laut.de-Kritik

Sie grooven so monströs wie der gute Nils Petter zu besten "Khmer"-Zeiten.

Review von

Wer Norwegens künstlerisch wichtigste Band sucht, wird nicht bei A-ha fündig; auch nicht bei den zahlreichen Metalwerkern.

Ulver - die Wölfe - stimmen vier quälend lange Jahre nach der letzten Großtat "Shadow Of The Sun" endlich erneutes Geheul an. Mit "War Of The Roses" geht das Rudel noch einen Schritt weiter. Genreschubladen sind nicht einmal mehr Schall und Rauch. Diese 'Rosenkriege' taugen hingegen als Beweis der totalen Fusion fast aller Musikstile. Ein großer Wurf mit kleinen Schrammen.

Ober-Ulv Kristoffer Rygg hat mit seinen Mannen spätestens hiermit jenen Status des totalen Künstlertums erreicht, an dem der bloße Bandname schon für sich zur Marke und Stilikone aufsteigt. Das Brilliante an Ulver ist die fast aufreizend lässige Beiläufigkeit der komplexen Ströme. Eben jene Selbstverständlichkeit, mit der sie uns ihren unfassbaren Stilcocktail servieren. Die Werwölfe aus Oslo haben – so scheint es – quasi jede einzelne Musikrichtung für sich erschlossen. Von allem, was das Büffet hergibt, nehmen sie sich das jeweilige Filetstück zur Umwandlung in den Kosmos Ulver. Egal ob Black-Music oder Black Metal – am Ende wird alles der Wölfe fette Beute.

Solches Vorgehen macht die Raubtiere zu Musik-Anarchisten im allerbesten Sinne. Zwar brechen sie in jedem einzelnen Lied mit zahlreichen Gesetzen. Im Gegensatz zu vielen Kollegen beherrschen sie gleichwohl jede einzelne gekippte Regel. Szenetypische Berührungsängste oder gar Vorurteile existieren dabei nicht. Damit geben sie nicht nur die Messlatte vor. Sie definieren das Ziel: Die totale Verschmelzung! So weit ist noch keiner der Kollegen durch Mordor hindurch gegangen. My Dying Bride und Moonspell haben den Pfad des Experiments längst zugunsten smarter Genreperlen aufgegeben. Opeth sind erst ein Stück des Weges aus der babylonischen Metalgefangenschaft gegangen. Und Tiamats Johan Edlund sitzt – nach vielversprechend psychedelischem Start auch seit 15 als Vizegoth in der Sackgasse Of Mercy. Lediglich Kollege Ihsahn scheint sich mit seinen Projekten auf einer ähnlichen Reise zu befinden.

Das Kernstück "Providence" bringt es musikalisch auf den Punkt. Neu ist hier tatsächlich die Hinwendung zu souligen Strukturen. Warum also nicht Bandkumpel und Norwegens Souldiva Siri Stranger einladen? Letztere ist hierzulande zwar relativ unbekannt, international arbeitet sie jedoch mit Showbizgrößen wie Wyclef Jean zusammen. Zu einem ebenso zärtlichen wie fordernd angeschlagenen Pianothema des stets hervorragenden Tasten-Ulv Tore Ylwizaker duellieren sich Feuer und Eis bis zum totalen Patt. Sinnlich umspült Siris warme Charakterstimme die bewusst schroff felswandigen Vocals des Nordmannes wie ein sanfter Lavastrom. Einen Sieger gibt es indes nicht. Nach einer schicken Edelnoiseattacke samt fett attackierender John Zorn-Klarinette mündet das ganze in der totalen Zerkrümelung. Damit haben sie den roten Faden des Albums auf den Punkt gebracht: Verfall und Niedergang menschlicher Kulturgesellschaften. Als Topic nicht unbedingt neu, aber ansprechend umgesetzt.

Ihr industrieller Ansatz zur Dekonstruktion ist dabei ausnahmslos puristisch. Damit stehen sie in direkter Nachkommenschaft zu Freigeistern wie Throbbing Gristle oder Coil. Mit dem Schminktopf-Industrial typischer Elektrorock-Vogelscheuchen haben sie nichts gemein.

"September IV" setzt in der ersten Hälfte eine Tasse typisch skandinavischen Psilo-Tee auf. In der zweiten Hälfte entwickelt sich der Track zum Inferno. Mit traumwandlerischer Sicherheit bedienen sie sich der richtigen Vorbilder. Norwegens Darkjazz-Gott steht hier ganz bewusst im schillernden Rampenlicht. Doch die Lykantropen klingen nicht lediglich entfernt wie Molvaer; nein. Sie grooven so monströs hypnotisch wie der gute Nils Petter zu besten "Khmer"-Zeiten. Schon das diabolische Solo auf der Höllenorgie funktioniert als schicker wie substantieller Ear-Catcher. Grandios!

