laut.de-Kritik
Die obszönste Girlgroup der Republik ist zurück.
Review von Hannes HußWas soll man über The Toten Crackhuren im Kofferraum im Jahr 2021 noch sagen? Der Bandname klingt obszön, die Musik nach Electroclash und Pop, die Texte haben das Herz am richtigen Fleck. Ganz gute Erfolgsformel. Auch für Musikjournalist*innen. Der Satz: "Ich rezensiere das neue Album von den Toten Crackhuren Im Kofferraum", sorgt für hellwache Ohren und interessierte Nachfragen: "Ach, und was machen die so für Musik?". Also alles gut. Manchmal sagen die Leute auch: "Was soll denn der bescheuerte Bandname?" und dann weiß ich, dass die auch Armin Laschet als Kanzler wollen.
"Gefühle" steht als Albumtitel natürlich in einem krassen Kontrast zum Bandnamen. Die Volksweisheit besagt eben, dass Crackhuren, vor allem die im Kofferraum, keine Gefühle haben. Doreen Bieberface, Lulu Fuckface, Ilay und Kristeenager haben sie aber trotzdem, und das nicht zu knapp. "Gefühle" ist eine ständige Standortbestimmung ebendieser Gefühle. "Gefühle" gehen hier immer mit gesellschaftlichen Konflikten einher. Das ist die Krux der Platte. Dem Privaten ist immer noch das Politische beigemischt und umgekehrt. Der schlägernde Demopolizist "Officer Sexy" doubelt als erotische Sado-Maso-Fantasie.
Der Electroclash-Brecher "Herz" formuliert einen genauen Fragenkatalog an das eigene Ich: "Was wünscht Du Dir / Wie willst Du leben / und was bist Du bereit / dafür zu geben?" Im Falle der zugleich obszönsten wie sweetesten Girlgroup der Republik liegt die Antwort in der Ostberliner Platte: "I'm living the dream in Ostberlin" singen sie selbstbewusst. Die Uncoolness und Abgefucktheit der vergessenen Viertel der Hauptstadt, fernab vom Statusbewusstsein der hippen Kreuzberger, sind ihre spirituelle Heimat. "Die Platte / Meine Oase und mein Tempel". Konsequent positionieren sich The T.C.H.I.K. in der benachteiligten Position, ihre Zielscheiben hängen oben.
Da oben, da lauert vor allem die Misogynie. "Bewerte Mich" vermittelt am besten das The T.C.H.I.K.-Gefühl. Der Electroclash-Beat findet keinerlei Ruhe, peitscht den Song voran, ein permanenter Ausnahmezustand aus Bass und Casio-Keyboard. Aus dem Text spricht der Schmerz der andauernden Übergriffigkeit von Männern auf Dating-Plattformen. Hier sind Frauen bloße Objekte, die zur Bewertung freigegeben sind. "Findest du mich hässlich oder findest du mich heiß" schreit die Group voller Verzweiflung.
Da hilft nur eines: Männer objektivieren. "Bau Mir Nen Schrank (feat. Taby Pilgrim & Blond)" macht genau das. Alle toxischen Männlichkeitsklischees werden auf den Kopf gestellt. Aus "Geh mir was kochen" wird eben "Bau mir einen Schrank". Das alles singen se zu wunderbar hartem, beinahe unerträglich simplem Ballermann-Schlager. Also, gut gelaunt das Patriarchat in das Matriarchat verwandeln? Wäre es doch bloß so einfach. Der Song fällt in eine altbekannte Falle. Krasse Überzeichnung nutzt sich schnell ab. Der Schmunzler bei "Ich hab' gesagt, du hältst die Fresse, wenn ich Springreiten gucke" hält nicht ewig.
Auch "Ich Bin Eine Schlampe" hat dieses Problem. Die stolze Einforderung vermeintlicher sexistischer Begriffe als empowerte Selbstbeschreibung ist schon ein paar Jahre in der Mache. Ein Loblied auf selbstbestimmte weibliche Sexualität und Promiskuität wirkt da redundant. An der Stelle lieber "Zurück In Der Gosse". Hier findet die Band einen überraschenden Pop-Appeal, die Schlager-Keyboards gehen auf, treiben den Song voran. Das alles verleiht der Standortbestimmung eine Dringlichkeit und Überzeugung.
In diesen Momenten ohne ironische Überladung ist "Gefühle" am stärksten. "Ich Will Dich Heulen Sehn" ist eine überraschend zärtliche Einladung auf den Dancefloor. "Ich will mit dir tanzen / mit Tränen in den Augen", ja verdammt, das will ich auch. Verletzlichkeit ist hier Liebes- und Vertrauensbeweis, wider alles Toxische. Apropos toxisch: Die Punkszene ist weiß, männlich und toxisch. Frauen finden hier allenfalls als Randfiguren statt. Da ist kein Platz für The Toten Crackhuren Im Kofferraum.
"Punkrock Hat Mit Mein Herz Gebrochen" (mit Gastbeitrag von Annette Benjamin & Archi Alert) ist eine bitterböse Abrechnung mit der einst geliebten Szene. Vorbei ist die Zeit, als einzige weibliche Band auf dem Festival zu spielen. Denn Punk ist nicht nur Punkrock. Punk ist für die vier vor allem eine Haltungsfrage. Eben die Solidarität mit den Vergessenen, den Abgehängten, den Unterdrückten. Punk klingt in ihren Händen auch gerne mal nach Schlager, aber nie nach Anbiederung oder Aufgabe. "Ist das noch Punkrock?" fragten drei Berliner Unbekannte einst. Ne, aber Punkschlager.
3 Kommentare
Wer braucht K-Pop wenn man D-Pop Girlgroups hat? Ungehört 5/5
Mutmachersoundtrack für die Unterwürfigen. Ist aber ganz okay! 3/5
Die Mädels sind stark! Bisher ihr bestes Album, vielleicht schon zu glatt produziert, aber jammern, "Früher waren die besser.", klingt eher nach Ü70ern, die für 200€ auf dem Konzert sie Rolling Stones kritisieren und dann wie Teenager ein Selfie mit dem Tour-T-Shirt machen, um es auf FB zu posten. Einfach schön, dass die Crackies wieder aus den Ruinen erstanden sind. Macht weiter, immer weiter!