laut.de-Kritik

Die Trance der Verzweiflung.

Review von

Wenn einer der Sänger von Tinariwen singt, als hänge gerade die Platte an einem Fussel in der Rille fest, dann versucht er, eine Kultur zu retten. Der Lebensraum der nomadischen Tuareg wird von Fanatikern kontrolliert, sogar die deutsche Bundeswehr - ohne jede Wüstenerfahrung und mit maroder Ausrüstung - zog vor zehn Jahren in dem musikalischen Land im Nordwesten Afrikas ein. Heute gibt es dort weiterhin viel zu beklagen, und so ist "Amatssou" eine traurige Platte und in manchen Stücken wie im charismatischen "Arajghiyine" eine verzweifelte, die nüchtern und stoisch auf der Stelle tritt.

Dabei schrammelt das geliehene Equipment rau, schroff und hölzern und beschönigt nichts. Was einst als Wüsten-Blues bekannt wurde und entfernte Ähnlichkeit mit Calexicos und Howe Gelbs Desert Bluesrock aufzeigt, klang schon mal kraftvoller. "Amatssou" wirkt gar wie eine Scheibe über das Ausgelaugtsein.

Die Band nutzt Kargheit als Leitmotiv, zelebriert Trance als eine Art Autosuggestion, pflegt Reduktion als Dauer-Stilmittel zur Steigerung der Intensität und igelt sich in einem sehr eigenwilligen Sound-Gemisch ein. Und wer könnte Trance wohl besser in eine Produktion gießen als ...? Okay, da kommt man nicht gleich drauf: Tausendsassa Daniel Lanois aus dem fernen Kanada inszeniert/zeichnet ja ganz gerne versunkene, introspektive Klanglandschaften. Sein Dub-Downbeat-Gospelpop-Album 2021 zählt zu den verwegenen, aber extrem schönen Kunstgriffen in dieser Richtung, zeitgleich plante er damals schon diese Alternative Country-LP mit den Kamelhirten aus Mali. An der Pedal Steel-Guitar nimmt Daniel auch als Musiker teil. Besonders eindrucksvoll hört man ihn etwa im sphärisch gestalteten "Jayche Atarak", dem längsten Track dieses Hinhör-Albums.

Den Tinariwen im Spagat zwischen Timbuktu und Nashville zu folgen, ist weit weniger überraschend als sich an Samantha Fishs Gitarrengewitter bei der Fusion von Outlaw-Country und Electric Blues, innerhalb der US-Südstaaten, zu heften. Beides sind legitime Versuche, Banjo und Fiddle neue, harte, abseitige und kreative Aspekte abzutrotzen. Wurde man früher von der Massivität des mitunter stürmischen und Verstärker-geprägten Sounds etwas überrannt, so kann man "Amatssou" geradezu als geruhsam und behutsam einstufen. In punkto Nashville-Bezügen vernimmt man hingegen eine ziemlich glatte Themenverfehlung. Schlimm ist das nicht, denn eine Weiterentwicklung in Richtung intimerer, auf die Pelle rückender Sounds lässt sich trotzdem (an)erkennen.

Der staubige, trockene Charakter der Platte stammt nicht nur von der stark Saiten-orientierten und blechern perkussiven Instrumentierung. Auch die Stimmlagen der Tinariwen-Vorhut haben etwas Gegerbtes, Desillusioniertes und Trockenes, mitunter etwas Beißendes und Wehklagendes, wie im Wechselspiel von Call und Response auf "Imidiwan Mahitinam". Ruhige, sentimental gestimmte Stücke wie der mellow-verschwommene Anspieltipp "Ezlan" drücken der Platte ihren Stempel auf. Das Anliegen, Mississippi und Wüste zu kontrastieren, sticht besonders bei "Tenere Den" heraus, weil diese Nummer in der Melodieführung schwer an Johnny Cashs "I Walk The Line" erinnert.

Über monotone Füll-Stücke in der hinteren Hälfte ("Nak Idnizdjam", "Iket Adjen", "Imidiwan Mahitinam") gibt es wenig zu sagen, zumal sie sich musikalisch eher nach Jam-Session anhören als nach spannenden Kompositionen. Einen ganz eigenen Reiz entfaltet derweil der konsequente Einsatz der für unsere Ohren fremden Wüstensprache Tamaschek. Übersetzungen ins Englische, als Booklet-Beigabe, hätten aber eine sinnvolle Funktion, um die sozialkritischen Inhalte zu erfassen, die dann wahrscheinlich als Pluspunkt auffallen würden. Trotz aller Corona-Schwierigkeiten, welche die Band entschuldigend ins Feld führt, wären bei diesem Werk noch mehr Experimente, Überraschungen und Möglichkeiten auslotbar und manch stärker anpackendes Lied kein Schaden.

Trackliste

  1. 1. Kek Alghalm
  2. 2. Tenere Den
  3. 3. Arajghiyine
  4. 4. Imzad (Interlude)
  5. 5. Tidjit
  6. 6. Jayche Atarak
  7. 7. Imidiwan Mahitinam
  8. 8. Ezlan
  9. 9. Anemouhagh
  10. 10. Iket Adjen
  11. 11. Nak Idnizdjam
  12. 12. Tinde (Outro)

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1 Kommentar

  • Vor 11 Monaten

    Sehr gelungenes und im Vergleich zu Elwan deutlich ruhigeres, dafür aber fast schon hypnotisches Album. 4,5/5

    P.S.
    Es ist schon gut, dass Tinariwen sich selbst treu bleiben, ohne sich selbst zu kopieren und nicht das machen, was der Rezensent von laut.de gerne hätte. Das überlassen wir mal schön den sich in Beliebigkeit und Austauschbarkeit wohlfühlenden Amerikanern und Europäern.