laut.de-Kritik
So wunderschön wie surreal, so retro wie voll im Saft.
Review von Philipp KauseDie Orgel fest im Griff rocken The Zombies zwischen Psychedelic im Titelsong "Different Game", Folkrock ("Love You While I Can"), Doowop-durchtränkter Romantik ("Rediscover") und angejazztem Alternative Blues ("Dropped Reeling And Stupid", "Runaway") hindurch. Doors-Produzent Paul Rothchild hätte manches davon verächtlich 'Bar-Jazz' genannt. Die Nuancen zwischen Bacharach'schem Cello-Easy Listening ("You Could Be My Love"), Hippie-Feeling mit tiefen Wurzeln in psychedelischen Riffs ("Merry-Go-Round") und frei gejammten Fusion-Fantasien verdienen dagegen das Prädikat 'genialer Saugnapf'.
Denn hier fließen so viele Strömungen zusammen, die in den fruchtbaren Sixties wichtig wären, dass man aus dem reinen Hören kaum schlussfolgern kann: Ist das amerikanische Musik oder britische? Erklingen hier die Grundlagen der Black Keys-Rezeptur oder das englische Folk-Revival? Die Streicher in "I Want To Fly" setzen den Kurs fort, den McCartney und George Martin in "Eleonor Rigby" einschlugen. Und doch wirkt das Pathos des Liedes wie für Hollywood erschaffen und lenkt das Ohr Richtung 'Great American Songbook' und Broadway.
Gänzlich ohne dick aufzutragen besticht das behutsam und leise gesungene "The Sun Will Rise Again" im Acoustic-Outfit. "Different Game" ist ein Querschnitt durch verschiedene Lebensgefühle, die wir mit Woodstock, Ronnie Scott's Jazz Club, Beatles, Stones, Kinks und Cream, Plattencovern mit floralen Mustern und wabbligen Farbrändern, kalifornischen Surf-Wellen, Muddy Waters und LSD-inspirierten Vibes verbinden.
Dabei hört sich das alles lebendig an und nicht, als würde diese Uralt-Musik ganz Zombie-mäßig einer Gruft entsteigen. Die beiden Ursprungs-Mitglieder von The Zombies, Sänger Colin Blunstone und Orgelspieler, Keyboarder und Mellotronist Rod Argent, zappeln im Rock'n'Roll-Zirkus seit 1962 mit. Mittlerweile 77, gehören sie zu den Urgesteinen, die einfach weiter touren, so auch aktuell. Von beiden erschienen zahlreiche Solo-Platten, Blunstone war zudem großartiger Autor für viele im Folkrock-Milieu. Argent ist Klassik-Fan und war an den Tasten an entsprechenden Platten beteiligt, die Rock und Klassik verschmelzen. In den 90er-Jahren las man seinen Namen oft zusammen mit dem von Peter Van Hooke, damals Drummer von Mike and the Mechanics. Beide zusammen hatten eine unglaubliche Talent-Spürnase und produzierten viele anspruchsvolle Songwriter-Pop-Alben, die hoch in die Charts schossen.
Obwohl die beiden Herren aus dem Londoner Umland stammen, zeigt das Cover eine Szene in der Wüste von Arizona, und die ist nicht in einem Drogen-Trip halluziniert: "Wir waren auf dem Weg von Südkalifornien nach Tucson, als der Motor unseres Tour-Vans plötzlich Feuer fing", erläutert Rod. "Wir saßen etwa fünf Stunden in der abgelegenen Wüste von Arizona fest. Aber dank unseres unerschrockenen Teams und unserer Crew konnten wir gerettet werden und schafften es bis zu unserer nächsten Show! Es war eine erschütternde Erfahrung, aber auch wunderschön und surreal." - Ein Satz, der perfekt aufs Hörerlebnis mit dieser LP passt.
1 Kommentar
Grässliches Albencover. Aber ein paar beachtlich schöne Tracks drauf. Man kann definitiv schlechter altern, nachdem man ein absolut zeitloses Meisterwerk von einem Album geschaffen hatte.