laut.de-Kritik
"Gefängnis" als kleinster gemeinsamer Nenner.
Review von Alexander EngelenDas Rechtssystem der Vereinigten Staaten von Amerika ist umstritten. Das weiß man nicht erst seit dem "Three-Strikes-and-Out"-Modell. Da sich US-amerikanische Minderheiten in höherem Maße mit Polizei und Justiz auseinander setzen müssen als andere, gibt es in dieser Hinsicht schon immer ein aktives Engagement der Hip Hop-Gemeinde.
Die Compilation "No More Prisons" nimmt sich nun der Problematik der wahllosen Einbuchtung, der damit verbundenen Kostenexplosion und somit der sozialen Verwahrlosung an. Dabei agiert das Thema "Gefängnis" stets als kleinster gemeinsamer Nenner und wird von etwa 30 Künstlern aus den verschiedensten Betrachtungsweisen anvisiert.
Das Doppelalbum besteht zu einer Hälfte aus einem Re-Release des vor drei Jahren etwas untergegangenen ersten Teils der "No More Prison"-Reihe. Auf der zweiten CD kann sich der politisch-interessierte Hörer an neun völlig neuen Songs und drei Remixen von "Volume 1" erfreuen.
Getreu dem Motto des Silberlings machen die Akteure definitiv keinen Gefangenen. Besonders dem emsigen Label Raptivism sind keinerlei Vorwürfe zu machen, denn für seinen Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung hat es richtige Juwelen aus dem Underground zusammen geklaubt. Die Klasse dieser Compilation hat man demnach nicht den "Big Names" der Szene, sondern eher den unbekannteren Rap-Zeitgenossen zu verdanken.
So unterschiedlich wie die Künstler selbst sind natürlich auch ihre Styles. Da reiht sich ein traurig-romantisches Stück, getragen von dem wunderbaren Sing-Sang von Sister Asia ("Dedicated") an einen astreinen Representer-Track, der mit patentiertem DMX-Gebrülle im Refrain richtig nach vorne geht ("Where Ya At").
Dann wird nach einem Old School-Ausflug, der im Kielwasser des N.W.A.-Klassikers "Fuck The Police" fährt ("No More Prisons"), eine Ragga-Bombe gezündet, die von keinem Anderen als den Bass-Fetischisten Dead Prez selbst stammen könnte ("Murda Box"). Auf ein verschüchtertes Lehrstück in Sachen Storytelling ("Voices") folgt ein minimalistisch-rougher Fratzenhammer, der eine Bandbreite von wütend über nachdenklich bis völlig verzweifelt in knapp drei Minuten ohne Schwierigkeiten abdeckt ("M.O.V.E.").
Außerdem bot die Platte den Anlass für einige Kollaborationen, die man gerne öfters hören möchte. Auf "Evolution" harmoniert Vinia Mojica, bekannt von einigen Talib Kweli-Tracks, wunderbar mit Rapper The Last Emperor. "Elusive Freedom" sorgt besonders für Freude, indem Rap-Chanteuse Mystic mit Spontaneous und Big Dro gemeinsame Sache machen. Nach ihrem leider vorwiegend ignorierten Debüt "Learning To Breathe...", gibt Mystic endlich wieder ein hochqualitatives Lebenszeichen von sich.
Die Liste geht weiter, und wer sich für die Highlights interessiert, kann sich getrost die Tracklist abschreiben. Ob es sich dabei um einen Down-South-Banger von David Banner alias Crooked Lettaz ("Judas Factor") handelt oder die verträumte E-Gitarren Hymne "Locked" der kalifornischen Untergrund-Helden Zion I: es besteht kein Zweifel, jeder Schuss ist ein Treffer.
Die lockeren Beats sind nie zu simpel, weil die aussagekräftigen Texte sie stets hochpushen. Die Instrumentals, die nach vorne gehen, hält der textliche Inhalt durchweg im Zaum. So entsteht trotz differenzierter Sichtweisen von verschiedensten Künstlern ein homogenes Album, das sich höchstens wegen seiner hoher Qualität der Wettbewerbsverzerrung schuldig machen kann.
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