laut.de-Kritik

Die Indie-Hopper finden wieder voll in die Spur.

Review von

Why? Warum? Seit jeher eine der allergrößten Fragen. Natürlich auch im Pop. Allein in den 90er Jahren, an deren Ende der junge Rapper Yoni Wolf sein Why?-Projekt allmählich in Gang setzt, beschäftigen sich scharenweise Popstars mit unterschiedlichsten Erkundigungen nach dem Wieso und Weshalb. "Why does it always rain on me?", fragen die Britpopper von Travis. "Why does my heart feel so bad?", sinniert der New Yorker Electronica-Guru Moby. Gleich ein ganzes Fragezeichen-Triple liefert die Schlager-Folk-Kapelle Kelly Family mit "Why? Why? Why?".

Während viele Popstars das Warum bloß als suggestiven Slogan nutzten, diente es Why? stets als Motor für tiefschürfende Auseinandersetzungen. Über ein hochkreatives Soundpanorama von Hip-Hop über Indierock bis Electronica unternahm die Cincinatti-Band existenzielle, emotional aufwühlende Grenzgänge zwischen Tragik und Komik. Am besten gelang das aufwändige Manöver in den 2000ern mit Indie-Blockbustern wie "Elephant Eyelash" und "Alopecia" sowie dem Kammerspiel "Eskimo Snow". Holpriger geriet das nächste Jahrzehnt mit dem leicht unterkühlten Krankenbericht "Mumps, etc." und der zuletzt veröffentlichten, kurzatmigen Fragmentreihe "AOKOHIO".

Auf ihrem achten Album "The Well I Fell Into" bringen Why? ihr ambitioniertes Forschungsprojekt auf sein vielleicht stimmigstes Level. Aus den Scherben einer zerbrochenen Beziehung bastelt Yoni Wolf ein Konzeptalbum, das zwar non-linear zwischen diversen Beziehungs- und Trennungsphasen wechselt, dabei aber eine bemerkenswert reife und vollständige Reflexion entwirft. "Dies ist kein bitterer Abschied", betont der 45-jährige Wolf im Album-Statement, "Während das Songwriting kathartisch war, kann ich mein Leben jenseits einer Geschichte oder Mythologie sehen, in die ich mich künstlerisch eingezwängt habe. Ich stecke nicht in Gefühlen fest, wie ich es vielleicht in meinen 20ern getan habe".

Erstmals seit "Eskimo Snow" im Jahr 2009, haben die Brüder Yoni und Josiah Wolf und ihr Bandkollege Doug McDiarmid ein Album nicht über einen längeren Zeitraum in diversen Heimstudios aufgenommen, sondern - für die erste Veröffentlichung auf ihrem neuen Label Waterlines - alles bei einem kurzen Studioaufenthalt fertiggestellt. Im Hive, dem Wisconsin-Studio von Brian Joseph, der schon mit Sufjan Stevens und Bon Iver gearbeitet hat, gelingt der Band zusammen mit Gaststars wie Gia Margaret, Serengeti und Ada Lea eine beeindruckende Vermählung ihres vielfältigen Crossover-Sounds mit klassischem Songwriting. Wolfs detailverliebte Lyrics umkreisen eine Gravitas von religiösen Ausmaßen: "Ich verfolge auf dem Album durchgehend die Idee der Sühne (Yom Kippur) und des Umblätterns der Seite zu einem Neuanfang (Rosh Hashana)", erläutert der Rabbi-Sohn bei einer Fragerunde auf der Reddit-Plattform.

Kunstvoll spannen Why? den Erzählrahmen des Longplayers. Ausgehend von elegischen Pianoschritten, Streichern und einer spitzen Zeile, die gleich ein ganzes Gedicht sein könnte ("I used to be married / Now I drag around the ring / On a sling / In a barrel of salt"), braut sich mit "Marigold" ein Sturm von einem Song zusammen. Über knisternde Strophen und Blumenmetaphern im Prechorus mündet das Stück in einen aberwitzigen filmischen Uptempo-Refrain. Plötzlich singt nicht mehr der Protagonist, sondern der Busfahrer, der endlich Feierabend machen will: "Last stop / Come on, man, you gotta get off / I gotta get it back to the depot". Bei all den starken Bildern, bleibt das Statement illusionslos ernst: "This is not a parable / This is real, it's painful".

