laut.de-Kritik
Mehr Energie als jeder Silbermond-Gitarrenpart.
Review von Stefan JohannesbergDer Chansonnier ist allein. Was das Leben vieler großer Künstler kennzeichnet, erlebt Udo Jürgens bei jedem Konzertbeginn: Einsamkeit vor vielen Menschen. "Und wofür ich auch Worte fand, für Frieden, Freiheit, Vaterland, kein Grund war je so wesentlich wie du - und ich gehe ans Klavier", singt er in den ausverkauften Saal hinein, als ob das Publikum nicht da wäre.
Die Udo-Unerfahrenen rätseln noch: "Meint er etwa uns oder redet er von einer seiner zahlreichen Lieben?" Die Udo-Kenner dagegen wissen: Seine Liebe machte nicht vor den Frauen halt, sondern schloss auch immer seine Zuhörer tief ins große Herz mit ein. Und dann erwacht der österreichische Orkan zum Leben. Die Einsamkeit ist vorbei.
Udo swingt, rockt und groovt mit dem Pepe Lienhard-Orchester, das schon in Hapes "Lets Dance"-Show die Glanztöne setzte. "Jetzt Oder Nie" heißt der Slogan und Titeltrack des letzten Studioalbums, in dem Jürgens gegen seine alten Feinde, die Miesmacher und den deutschen Nietzsche-geprägten Jammer-Standard wettert. Jene Charaktere, die sich natürlich auch heute Abend wieder im Publikum befinden.
Doch selbst den Schnauzbartträgern ist jetzt alles egal, jetzt lauscht man König Udo, dem großen Charmeur, der live seine Sternstunden, seinen Sex mit ihnen feiert. Vergessen die etwas altbacken wirkende Produktion der letzten Studioalben. Auf der Showbühne drängen die zehn Stücke des neuesten Werkes "Jetzt Oder Nie" nach vorne, wirken frisch wie der Sänger selbst.
Trotz dessen 856.738sten Auftritts, trotz dessen x-ter Live-Scheibe. Denn Udo Jürgens ist in seinem Release-Rhythmus, in seiner Showstruktur ähnlich berechenbar wie die Spielweise des Fußball-Weltmeisters. Aber auch so erfolgreich.
Jedes Album, eine Tour. Jede Tour ein Live-Album: Doch wer dem Mann mit dem Bademantel hier Abzocke unterstellt, tut ihm Unrecht. Selbst die Die-Hard-Fans freuen sich noch über Perlen, die der Star selten oder noch nie auf offizielle Konzermitschnitte gepackt hat.
"Nach All Den Jahren" zum Beispiel. Oder ein verschwundenes Kleinod, in dem Mellow-Udo fragt: "Ist mein Leben richtig gewesen?" Ja, der Liebe des Publikums sei Dank, lautet seine eigene Anwort.
Diese Liebe gibt er mit den unvermeidlichen Klassikern artig zurück. Und doch versprühen seine Medleys immer noch mehr Energie als ein Silbermond-Gitarrenpart. Die Hits kommen nun in kürzeren Abständen, der Smoking ist ab, der Lack noch lange nicht.
"Der Verkaufte Drachen", "Vielen Dank Für Die Blumen", "Ich War Noch Niemals In New York", mit der üblichen Sinatra-Interpretation und dann nur noch Bademantel.
Udo ist jetzt Kaiser Franz. Und wie dieser 1990 in Rom, leise über den Platz schwebend, beendet er mit "Was ich dir sagen will, fällt mir so schwer. Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier, jede Vorstellung, wie er sie begann. Allein, aber nicht einsam.
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