laut.de-Kritik

Eine Retrospektive der anderen Art: Vergangenheit wird Gegenwart.

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Über sechs Schaltjahre erstreckt sich die Tätigkeit der Tindersticks, ganz wie der Titel der vorliegenden Arbeit verkündet. Zeit offenbar, um dem ein oder anderen hochwertigen Überbleibsel neues Leben einzuhauchen: "Aus unterschiedlichen Gründen wurde aus diesen Stücken nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. So haben wir uns vom 6. bis 9. April 2013 ins legendäre Studio 2 in der Abbey Road in London begeben, um sie live neu einzuspielen" erzählt Stuart A. Staples.

Dabei gings den Tindersticks nicht nur darum, Ordnung zu schaffen. "Wir wollten nicht lediglich Falsches ins richtige Licht rücken. Es geht um uns als Band, ums Jetzt, ums Heute", so der Frontmann weiter. Eine Retrospektive der anderen Art: Vergangenheit, die zur Gegenwart wird.

Nirgends besser lässt sich das an dem wohl bekanntesten Stück der Auswahl festmachen - "Dying Slowly", der Opener des sechsten Albums "Can Our Love .." (2001). Das Stück war eine Art Reaktion auf den Tod Kurt Cobains, so Staples. Bei den damaligen Aufnahmen sei es ihm und der Band nicht gut gegangen, weshalb das Stück nach Trauer und Aufgeben klang, aber auch Widerstand und Sieg in sich trug.

Natürlich klingen Tindersticks nach wie vor nach ihren melancholischen Selbst, und "Dying Slowly" 12 Jahre später nicht verwirrend anders. Das Arrangements ist gleichwohl gitarren- und weniger piano-lastig, die Streicher sind geblieben. Wer das Stück nicht kennt, könnte die zwei Versionen glatt verwechseln, doch wer genau hinhört, versteht, was Staples meint: Durch die endlose Trauer des Originals weht nun ein Wind der Hoffnung, ein davor nicht vorhandener Wille zum Leben.

Ob das nun besser oder schlechter ist? Fest steht, dass sich die Tindersticks eine Leichtigkeit zugelegt haben, die sie früher nicht hatten, eine Mühelosigkeit, die ihrer Musik zugute kommt. Letztlich trifft auf sie zu, was auch Lambchop so besonders macht: Beide Bands könnten ein Telefonbuch vertonen, ohne dass es langweilig würde.

Ein bisschen Richtigstellung spielt natürlich auch eine Rolle. So stammen "She's Gone", "Sleepy Song" und "A Night In" von 1994, also aus den Anfangszeiten der Band. Als Songschreiber habe er sich rasch entwickelt, so Staples, mit Gesang und Gitarre habe er aber lange hinterhergehinkt. Nun habe er die Möglichkeit, sie umzusetzen, wie sie klingen sollten.

Dasselbe gilt für "I Know That Loving", 1999 entstanden. "Noch so ein Stück, das wir nicht richtig verstanden haben. Ich habe damals eine Ewigkeit damit verbracht, die Gesangsspur aufzunehmen. Dabei hatte ich immer das Gefühl, mich unter einer Glasdecke zu befinden, die ich einfach nicht durchbrechen konnte."

Das gelingt ihm nun, wie auch den anderen Beteiligten, die Gitarre, Bass, Schlagzeug, Streicher, Bläser und weiblichen Hintergrundgesang beisteuern. Einfach gehalten, stimmungsintensiv umgesetzt. Den Stücken hört man nicht an, dass sie bereits eine längere Vergangenheit haben.

Untätigkeit kann man der britischen Band in den letzten Jahren nicht vorwerfen. Seit ihrer faktischen Neugründung 2006 haben die Tindersticks neben drei Studioalben eine ganze Reihe Soundtracks und Klanginstallationen veröffentlicht. Aber auch als klassische Liedermacher funktionieren die Band besser denn je, selbst bei der Überarbeitung von nicht gerade taufrischem Material.

Trackliste

  1. 1. Friday Night
  2. 2. Marseilles Sunshine
  3. 3. She's Gone
  4. 4. Dying Slowly
  5. 5. If You're Looking For A Way Out
  6. 6. Say goodbye to the city
  7. 7. Sleepy Song
  8. 8. A Night In
  9. 9. I Know That Loving
  10. 10. What Are You Fighting For?

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