laut.de-Kritik
Für Fans des Gestern: beschwingte Schellack-Poesie.
Review von Artur SchulzDie etwas aus der Mode gekommene Umschreibung "Tausendsassa" passt bestens zu Ulrich Tukur. Nicht nur ein weiterer singender Schauspieler - nein, auch als Theater-Intendant, Hörbuchsprecher und Buchautor stellt er seine Talente in den Vordergrund. Die Befähigung in Sachen Musik hat er in Zusammenarbeit mit den Rhythmus Boys dabei längst unter Beweis gestellt.
Sein "Mezzanotte" trägt den Untertitel "Lieder Einer Nacht". Denn ausschließlich darum geht es: Tukur trägt 16 deutsche und internationale Classics vor, deren gemeinsames Thema die Stunden zwischen Sonnenunter- und Aufgang darstellen. Bei der Auswahl war wichtig, besonders Titel zu nehmen, die noch nicht von der Evergreen-Dudelmaschine totgeleiert wurden. Zwei zusätzliche, brandneu komponierte Tracks ("Willy Williams", "Die Großstadt Träumt") fügen sich harmonisch dazu (Hidden Track inklusive).
Mit leisen, doch schwungvollen Schritten tapst die "Mitternacht, Mitternacht" als Begrüßung ins Zimmer, im Gepäck alle Versprechungen einer Welt unterm nächtlichen Himmelszelt. Beschwingten Swing bietet "Das Großstadt-Lied (Über Den Dächern Der Großen Stadt). "Ausgerechnet Heute Abend" beschreibt männliche Sehnsüchte nach der Liebsten, deren Erfüllung sich später in "Du Und Ich Im Mondenschein" vollzieht.
Tukur begibt sich nicht auf die Max Raabe-Schiene. Er und der Palastorchester-Chef beackern sicherlich ähnliches Terrain in Zeitepoche und Stil. Doch in Sachen Umsetzung und Interpretation gibt es viele bunte, spannende Unterschiede. In Tukurs Kunst mischen sich verstärkt Aspekte aus Kabarett, Jazz, großem Varieté und auch liebenswertem Kleinkunst-Theater. Er mag nicht der größte Sänger sein - doch Tukur intoniert vorzüglich, absolut glaubwürdig und treffsicher.
"Venezia, La Luna E Tu" bedeutet für den Venedig-Liebhaber Tukur natürlich ein Muss und bietet amüsante Paolo Conte-Momente mit Tango-Rhythmen und zerschmelzenden Violinen. "Illusions", diese wunderbar zeitlose Nummer aus der Textfeder Friedrich Hollaenders, führt in vorliegender Version besonders sentimental an den Rand der Abgründe des Lebens. "Le Soleil Et La Lune" gestaltet sich dank des speziellen französischen Esprits höchst mitreißend. Für Fans des Gestern begeistert Tukur als untadeliger Schellack-Poet.
Eines der Highlights des Albums stellt "Hörst Du Das Meer?" dar. Diese Nummer ist als Duett konzipiert, und Tukur präsentiert als Partnerin eine ganz besondere, große alte Dame: Margot Hielscher, UFA-Partnerin der unvergessenen Marlene Dietrich, zeigt stimmlich noch immer das, was eine Diva klassischen Zuschnitts ausmacht - und das mit über neunzig Jahren. Die Gesangsarbeit der Hielscher gestaltet sich wärmer und voluminöser, als etwa im Spätwerk der vergleichsweise jüngeren Kollegin Hildegard Knef.
Geliebte Nacht! Vielen stellt sie die lebenswertere Realität des Daseins da - abseits der Zwänge des Tages und lästigen Verpflichtungen wartet im Funkeln des Sternenlichts eine bessere Zeit. Für Träume und Versuchungen, denen es unbedingt nachzugeben verlangt.
"Die Sonne lehrt alle Lebewesen die Sehnsucht nach dem Licht. Doch es ist die Nacht, die uns alle zu den Sternen erhebt," schreibt der Dichter Khalil Gibran. Tukurs fein zusammengestellte Kollektion trägt wunderbar dazu bei, diesen Mythos weiterhin mit Leben zu erfüllen.
1 Kommentar
wer hört sich denn sowas an?