laut.de-Kritik
Die Rache des Ringtone-Raps.
Review von Yannik GölzNostalgie ist Segen und Fluch für die Musikindustrie. Es ist einfach, das sich ewig drehende Rad ermüdend zu finden, vor allem, wenn ein Sound mit hirnloser Uhrwerk-Präzision wieder auftaucht, der nichts leisten muss als zu sagen 'hey, guckt mal, das kennt ihr von früher'. Aber das Ticken der Nostalgie-Uhr kann auch produktiv sein: Manchmal nimmt es Musik aus der Schmuddelecke und wringt die interessanten und innovativen musikalischen Ideen heraus, die sonst verloren gingen. Tisakorean ist nach dem großartigen Crunk-Revival durch Rapper wie GloRilla und Duke Deuce der erste, der sich an der Snap-Ära versucht. "Let Me Update My Status" ist eine glühende und aberwitzige Hommage an die Sternstunden von Soulja Boys MySpace-Ära.
Erstmal: TisaKorean nähert sich dem Genre vor allem als Tänzer. Als Rapper-Produzent-Tänzer ist er eine seltene Dreifach-Kombo, aber eigentlich leuchtet dieser Betrachtungswinkel komplett ein. "Crank That" hat offensichtlich nie jemanden überzeugt, der mit Textblatt dasitzt und auf die Wortspiele wartet. "Crank That" und all seine Zeitgenossen haben auf dem Mittelstufen-Prom gekillt. Und bis heute bringen sie Leute in Bewegung.
Da TikTok diese Art von Bewegung ja noch mal viel weiter in den Vordergrund rückt, macht es nur Sinn, dass immer mehr Choreographen ihren Weg in den Mainstream finden. 2Rare, Toosii und TisaKorean arbeiten entsprechend im klassischen Sinne wie ein DJ – aber kaum jemand hat bisher so gut die Balance aus nostalgischem Dance-Set und wirklichem Album-Set gefunden wie Tisa auf "Let Me Update My Status". Die Songs sind kurz und knackig, die Loops jedes mal absolut punchy, die Energie hoch und die Adlibs grell.
Ein bisschen erinnert das an die Radikalität, mit der Playboi Carti und Pi'erre Bourne auf "Die Lit" die Macht eines einzelnen Trap-Loops ausdefiniert haben – vor allem, weil Tisa in Sachen Adlibs definitiv vom King Vamp inspiriert ist. Aber guckt man auf Beats wie "Crank It Up (Bonus).mp3" oder "Stunna Shades.mp3", dann hat er sein eigenes Ding. Für alle, die früher wirklich die tieferen Cuts in den Soulja Boy-Mixtapes oder die obskureren Gucci Mane-Trapaholics-Tapes gehört haben: Da ist etwas Magisches an den blockigen, harschen Beats, die Produzentinnen und Produzenten in den späten 2000ern auf illegalen Downloads oder Fruity Loops-Demos zusammengeschmissen haben.
Lil B, der ewige Visionär, hat mit diesem Sound 2017 schon auf "Black Ken" gespielt. Aber TisaKorean entwickelt andere Ideen daraus. Man nehme einen Song wie "Helicopter Swag Pt4.mp3": Wir bekommen dieses tingelige Preset-Piano mit einer ziellosen Melodie, eine ungemischte Clap, ein paar Bass-Hits und dann Tisa mit einer repetitiven Hook, die den halben Song ausmacht, auf der er seine beste Vocal-Bewerbung für das Dipset nachreicht. Er rappt, als dürften die Vocal-Chops, die sonst in den Trap-Beats "Ey, ey, ey" chanten, endlich ganze Lines spitten. Es ist der Kontrast zwischen all diesen Sounds, die bellenden, harten Vocals, die irgendwie süßen, querstehenden Keys und die direkten, plumpen Drums, die trotzdem unerwartet viel Groove entwickeln.
Das ist ein Ethos, das auch viel moderne Dance-Musik gerade wiederentdeckt. Und ich spreche nicht nur von Hyperpop, ich denke auch an EDM-Producer wie RP Boo. Aber im Gegensatz zu Techno darf Tisa als MC noch ein bisschen Persönlichkeit ergänzen. Er ist eben auch ein guter MC, ein Crowd-Mover im klassischen Sinne, albern, aber nicht selbstironisch. Mr. Silly-Flow, wie er sich nennt, er ist ein warmer und einladender Performer, bisweilen witzig, aber immer cartoonhaft und ausdrucksstark.
Schließlich könnte man nach den ersten paar Songs denken, dass dieses Tape ein schnell auserzählter One-Trick ist. Aber auch das stimmt nicht. So cool und unterhaltsam die Grundidee nämlich ist, finden sich in der halben Stunde dann auch noch wirklich interessante Zwischenspiele, die Experimentieren und andere Stimmungen zulassen. "PH Balance.mp3" hat einen der wildesten und ungewöhnlichen Grooves, die man auf einem Rap-Song hören will. "Stop Texting.mp3" kommt mit einem eisigen Gameboy-Synth ums Eck und holt auf einmal ganz andere Farben in das nostalgische Klangbild. Melancholischer. Aber es fügt sich trotzdem wunderbar ins Gesamtbild ein.
"Let Me Update My Status" ist ein wunderbares Beispiel, wie man Nostalgie musikalisch bearbeitet. Es nimmt Sounds und Erinnerungsfetzen, aber bettet sie durch moderne Arbeitstechniken und neue Gedanken im Songwriting radikal neu zusammen, so dass die Kontraste und inneren Widersprüche in Klang, Attitüde und Anwendung deutlicher hervortreten. Es versteht durch das Zurückblicken besser, was passiert ist und dadurch auch besser, warum es eigentlich funktioniert hat. Und so kommt ein Tape zustande, das nicht nur absurd und wunderbar und tanzbar ist, sondern auch ein irgendwie rührender Liebesbrief an Jugendkultur und das wilde Musikmachen ist. Man war ein Trottel, damals, aber irgendwie war es dann ja doch geil.
1 Kommentar mit 4 Antworten
"Für alle, die früher wirklich die tieferen Cuts in den Soulja Boy-Mixtapes oder die obskureren Gucci Mane-Trapaholics-Tapes gehört hat"
Entweder "Für alle, die [...] haben" oder "Für jeden, der [...] hat".
Schön dass das jemand liest
Ja, aber... sollte das nicht eigentlich jemand bei euch lesen und zwar noch bevor jemand von uns die Gelegenheit dazu bekommt, es hier zu lesen..?
du solltest mal lesen, was wir hier manchmal lesen, bevor ihr lest, was ihr dann lest. dann würdest du wissen, dass wir das tun, und verstehen, dass wir auch manchmal was übersehen.
Point taken.