laut.de-Kritik
Der König spricht aus dem Knast zu uns.
Review von Jan EhrhardtVybz Kartel polarisiert wie kaum ein anderer jamaikanischer Dancehall-Star: Sich selbst bezeichnet er als 'World Boss', von der Jugend wird er zur Ikone stilisiert. Er prägte und prägt die Musiklandschaft der karibischen Insel in einer beeindruckenden Weise und avanciert so zur Identifikationsfigur einer oder vielleicht sogar mehrerer Generationen der von Armut und Kriminalität gebeutelten jamaikanischen Bevölkerung.
Auch an Adidja Palmer, wie Vybz Kartel mit bürgerlichem Namen heißt, gingen diese gesellschaftspolitischen Zustände nicht spurlos vorbei. Im Gegenteil: Seit dem 3. April 2014 sitzt der Musiker wegen Mordes eine lebenslängliche Haftstrafe ab. Ungeachtet dessen will der heute 40-Jährige die Zügel aber nicht aus der Hand geben. Kartel versorgt die Szene trotz seiner Haft mit einer schier unglaublichen Schwemme an neuen Tunes und Dubplates, Gerüchten zufolge über eingeschmuggelte Mobiltelefone aufgenommen.
Das neue Album "King Of The Dancehall" entstand allerdings nicht auf diese Weise hinter Gittern. Zugegeben: Das wäre ein wirklich schwieriges Unterfangen gewesen. Nein, die Songs nimmt Kartel bereits vor seiner Inhaftierung auf, Linton 'TJ' White mastert das Material in den vergangenen Jahren und stellt es zu dieser LP zusammen. Es handelt sich dabei um 14 bislang unveröffentlichte Tracks - was für ein Dancehall-Album durchaus bemerkenswert ist. Denn normalerweise werden hierfür zumindest teilweise bereits veröffentlichte Hits recycelt und/oder die letzten gevoiceten Riddims zusammengepackt.
Die Intention, die Palmer und sein Management mit "King Of The Dancehall" verfolgen, liegt auf der Hand: Vybz Kartels Status als vermeintlich einflussreichsten jamaikanischen Künstler zu zementieren. "Das Album ist nicht einfach nur eine Zusammenstellung von 14 Songs, es ist ein Meisterwerk", ließ der Dancehall-DJ in einem Statement verlauten.
Dafür beackert Vybz dann aber doch zunächst die ganz gewöhnlichen, schon oft gehörten Themen: Gewalt, Sex, Drogen. Titel wie "Every Girl", Enemy Zone", "Can't Say No" oder "Lipstick" passen zwar gut ins Bild, bleiben aber doch ob der Brisanz der Veröffentlichung ein wenig blass. Aufgrund des wenig ausdifferenzierten Klangs können sie nur lyrisch überzeugen. Und auf dieser Ebene sind die Geschmäcker durchaus verschieden, zitieren kann man einen Großteil der Texte an dieser Stelle jedenfalls nicht.
"King Of The Dancehall" bietet aber durchaus Bemerkenswertes: Da wäre zum Beispiel der sommerlich angehauchte Opener "Colouring This Life" oder der schon jetzt auf Dances omnipräsente Kracher "Fever". Ebenso kommt "Don't Know Someone" trotz der Aussagekraft eines Ziegelsteins ("You don't know someone till you know someone") wirklich lässig daher. Und spätestens, wenn uns Kartel bei "Hey Addi" mit auf einen Tagesausflug durch seine Welt nimmt, kann die Nackenmuskulatur einfach nicht mehr anders, als sich rhythmisch zusammenzuziehen.
Der auf dem düsteren "Most Wanted" proklamierte Gaza-Way of life (ein Begriff, der sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem jamaikanischen Dancehall-DJ Mavado herausbildete) wird im träumerischen "Open Up Di Door" im Kern ebenso angesprochen: "Mummy why we do have none / Mummy why we poor and dem rich / when me get big mi a change it". Der Traum, trotz offensichtlicher Perspektivlosigkeit doch noch etwas aus seinem Leben zu machen, treibt viele Jugendliche auf Jamaika an. Und Vybz Kartel ist das Sprachrohr dieser Jugend, wird 'The Teacher' genannt. Fraglich wird dieses Engagement nur eben dann, wenn der Weg zu einem besseren Leben am Rande der Legalität - oder sogar darüber hinaus - bestritten werden soll.
Musikalisch ist Adidja Palmers neue LP, wie bereits der Name verrät, ein reines Dancehall-Album, auch wenn das Highlight der Platte, "Sorry Babe", gewissermaßen als Uptempo-Hybrid daher kommt. Vybz Kartel führt seinen Hörer damit abseits der bei Touristen beliebten Strände Jamaikas, weg von Kokosnüssen, Palmen und blauem Meer. Stattdessen nimmt er einen mit in die Ghettos. Wo Gewalt, Drogen und vor allem Armut regieren. Denn auch das ist Jamaika.
Mit "King Of The Dancehall" sendet Vybz Kartel ein für seine Karriere notwendiges Lebenszeichen. Die LP verdeutlicht durchaus auch an einigen Stellen Palmers Potenzial. Aber ein Meisterwerk klingt anders, dafür fehlt an zu vielen Stellen die kreative Diversität. Ob der selbsternannte König des Dancehall so also wirklich auf Dauer seine Krone aufbehalten kann, ist zu bezweifeln.
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