laut.de-Kritik
Viel Rauch um wenig Beatles.
Review von Giuliano BenassiIm Februar 1964 landen die Beatles in New York und schaffen etwas bis dahin Unvorstellbares: Als englische Band erobern sie die USA. Ein Ereignis, das umso überraschender ausfällt, weil sie dabei den größten Star im Lande, Elvis Presley, in den Schatten stellen. Schon am Flughafen warten Tausende, um einen ersten Blick auf die vier jungen Musiker aus Liverpool zu werfen.
Wie groß das Interesse ist, beweist ihr erster von vier Auftritten bei der Ed Sullivan Show. Es handelt sich dabei um eine Unterhaltungssendung am Samstag Abend, die mit einer Mischung aus live vorgetragenen Liedern, Trickspielen, Komödianteneinlagen und Werbung das Publikum bei Laune hält. Sichtlich aufgeregt steht der elegante Showmaster zu Beginn vor einem Vorhang und kündigt an, dass "The Beatles just received a wire from Elvis Presley and Colonel Parker, wishing them a tremendous success in our country".
Glückwünsche vom Idol, dazu beim ersten Auftritt in seinem Land und bei einer erfolgreichen Sendung: Besser kann es für die Beatles wahrlich nicht anfangen. Und doch ist es nur der Einstieg, denn als sie "All My Loving" anstimmen, schauen ihnen 73 Millionen Menschen zu, mehr als je zuvor im noch relativ jungen Medium TV. "Man sagte mir, dass während wir spielten, keine einzige, oder nur ganz wenige Meldungen bei der Polizei eingingen. Als die Beatles bei Ed Sullivan auftraten, legten sogar die Kriminellen eine zehnminütige Pause ein", erinnert sich George Harrison in "The Beatles Anthology" (2000).
So viel zum historischen Rahmen, dem bei dieser Doppel-DVD eine besondere Bedeutung zukommt; schließlich sind auf ihr nicht nur die Auftritte der Beatles zu sehen, sondern die gesamten vier Shows. Erstaunlich, wie einfach die Zuschauer damals zufrieden zu stellen waren: Die Kulisse besteht aus einem Vorhang und einer Bühne; das Publikum klatscht artig und ist nur bei den Beatles kurz zu sehen, als die jüngere weibliche Schar dem unvermeidlichen hysterischen Anfall zum Opfer fällt; Sullivan erscheint lediglich zwischen den Acts und führt sie mit ein, zwei Sätzen ein, wenn nicht eh eine Werbeunterbrechung an der Reihe ist.
Bei Werbung und Showbeiträgen sind die Unterschiede zu heute am größten. Rasierschaum, Schuhputzmittel, Schmerztabletten oder Backhilfen: Die Spots sind so simpel, dass schon Nena mit ihrem Waschmittelgesülze wie Science Fiction daher kommt. Noch eklatanter fällt die unkoordinierte Auswahl der Gäste aus. So erscheint bei der Rekordsendung unmittelbar nach den Beatles ein Zauberer, der die simpelsten Kartentricks ausführt, was ungefähr so interessant wirkt wie eine Rede von Hans Eichel nach einem Konzert von Motörhead. Von den vier Stunden Dauer dieser Aufzeichnungen bleiben nur wenige Auftritte in Erinnerung: die walisische Komödiantin Tess O'Shea, die Komiker Allen & Rossi und der unvergessliche Cab Calloway.
Erstaunlich auch, wie wenig die anderen Gäste Bezug auf die Stars der Sendung nehmen. "My daughter is waiting outside. She used to be a beetle, but somebody stepped on her", erzählen zwar McCall & Brill und bringen dabei das Publikum zum Lachen, ansonsten sind die Welten getrennt - nur noch Allen & Rossi bauen Anspielungen in ihre Sketche ein. Sind sie alle nervös, oder vielleicht doch sauer? Souverän zeigt sich dagegen Sullivan, der nur zu Beginn der ersten Sendung eine gewisse Nervosität offenbart. "You've been a fine audience despite severe provocation", verabschiedet er sich dankend am ersten Abend, und krempelt seine Sendung in der folgenden Woche komplett um: Die Übertragung erfolgt aus Miami anstatt aus New York, im Angebot stehen auch Außenaufnahmen und professioneller gestaltete Werbesendungen, das Publikum ist Teil des Geschehens und nicht lediglich eine Beifallmaschine.
Die Auftritte der Beatles selbst fallen recht ernüchternd aus. Zwar spielen sie insgesamt zwanzig Stücke, mehrmals aber auch die gleichen; "I Want To Hold Your Hand" ist zum Beispiel gleich dreimal dabei. Der Klang ist mies, das Schlagzeug so simpel, dass nicht mal Tchibo es heutzutage als Basiskit verkaufen würde. John Lennon und Paul McCartney teilen sich artig den Job als Leadsänger, auch Ringo Starr darf bei "Act Naturally" mal die Hauptrolle übernehmen. Alleine George Harrison muss sich mit seiner Gitarre und Hintergrundbegleitung zufrieden geben. So unvermittelt sie im Bild erscheinen, so schnell verschwinden sie wieder nach dem Ausklang der letzten Noten. Für ein Gruppenbild mit Sullivan bleibt zwar noch Zeit, nicht aber für ein paar Sätze oder gar ein kurzes Interview.
Angesichts des hohen Preises fällt das Urteil zu dieser DVD ernüchternd aus. Die Idee ist gut und die Umsetzung gelungen, aber neben den Auftritten der Beatles bietet sie wenig Interessantes. Vielleicht eignet sich das Material auch für soziologische Untersuchungen, wie das Label sein Produkt anpreist, da kann man sich aber genauso gut einen Spielfilm aus der damaligen Zeit anschauen. Wer wirklich an den Beatles interessiert ist, sollte sich lieber ihre vorzügliche "Anthology" auf fünf DVDs zulegen.
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