laut.de-Kritik
Systemkritik im Stile Adornos statt plumper Kampfparolen.
Review von David Hutzel"Was wurde aus dem Traum / Und was aus der Revolte?", artikuliert Sänger Paul Pötsch im Song "Revolte" sachte und dennoch mit dem Wissensdurst der jungen Tocotronic. Ist unserer Gesellschaft das Lechzen nach Utopien, das Aufgehen in Träumereien abhanden gekommen? Das Debüt "Trümmer" der gleichnamigen Hamburger Band stellt viele Fragen. Doch genauer betrachtet liefern sie die Antworten gleich mit.
Hätten sich diese drei jungen Herren, die zweifelsohne Aufbruch wie Negierung von Bestehendem gleichermaßen verinnerlicht haben, vor zwanzig Jahren zur Hamburger Schule zählen können? Trümmer bedienen sich jedenfalls auch derer von Frankfurt, wie es nur wenige deutschsprachige Künstler zuvor vermochten: Trümmer wollen ihre Musik als Politikum verstanden wissen.
Jedes Wort auf dem Album fügt sich einer klaren Haltung. Die lautet zweifellos: Sich auf Trümmer einzulassen bedeutet, sich auf das Reformistische einzulassen. Auf Kritik an Kultur und Sein. Denn die Kulturindustrie unterdrückt die Entwicklung eigener Gedanken. Meinen jedenfalls Trümmer – und verbreiten auf ihrem Debüt deshalb sachten, poetischen Aufbruch: "Unsere Lügen sind wahrer als das, was man uns auftischt / Wir sind wie Geisterfahrer, alles ist so, wie es ist." ("In All Diesen Nächten")
Damit greift die Band ein Thema auf, das schon Adorno vor einem halben Jahrhundert am Herzen lag. Darf Popmusik das? Ja, denn was Adorno in seiner Kulturkritik damals formulierte, trifft doch gerade auf die heutigen Generationen zu: Es fehlt an Selbstbestimmung, an Leitmotiven und Idolen, an die es zu glauben gilt und für die es sich einzustehen lohnt.
"Wo Ist Die Euphorie" mahnt das ganz besonders an, wenn kratzender und schreiender Gesang in verschwommener Schönheit auf düsteren Post-Punk trifft. Musikalisch zeigt sich die Platte nur etwas weniger vielfältig als in Sachen Texte: Trümmer ist mal melodisch und griffig (sogar Klavier und Bläser hört man zwischenzeitlich heraus), um sich im nächsten Moment wieder einen erdigen Rock-Sound zu eigen zu machen.
Aus schwarz gemalten Perspektiven und ihrer Vorliebe für Melodien kreiert das Hamburger Trio eine Stimmung, die das subtiler macht, wobei uns durchschnittlicher Punk nur zu oft mit Plumpheit und Kampfparolen langweilt: Systemkritik. Nur Gitarrengeschrammel, der knarzende Bass Tammo Kaspers und die straighten Drums von Maximilian Fenski erinnern schließlich an die Punk-Wurzeln Trümmers ("Straßen Voller Schmutz"). Darauf verpackt Paul Pötsch sein zugegebenermaßen schweres Gedankengut so, dass es federleicht über den Akkorden klingt.
Der Sänger hat augenscheinlich Spaß am Spiel mit Wortästhetik und pittoresken Metaphern: Er schleift der deutschen Sprache kurzerhand die Ecken ab, die man ihr – besonders innerhalb der Pop-Kreise – immer vorwirft, was dann deutschen Bands als Vorwand dafür dient, stattdessen sinnbefreit auf Englisch zu texten. Schwulst-Entgleisungen im Stile Jochen Distelmeyers hier und da sind wohl eines der wenigen Dinge, die man Paul Pötsch überhaupt vorwerfen kann.
Darf eine so junge Band sich solch existenzieller Fragen annehmen? Und wenn ja, darf sie sich selbst dabei noch für voll nehmen? Trümmer nehmen sich auf ihrem Debüt ernst, ohne dabei zu verkrampfen. Doch das ist nur einer der Gründe, warum die Band mit ihrem Debütalbum reichlich Erfrischung in die deutschsprachige Gitarrenszene bringt.
1 Kommentar
Sehr schönes Album. Gefiel mir schon beim ersten Druchlauf!