laut.de-Kritik
Ansprechende Musik für einen anspruchsvollen Film.
Review von Philipp KauseDen Roman und den Film "Die Farbe Lila" gab es längst. Dann komponierte Brenda Russell, die "Piano In The Dark"-Pianistin, ein Broadway-Musical aus dem Stoff. Jetzt liegt der interessante History-Plot "The Color Purple" ein viertes Mal vor, in der Kombi 'Musical im Film'. Neu sind etliche Songs, jetzt vom Jazz-Keyboarder Kris Bowers, manche übernimmt das Film-Team aus Brendas Broadway-Stück. Das Soundtrack-Dreifach-Vinyl fügt noch etliche Timbaland -Remixes und stilistisch passende Bonus-Beigaben hinzu.
Der Film profitiert von einem klaren Spannungsbogen, mehreren einschneidenden, überraschenden Wendungen, mit denen man wirklich nicht rechnen würde, und rundherum sehr viel Gospel- und Blues-getränkter, hochwertiger Musik. Etliche Tracks funktionieren losgelöst vom Film sehr schön, etwa eine Pianoballade mit "Taraji P. Henson - Maybe God Is Tryin' To Tell You Somethin'", die verschwommene Jazznummer mit der Hauptdarstellerin "Fantasia - Dear God - Shug" und der optimistische Rock'n'Soul "Keep Movin'".
Die Produktion in Bild und Ton geriet viel bunter als bei sonstigen Historien-Dramen, die irgendwo in die Epoche zurückführen, als man noch Pferde ritt. Wem Musicals sonst anstrengend erscheinen: Hier handelt sich's um leichte Kost, gleichwohl sie einen sehr schweren Stoff behandelt. Eine zwangsverheiratete afroamerikanische junge Frau wird zuhause geschlagen. Ihre Nachbarin und ihr Vorbild in Sachen Emanzipation wird im Streit mit einer weißhäutigen Politikergattin eingekerkert. Ein bisschen unterdrückte Queerness schlängelt sich am Rande vorbei. Alle gehen fremd in diesem Film, bis eine Frau in einer Kneipenszene bremst und selbstbewusst ruft: "Er gehört mir."
Diese Nebenrolle bekleidet H.E.R. Während sie vom Gesang her kommt und hier voll mimischer Komik schauspielert, wie es auch Jon Batiste in einer kleinen Rolle (erstmals) tut, fangen andere Berufs-Schauspielerinnen an zu singen. An mancher Stelle genial, wie "Danielle Brooks - Hell No!" zeigt: kämpferisch, ironisch, feministisch, schwungvoll.
Der Einstieg hingegen schreckt erst mal ab: So überkandidelt wie er klingt, schaut auch die Choreographie zwischen Taekwondo-Übung und Yoga in der ersten Sequenz aus. Der Mundharmonika-Blues mit "Phylicia Pearl Mpasi - She Be Mine" pflegt eine interessante Rumpel-Percussion. Im Film hacken Sträflinge in Zebrastreifen-Pyjamas das versengte Land auf. Das ist filmisch auf bizarr-komisch gemacht, plakativ in den Kamera-Winkeln, witzig als Choreographie auf den Rhythmus geschnitten. In ähnlicher Weise kleben die Beats von "Corey Hawkins - Workin'" auf den Handgriffen beim Bau eines Holzhauses.
Wenn "Fantasia + Colman Domingo - Shug Avery" singen, drücken Fantasia Barrino als Celie und Colman Domingo als 'Mister' beide ihre Vorfreude aufs Eintreffen der privat mit ihnen befreundeten Sängerin Shug Avery aus. Shug wird als Gast in ihrem Haushalt zum Beispiel mit einem Schaumbad verwöhnt. Eine eingeflochtene Traumszene ironisiert das Ganze und hält die Handlung kurz an.
Eine überdimensionale Schellack-Platte füllt den ganzen Bildschirm und dreht sich auf einem Grammophon mit Kurbel. Auf der Platte klebt in der Mitte das Etikett von Shug Averys Songtitel, auf dem Etikett positioniert sich die Badewanne in Miniatur. Auf den Rillen tanzt Celie, die Shug gerade den Rücken waschen soll. Dazu ertönt "Dear God - Shug", wunderschönes Fragment einer Jazzsoul-Ballade, das bereits in der Broadway-Inszenierung von 2005 vorhanden war und gerne länger dauern könnte. "Taraji P. Henson - Miss Celie's Blues (Sister)" blendet aufs Leben in der Stadt über: Auf die großen Bühnen weit weg in Memphis, auf denen jene Shug als Berufssängerin reüssiert.
Tragen die Songs den Film oder umgekehrt? Da lässt sich ein Patt feststellen. Denn die feurige Rhythmik und vehementen Musikvorträge, lockern, bei all ihrem Zunder, die ballastreiche Story auf. Andererseits leben die Lieder von der festen Klammer der starken Handlung, die sie beieinander hält. Alles glänzt in diesem traurigen Streifen. Selbst das Elend. Musikalisch strahlt Glanz, weil Gott immer auf der Seite der Protagonistinnen steht und der tiefe Gospel-gestützte Glaube die Songs majestätisch aufbrezelt. Immerhin, "Celeste - There Will Come A Day" greift den traurigen Unterton der ganzen Geschichte auf, das ewige Hoffen auf bessere Zeiten. "Immer ist irgendwas", sagt Harpo, der Stiefsohn der Hauptfigur, nach einem Familienstreit, der sich gewaschen hat, und fasst damit die Grundstimmung des ganzen Films zusammen (der aber auch viele lustige oder glückliche Momente hat).
Aus dem Bonus-Material ist H.E.R.s sanfte Zweisamkeits-Ballade mit Usher zu erwähnen, "Usher + H.E.R. - Risk It All", passend zum Thema. Denn auszutarieren, wie viel Risiko man eingehen kann oder sollte, ist das Thema mehrerer Schlüsselszenen des Streifens. Jorja Smith steigt in den roten Gospel-Faden des Film-Scores mit "Finally" ein. Der R'n'B-Bounzer von "Keyshia Cole - No Love Lost" saugt Aufmerksamkeit mit Fettbass an, mit elegischen Streichern und einer überaus engagierten Keyshia, die man lange nicht mehr zu hören bekam.
Neues von Mary J. Blige in "Purple Rain"-Ästhetik und von Alicia Keys runden die Kollektion ab, die damit ein ziemlich schöner Female-Sampler geworden ist, auf dem auch Jane Handcock und als Quoten-Mann October London, beide von Snoop Doggs Label, ihren Platz finden. H.E.R. legt ihren starken Gesangsauftritt "H.E.R. - Any Worse - Squeak's Song" nur auf der Platte hin, Squeak heißt ihre sympathische Filmfigur. Die hingebungsvoll geklimperte und gestöhnte Jazznummer hätte wohl das Filmtempo gebremst. Denn in dem Moment, in dem der Song in die Logik der Story gepasst hätte, ist auf der Leinwand eine Schlägerei im Gange.
Unterm Strich sind beide Gewerke nicht perfekt: Weder der Film, dem man mehr Innenansichten der Figuren wünschen würde, noch der Soundtrack, der sich nach hinten raus in einer Sampler-haften Kraut- und Rüben-Struktur zwischen kühlen Remixes und tiefem Herz-Schmerz verliert. Trotzdem vermitteln beide Produkte viel Input, Gefühl und Leidenschaft und unterhalten auf hohem Niveau.
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