laut.de-Kritik

Weihnachtliche Odyssee in musikalische Brackgewässer.

Review von

Pünktlich zur weihnachtlichen Lebkuchenkuchenbrunftzeit stehen neben den Weihnachtsmännerarmeen auch wieder Boybands in den verschneiten Kaufhausregalen. Aus einer Ecke strahlen mich vier goldgepuderte Iren wie übellaunige Rauscheengel an. "Face To Face" stehe ich dem neuen Album von Westlife gegenüber. Ein schrecklicher Augenblick!

Mit dieser furchterregenden Konfrontation wollen die güldenen Boys einmal mehr das Pop-Treppchen erklimmen und den erfolgreichen Vorvorgänger "Turn Around" noch überflügeln. Damit das auch ganz sicher klappt, setzten die gealterten Schnulzies wieder auf die besten Pferde im Songwriting-Gestüt und ließen bei allen Songs die eigenen Griffel von der Feder. Für die mir bevorstehende Odyssee in musikalische Brackgewässer bleibt also nur, das Schiff balladenfest zu machen und ganz dolle zu hoffen, dass ich nicht seekrank werde.

Schon der erste Song "You Raise Me Up" stellt eine Mutprobe für meinen Magen dar. "Face To Face" geht mit der ersten Single des Albums ins Rennen. Seltsam, dass sich Westlife mit ihren 'innovativen' Dudelsackklängen anhören, als wären sie mitten in der Prärie auf unserer kleinen Farm gestrandet. Während die Iren noch nach dem Schatz im Silbersee schnorcheln, rollen die Bühnenplastiker ganz schnell die große, funkelnde Sternendecke aus. Noch etwas Sand dazu und voilà - fertig ist das "1000 und eine Nacht"-Ambiente. Wie Aladin und Jasmin fliegen Nicky & Co plus weibliche Begleitung (Diana Ross) in "When You Tell Me That You Love Me" über das mondbeschienene Agrabah und machen der üblichen Disneysülze alle Ehre.

"Amazing" steckt sich ausnahmsweise nicht in die Balladenschublade. Wer allerdings auf einen kurzweiligen Waffenstillstand hofft, bekommt unvorbereitet die volle Ladung Popschmodder ins Gesicht geschlagen. Dank der charakteristischen, schmierigen Konsistenz kann ich überhaupt nicht mehr unterscheiden, was sich da in meine Gehörgänge schleimt. Die Backstreet Boys, *NSYNC, Take That oder gar immer noch Westlife?

Shane kredenzt einige Fürchterlichkeiten später seinen persönlichen Lieblingssong. "Colour My World" gefällt ihm besonders gut, weil damit "eine ganz andere Art von Ballade" Platz auf dem Album findet. Vielleicht auch nur, weil er seine engelsgleiche Stimme bis zum höhenbedingten Trommelfellriss ausreizen darf. Genug von den Balladen der anderen Art. "Face To Face" erreicht das vorletzte Lied "Hit You With Real Thing" und meine Gesichtsfarbe nie gekannte Grünabstufungen. Hier versuchen es die Iren gesanglich sogar auf die kratzige Art und schleifen so etwas wie orientalischen Pop hinter sich her. Geht doch bauchtanzen, Mädels!

Mit "Change Your Mind" nimmt das Leiden endlich ein Ende! Ich freue mich schon auf weniger ölige Suppe (nie wieder das böse B-Wort!) unter dem Kiel und bringe erst einmal mein Mittagessen über die Reling ...

Trackliste

  1. 1. You Raise Me Up
  2. 2. When You Tell Me That You Love Me
  3. 3. Amazing
  4. 4. That's Where You Find Love
  5. 5. She's Back
  6. 6. Desperado
  7. 7. Colour My World
  8. 8. In This Life
  9. 9. Heart Without A Home
  10. 10. Hit You With The Real Thing
  11. 11. Change Your Mind

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