Weiter geht der Powereinstieg mit "Brand New". Nachdem der Opener am Ende der Trennungsgeschichte ansetzte, spult der zweite Track ganz an den Anfang der Beziehungskrise. Zwischen luftig gezupften "Bachelorette"- und Beach Boys-Referenzen und einer hypnotischen Hook fragt sich der Erzähler, ob das bislang Erlebte denn schon alles gewesen sei und nicht viel eher eine Rundumerneuerung anstehe. Als dann auch noch ein mehrstimmiges Outro hinzukommt, klingt die Midlife Crisis tatsächlich leicht und frisch und zum Glück nicht, wie Wolf es eigentlich geplant hatte, nach einem zuckrigen Sting-Stück aus den 90ern.

Ihr großes Highlight findet die Album-Komposition im Zweiteiler "Nis(s)an Dreams, Pt. 1" und "Versa Go!". Über clevere Automobil-Codes reflektiert das hymnische Songpaar die Liebesbeziehung zwischen Hoffen, Scheitern und Neuanfang. "Nis(s)an Dreams, Pt. 1" skizziert eine missglückte Versöhnung mit einer Beatles-Bridge und choralen Klimax, die wie ein großer Zaubertrick daherkommen. "Versa Go!", das bis kurz vor der Veröffentlichung noch "Nis(s)an Dreams, Pt. 2" heißen sollte, präsentiert das Loslassen als Happy End. Mit verträumtem Piano, perlendem Bass, jazzigen Bläsern und technoiden Texturen entsteht großer, vielschichtiger Pop und einer der besten Why?-Songs.

Zugegeben, auch "The Well I Fell Into" ist nicht perfekt. "G-dzillah G'dolah", das bei einem Songwriting-Seminar mit Dirty Projectors-Sänger David Longstreth entstanden ist, spielt zwar interessant mit dem Kontrast zwischen wuchtigen Lyrics und zärtlicher Musik, verliert sich aber zunehmend in einem süßlichen Softpop-Loop. "Jump" krankt trotz seiner spannenden Trip-Hop-Kulisse an einem Chorus, der für einen begnadeten Lyriker wie Wolf doch etwas simpel gerät. Als raplastigster Track mit tiefergelegter Stimme wirkt "When We Do The Dance" nicht ganz richtig am Platz. "Sending Out A Pamphlet" liefert mit angejazzter Muzak einen lässigen Ausklang, mehr aber auch nicht.

Diesen kleinen Unebenheiten des Albums lassen die anderen Tracks zum Glück kaum Raum. Ohne auf einen Refrain angewiesen zu sein, pointiert "Later at The Loon" das Dilemma der Beziehung in einer cool schwebenden Alltagsszenerie. "What’s Me?" veranstaltet mit frecher Flöte, beschwingten Backing Vocals und verspielten Lyrics ein Folk-Feuerwerk, das auch gut auf ein Belle And Sebastian-Album gepasst hätte. Bis in die Binnenreime und Konsonanzen hinein bindet das Liebeshadern reflexiv an eine kreative Freude am Material: "It seems very unlikely / That the will below / The will below / The will below / The will will be".

Trotz all seiner Liebesdramen wirkt "The Well I Fell Into" nie verbittert, sondern neigt sich heilsam einer Einsicht und Versöhnlichkeit entgegen. Doch das größte, gänzlich ungebrochene, Liebesbekenntnis des Albums richtet sich nicht an einen Menschen. Archaisch, fast religiös, offenbart "Atreyu" ein Zeugnis bedingungsloser Liebe: "In health or disease / You're here with me (...) If I go blind / You'll be my eyes / You’ll be my guide". Es ist ein Liebesbrief des Bandleaders an seinen Hund Marty Mars. Bei Reddit erzählt er: "Ich liebe ihn mehr als das Leben selbst".

Trackliste

  1. 1. Lauderdale Detour
  2. 2. Marigold
  3. 3. Brand New
  4. 4. G-dzillah G’dolah
  5. 5. When We Do The Dance
  6. 6. Jump
  7. 7. Later At The Loon
  8. 8. Nis(s)an Dreams, Pt. 1
  9. 9. The Letters, Etc.
  10. 10. What’s Me?
  11. 11. Sin Imperial
  12. 12. Atreyu
  13. 13. Versa Go!
  14. 14. Sending Out A Pamphlet

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