Evil
  7. 7. God Damn Broke And Broken Hearted
  8. 8. Summer Gave Us Sweets But Autumn Wrought Division

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5 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    wusste gar nicht, dass es hierzu ne review gibt -
    5 volle Punkte, absolut vertretbar, dafür lieb ich matthias manthe!

  • Vor 17 Jahren

    Auf dieses Album bin ich durch Lesen von Forenbeiträgen auch aufmerksam geworden. Dafür liebe ich xLiverpudlianx und ParanoidAndroid (da muss auch irgendwo noch ein Thread sein... ) . Habs schon ein paarmal gehört. Sehr hymnisch, fast schon pathetisch, aber großartig. Wenn ich Glück habe und noch 'ne Karte bekomme und nix dazwischenkommt sehe und höre ich die heut' abend im Tacheles/Cafe Zapata.

  • Vor 17 Jahren

    @Kukuruz (« (da muss auch irgendwo noch ein Thread sein... ) . »):

    http://forum.laut.de/viewtopic.php?t=51229…
    @Kukuruz («
    Wenn ich Glück habe und noch 'ne Karte bekomme und nix dazwischenkommt sehe und höre ich die heut' abend im Tacheles/Cafe Zapata. »):

    neid :o

    ;)

  • Vor 17 Jahren

    @Kukuruz (« Habs schon ein paarmal gehört. Sehr hymnisch, fast schon pathetisch, aber großartig. Wenn ich Glück habe und noch 'ne Karte bekomme und nix dazwischenkommt sehe und höre ich die heut' abend im Tacheles/Cafe Zapata. »):

    hast du das album? tolles teil :trusty: die sind meine momentane lieblingsband

    und bist du auf das konzert gegangen? hier waren sie vorband von the rakes, habe das aber leider erst einen tag vorm konzert gesehen und hatte dann weder karte noch zeit, sehr ärgerlich :(

  • Vor 17 Jahren

    Ja, hab' das Album. Neben Deiner last.fm-Toplist gabs auch einige ziemlich euphorische Reviews dazu. Die neugierig machten. An dem Konzertabend ist leider in letzter Minute eben doch noch was dazwischengekommen ...

    Gefällt mir nach wie vor. Ekstatisch, unkonventionell, überbordend, melodiös, aber alles andere als glatt und gefällig.

    Dennoch ist - für mich! - der Grat schmal zu der Art von sakraler oder pseudosakraler Überwältigungsästhetik, die mich auch bei Arcade Fire immer irgendwie misstrauisch macht. Die gehören ja wahrscheinlich nicht umsonst zu den erklärten Lieblingsbands von Coldplay- und U2-Mitgliedern.