laut.de-Kritik

Einblicke in die Plattensammlung der Garage Rock-Psychos The Cramps.

Review von

Vor vier Monaten fand man in Detroit einen Teil der Plattensammlung von Hip Hop-Legende J Dilla. Die circa 8.000 Alben sind zwar zu großen Teilen Ramschware, die man auf jedem Flohmarkt für einen Euro hinterhergeworfen bekommt, trotzdem gehen die durch die Aura Jay Dees aufgewerteten Platten, die der glückliche Finder nun in seinem Plattenladen verkauft, weg wie warme Brötchen.

Die Plattensammlung von Radio-Legende John Peel hingegen wird derzeit akribisch archiviert. Die ersten 100 Alben eines jeden Buchstabens des Alphabets werden online gestellt. Das sind nur zwei Beispiele einer neuen Art der Fetischisierung von Musikern und Musik-Kennern.

Ein weiteres? Die Plattensammlung wieder anderer Legenden – dem Ehepaar Lux Interior, der vor drei Jahren starb, und Poison Ivy von den Cramps – wird ab sofort in Form von Compilations der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Da speichelt es im Mund! Schließlich waren die Cramps nicht nur eine der verrücktesten Bands überhaupt, sondern auch so vielseitig wie bedeutend: Garage Punk, Psychobilly oder Goth Rock sind gleich drei Genres, die sie maßgeblich vorantrieben.

Das Cramps-Ehepaar dürfte also eine der interessantesten "Plattenberg" (so die Bezeichnung auf der LP-Hülle) überhaupt besitzen, zumindest was Rock'n'Roll, R'n'B und Punkrock angeht. Die besten Songs daraus werden jetzt nach und nach auf Schallplatten gepresst. Die erste Ausgabe der Serie heißt "Beat From Badsville Vol. 1" (nach einem Cramps-Album) und versammelt 24 Stücke. Man weiß schon vorm Anhören, dass man hier keine dieser immer gleichen "Best of the 60s"-Compilations in den Händen hält.

Das Album ist in viermal sechs Stücke unterteilt, auf jeweils einer Schallplattenseite (es ist natürlich ein Vinyl-only-Release). Das erste Sextett kommt aus der Schublade "Lip Curling Rock'n'Roll". Lip curling, das war die Spezialität eines ganz großen unter den Rock'n'Rollern: Richtig, Elvis. Dem King hätten diese ersten sechs Songs auch durchweg gut zur Schnute gestanden. Allerdings klingen sie ein ganzes Stück ungeschliffener als die oft arg schnulzig geratenen Presley-Songs, selbst im Vergleich zu dessen frühen Sun Recordings. Vergessene Namen wie Johnny Jay oder Hayden Thompson zeigen, an welchen Elvis wir uns vielleicht erinnern würden, wenn er nicht als G.I. nach Deutschland gegangen und als Schmalzbacke zurückgekehrt wäre.

Auch die B-Seite macht richtig Laune, gleich beim ersten Song, "Tight Skirt Tight Sweater" von den Versatones. "Crazy Mixed Up Sounds" ist sie betitelt, und bei Liedern, die äußerst anzüglich von gewissen "Guggles" und "Zouches" erzählen und in denen fast schon dadaistisch "Jibba Jab", "Yea-De-A-Hay" oder "Boo Be Ah Be" gesungen wird, weiß man auch, warum. Endlich zumindest ein bisschen von der erwarteten Verrücktheit, wie man sie von den Cramps kennt.

Seite drei bietet flotte Instrumentals. Von Surf-Rockern, die einem Tarantino-Film gut gestanden hätten ("Dragon Walk" von The Noblemen) über bluesige Tanz-Nummern, die auch in Barry Levinsons "Diner" nicht fehl am Platz gewesen wären ("Mashed Potatoes" von Noble Watts), bis hin zu kühlen, countryesken Songs, die an Robert Altmans Spätwestern erinnern ("Aaahhh" von Jimmy Witter And The Shadows), ist da alles dabei.

So richtig weird wird es hingegen erst bei den letzten sechs Liedern. Bis hierher bewegt sich nämlich alles durchaus in bekannten Fifties-Gefilden, nur dass die Songs eben allesamt unbekannt sind. Auf Seite vier nun kommen die Lieder, die man zuallererst in der Plattensammlung der Cramps vermutet: "The Joker" von Bob Bunny etwa mit seinem wahnsinnigen Gelächter, oder "The Cave (Part 1)" von Gary 'Spider' Webb mit seinen Dschungeltrommeln und den immer verzweifelter werdenden "July"- und "Jimmy"-Rufen eines Liebespaares, das sich in einer Höhle verirrt hat.

Die Platte ist etwas falsch mit "Trash Classics" untertitelt, ist Trash doch eine Lesart, die daran Spaß hat, wie offensichtlich schlecht eine Sache umgesetzt wurde. Die Songs hier sind aber allesamt großartig und richtig gut gemacht. Sie hatten lediglich das Pech, nie richtig bekannt oder aber wieder vergessen zu werden. Auf richtigen Trash, den es in der Cramps'schen Sammlung sicher auch gibt, muss man wohl noch ein paar Volumes warten. Aber will man das überhaupt?

"Beat From Badsville Vol. 1" hält die Erinnerung wach an eine rauere und rohere Seite der 60er, die uns die üblichen Compilations mit ihren größtenteils zahmen Songs vergessen machen wollen. Angesichts der blutleeren und kantenlosen Charts-Musik dieser Tage ist das auch eine kleine Offenbarung. Und, bitte: Immer her mit dieser Art von Musiker-Fetisch. Es gibt noch so einige Plattensammlungen, die man lohnend in Compilations verwandeln könnte.

Trackliste

Side 1: Lip Curling Rock'n'Roll

  1. 1. Joe Hall And The Corvettes – Bongo Beatin' Beatnik
  2. 2. Johnny Jay – Sugar Doll
  3. 3. Hayden Thompson – Blues Blues Blues
  4. 4. Walter Brown And His Band – Jelly Roll Rock
  5. 5. The White Caps – Rock'n'Roll Saddles
  6. 6. Gene Maltais – Gang War

Side 2: Crazy Mixed Up Sounds

  1. 1. The Versatones – Tight Skirt Tight Sweater
  2. 2. The Five Blobs – From The Top Of Your Guggle (To The Bottom Of Your Zooch)
  3. 3. Tic & Toc – Jibba Jab
  4. 4. Jack Judge – Yea-De-A-Hay
  5. 5. Kimball Coburn – Boo Be Ah Be
  6. 6. Playmate – Beep Beep

Side 3: Instrumental Madness

  1. 1. Willie Joe And His Unitar – Unitar Rock
  2. 2. The Noblemen – Dragon Walk
  3. 3. Noble Watts – Mashed Potatoes
  4. 4. Jimmy Witter – Aaahhh
  5. 5. The Dynamos – Manhunt
  6. 6. Ebonettes – Wild Man Hunt

Side 4: Ghoulish Exotica

  1. 1. Bob Bunny – The Joker
  2. 2. Gary "Spider" Webb – The Cave (Part 1)
  3. 3. Kip Tyler – She's My Witch
  4. 4. The Carnations – Scorpion
  5. 5. Scottie Stuart – Nightmare
  6. 6. Bob Luman – The Creep

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