laut.de-Kritik

In Trippelschritten der Gegenwart entgegen.

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Ulrich Tukur sei ein "im besten Sinne altmodischer Geist", verrät der Pressetext zum Album. Tatsächlich zeigt sich das bereits in seiner Haupttätigkeit als Schauspieler, die von konservativ angelegten Rollen geprägt ist, die, wie der Baron in Michael Hanekes "Das weiße Band" oder der Oberstleutnant im Oscar-Preisträger "Das Leben der Anderen" bevorzugt Machtpositionen innehaben. Selbst in seinen durchaus experimentellen "Tatort"-Ausgaben, über die sich regelmäßig die Wut der Krimirepublik und der Bild-Zeitung entlädt ("Glatte 6 für diesen 'Tatort'!"), spielt er mit seiner gesetzten Ausstrahlung.

Wertkonservativ und traditionsbewusst zeigt sich Tukur auch an der Seite seiner musikalischen Mitstreiter Kalle Mews, Ulrich Mayer und Günter Märtens. "Wir tricksen nicht, singen und spielen sogar noch selbst. Das ist alles einfach und ehrlich", erzählte er gegenüber ganzewoche.at, "Wir haben mit alten Mikrofonen aufgenommen und die digitalen Audiosequenzen in der Nachproduktion über eine analoge Tonbandmaschine laufen lassen. Dadurch bekommt das Ganze etwas angenehm Weiches". Es solle gar eine Vinylplatte geben, freut er sich, ein "letztes Aufbäumen analoger Konservierungstechniken".

Neun Jahre nach "Let's Misbehave!" covern Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys für "Es Leuchten Die Sterne" erneut Jazz-, Swing- und Chanson-Klassiker hauptsächlich aus den 1930er Jahren. Zum Einstieg tänzelt "die älteste Boyband der Welt" beschwingt in den Feierabend. "Der Tag hat dir Mühen und Sorgen gemacht, die Nacht will Freude bringen", singt Tukur mit Spaß und Leichtigkeit das Titellied des gleichnamigen Revuefilms von 1938, dessen überschaubare Instrumentierung die - trotz aller herrschenden und heranziehenden Krisen - übersichtliche Welt seiner Zeit zu spiegeln scheint.

"Le Soleil Et La Lune", ein humoriger Chanson von Charles Trenet (1939), steht Ulrich Tukur am besten zu Gesicht. Schwieriger gestalten sich englischsprachige Stücke wie "Anything Goes" aus Cole Porters Musical gleichen Titels von 1934, dem es in den Händen der Rhythmus Boys ein wenig an Geschmeidigkeit fehlt. Auf "Music, Maestro, Please" kürzen sie den instrumentalen Teil des Originals von Jazz-Trompeter Tommy Dorsey unnötig ein, konsultieren aber zumindest mit Till Brönner einen passenden Blechbläser. In Glenn Millers "Tuxedo Junction" (1939) kehrt dieser für einen weiteren Auftritt zurück.

Vereinzelt verhebt sich Tukur an der Qualität seiner Vorbilder. Eva Busch, Ehefrau des Schauspielers Ernst Busch und Überlebende des Konzentrationslagers Ravensbrück, streifte einst durch das verregnete Berlin der 1930er Jahre. Obwohl sie sich in "Nasse Lyrik" auf Alltagsbeobachtungen beschränkt, inszeniert sie es derart weltverloren, fast irreal, dass es nicht dazu einlädt, es aus seinem historischen Kontext zu reißen und ungezwungen nachzusingen. So funktioniert es nur mittelprächtig, wenn sich der Gelegenheitssänger durch das rätselhafte Chanson wispert.

Auch die Ausflüge in die 1950er Jahre fallen durchwachsen aus. Die morbide Ballade "Il Vecchio Frack" (1955) des dreimaligen italienischen ESC-Teilnehmers Domenico Modugno klingt mit Akkordeon-Unterstützung bei dem Quartett eher nach dolce Vita als nach Lamento. Fred Buscagliones "Guarda Che Luna" stieg 1959 mit Beethovens "Mondscheinsonate" ein, steigerte sich in kraftvoll pathetischen Jazz hinein und fand einen bondartigen Big-Band-Ausstieg. Daneben wirken Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys doch eher wie etwas blasse Chansonnier-Cosplayer.

"Wir nehmen nur unsere Musik ernst, uns selbst nicht", gab Ulrich Tukur vorab zu Protokoll. Das lässt sich raushören und erhöht den Sympathiewert des Quartetts enorm. Dennoch fehlt den "vier hochgradig charmanten Herren" das herrlich entrückte Auftreten des artverwandten Max Raabe. "Das Lebensgefühl heute ist ein anderes", gestand der Frontmann gegenüber dem RBB, "Du musst damit ein bisschen witzig umgehen und es leicht modernisieren, dass die Menschen einen neuen Zugang dazu bekommen". So geht es maximal in Trippelschritten der Gegenwart entgegen.

Trackliste

  1. 1. Es Leuchten Die Sterne (mit Anne de Wolff)
  2. 2. Anything Goes (mit Anne de Wolff)
  3. 3. Music, Maestro, Please (mit Anne de Wolff und Till Brönner)
  4. 4. Il Vecchio Frack
  5. 5. Between The Devil And The Deep Blue Sea
  6. 6. Nasse Lyrik
  7. 7. Das Großstadtlied
  8. 8. Le Soleil Et La Lune
  9. 9. Guarda Che Luna
  10. 10. Tuxedo Junction (mit Till Brönner)
  11. 11. Sie Will Nicht Blumen Und Nicht Schokolade
  12. 12. Get Out And Get Under The Moon (mit Anne de Wolff)
  13. 13. Traummusik
  14. 14. Kleiner Bär Von Berlin

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