Wo andere Bands sich schon aufgrund der eigenen unheilvollen Begrenztheit in billige Goth-, Folk- oder Prog-Klischees flüchten, serviert Rygg zwischendurch gerne kammermusikalische Dynamikpausen sowie einen Klargesang, der gern ins Chor- und Kantatenhafte changiert. Man bemerkt hier in jeder Sekunde den versierten Klassiker im Bandchef.

Sie müssen lediglich darauf achten, nicht in jedem Song all zu viel zu wollen. Das überlange Lamento "Stone Angels" trumpft zwar als im Kern gelungene Klangcollage auf. Doch selbst Gaststar Stephen Thrower (Clive Barker-Mate und Ex-Coil) kann mit seiner großartig zwischen Pathos und Avantgarde wiehernden Hyänentröte nicht über die Langatmigkeit und wenig gelungene Dramaturgie hinwegtäuschen. Ohnehin ist der Spannungsbogen nicht selten die Achillesferse der Ulver. Hier gewinnt, wer sich nicht sklavisch an die vorgegebene Tracklist hält. Sobald man die eigene Chronologie für diesen Songzyklus gefunden hat, beginnt die Zeit der Wölfe samt Suchtfaktor von ganz allein.

Trackliste

  1. 1. February MMX
  2. 2. Norwegian Gothic
  3. 3. Providence
  4. 4. September
  5. 5. England
  6. 6. Island
  7. 7. Stone Angels

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LAUT.DE-PORTRÄT Ulver

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14 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Oha, das klingt aber mal anstrengend. Ich vermute, das gehört einmal mehr in die Kategorie "Offenbart nach dem 127. Anhören so langsam seine wirkliche Qualität." Oft bewundere ich die Leute, die geduldig so viel Zeit aufbringen.

  • Vor 12 Jahren

    Ulver sind schon toll, aber richtig zu überzeugen wussten mich bisher doch nur die beiden Werke ´Shadows of the Sun´ und das noch wesentlich genialere `Perdition City´...vielleicht schaffen es die Jungs mit der aktuellen Scheibe?! Da höre ich auf alle Fälle rein!

  • Vor 12 Jahren

    Auch wenn ich abgesehen von besagtem Groove bezweifle, große musikalische Ähnlichkeiten zwischen "Khmer" und dem hier rezensierten Werk zu finden, reicht mir allein die detaillierte Beschreibung des Hrn. Anwalts, die mir bisher völlig unbekannten Ulver mal anzutesten. Ich hoffe nach langer Zeit mal wieder auf einen Geheimtipp aus dem laut-Revier...

  • Vor 12 Jahren

    baah endlich sind ulver au mal bei laut.de gelandet :D echt schade wie die auf metal-hammer.de niedergemacht werden mit ihrem neuen zeug...an sich is des neue album echt klasse (february mmx,wenn auch der poppigste,doch mein lieblingssong davon) nur leider is es live n bissal anstrengend,wenn man unr stehn kann und noch nicht das komplette neue album kennt..aber trotzdem ne geile show gewesen in karlsruhe..ulver sin halt einfach weg von allen-einfach mal ein,zwei,zehn schritte vorraus..ich schwörs: in 5 jahren oder so hörn wir ähnliches zeug im radio,aka: elektro meets classic: william blakes themes (199?) daft punk-tron (2011)

  • Vor 12 Jahren

    Metal-Hammer.de und ihre Reviews sind fast so peinlich manchmal wie hier. Also, da braucht man auch keinen Pfifferling darauf geben. Ich muss sagen, dass Ulver mich nur mit ihrem Raw-Black Metal-Album überfordert haben. Das geht ja gar nicht. Ansonsten sind Ulver eben eines: Innovativ und atmosphärisch (in jede Richtung). Eine vielschichtigere Band wird sich schwert finden, die auch jedes Mal den Spagat schafft. Und das mit dem Voraus kann man unterschreiben, wenn man sie mal "Bergtatt" anhört und die ganze Schiene der Post-Agalloch-Bands, die heute so erfolgreich sind.

  • Vor 12 Jahren

    Wie sies machen.. machen sies richtig? Genau das tun sie. Großartiges Album von einer der wandlungsfähigsten Band überhaupt. Wo Ulver drauf steht, ist auch Ulver drin. Egal ob man sich ein frühes Black Metal Album gibt oder eben War of the Roses (nebenbei bemerkt lohnt sich die Anschaffung der Ulver Disographie ungemein, die Entwicklung ist einfach genial). Viele TrueMetalHeads wollen zwar nicht verstehen, dass auch andere Musikrichtungen gut sein können (manchmal auch besser) aber wen störts? Mich jedenfalls nicht. 5/5 Punkten.

    so genug gelobhuddelt, ich hör jetzt Island :)