laut.de-Kritik

Geldsegen fürs Rockphrasenschwein.

Review von

Wir schreiben das Jahr 2008: Daniel Wirtz von Sub7even veröffentlicht im Alter von 32 Jahren sein erstes Soloalbum. "11 Zeugen" überzeugt musikalisch und mit glaubwürdigen Texten. Nur ein Jahr später erscheint der kaum schwächere Nachfolger "Erdling". Doch mit dem steigenden kommerziellen Erfolg und der wachsenden wirtzschen TV-Präsenz nimmt die Qualität der Releases stetig ab. Zwischen Tauschkonzerten und "Blind Dates im Wirtz-Haus" geht dem Musiker das Gespür für Melodien, authentische Texte und Rock ohne Manierismen verloren und der Härtegrad seiner Musik nimmt merklich ab.

2024 rockt Wirtz gleich auf dem Opener von "DNA" los, als gäbe es kein Morgen. Das Tamburin wird angeschlagen, die Drums treiben vorwärts, die Riffs laden zum Headbangen ein und auch das Schweinerockgitarrensolo am Ende geht in Ordnung. In instrumentaler Hinsicht überzeugt nicht nur der Titeltrack. Wenn, ja wenn da nicht diese Texte wären ...

Selbstbewusste bis narzisstische Zeilen treffen im Titeltrack auf ... nun ja ... Fußballmetaphorik. Mit den Worten "Dritte Liga: Zugehört! / Jetzt spricht der Deutsche Meister" begrüßt Wirtz die Deutschrockkonkurrenz gewohnt unbescheiden. Im weiteren Verlauf des Songs wird noch ein "Flachschuss [...] kassiert" und festgestellt, dass es an der Zeit sei, "sich selber einzuwechseln, wenn es 0:2 steht". Ob sich Daniel Wirtz von seinem derzeit bei Bayer Leverkusen kickenden Nachnamensvetter zu dieser Lyrik inspirieren ließ, ist nicht überliefert. Wahrscheinlicher erscheint mir, dass Wirtz beim Schreiben einkalkulierte, potentielles Nachfolgeliedgut für Stadionhits wie "Tage Wie Diese" zu verfassen, die inzwischen vermutlich auch dem geschmacksresistentesten und hartgesottensten Hooligan zum Hals heraushängen. Zwischen all den harmlos-grotesken Versen sticht eine Zeile hervor: "Hier wird es einfach so gesagt und nicht aus blanker Angst zensiert." Was wird gesagt? Wird doch nicht politisch gemeint sein, schließlich geht es in den restlichen Zeilen um Fußball, denkt man sich noch.

Dann aber folgt "Dünnes Eis". Wirtz teilt uns mit, dass "ein Empire zerfällt". Welches denn? Um das Alte Rom scheint es nicht zu gehen, weitere Nachfragen schmettert der Sänger im Voraus ab: "Was ich denk und was ich glaub, das muss dich nicht interessieren." Sich selbst und seine Band verortet er dennoch "auf dünnem Eis". Die Lyrics bleiben vage, lassen aber keinen Zweifel daran, dass sie politischer Natur sind. Während er sich selbst im Titeltrack noch attestierte, sich "nicht aus blanker Angst" zu zensieren, scheint Wirtz genau dies einen Song später zu tun. Die Angst des Schützen beim Elfmeter, um im Fußballbild zu bleiben? Oder lediglich nicht einmal vom Sänger ernst gemeinter Polit-Quatsch wie auf Muse-Alben jüngeren Datums? Einige der Folgesongs sprechen gegen zweitgenannte Theorie.

Mit "Ein Klares Nein" liefert Wirtz noch eine naiv wirkende Ode an das Rebellentum um des Rebellentums willen (mit starkem Riff) ab: "Hier kommt mein Tipp, der magische Trick: Ein klares Nein! / So einfach kann es sein." Zu was sollen wir denn "Nein!" sagen? Bleibt unklar. Die nächsten mit Fäkalvokabular nur leidlich übertünchten Kalendersprüche lassen nicht lange auf sich warten. Kostprobe gefällig? "Dann sei doch mal der Arsch! / Dann sei doch mal das schwarze Schaf!"

Später aber begrüßt uns Wirtz mit sarkastischem Unterton im Schützengraben. Vor einigen Jahren hätte man "Willkommen Im Krieg", in dem der Musiker eine vermeintliche allgemeine Kriegslust anprangert, noch als gut gemeinten, nicht näher lokalisierbaren Antikriegssong ansehen können. Im Jahr 2024, nach einem seit zwei Jahren offen geführten Krieg eines totalitären Staates namens Russland gegen die Ukraine und Europa in seiner Gesamtheit, verärgern Zeilen wie "Doch halten Sie sich bereit, meine sehr verehrten Damen und Herr'n, lasst uns kämpfen für den nächsten Stern auf der Uniform!" oder "Die Nation baut auf Sieg", da sie sich eindeutig nicht an den real existierenden Aggressor wenden. Denn einige Zeilen zuvor lässt uns Wirtz folgendes wissen: "Wir laden sie ein und reden ihn'n ein, es wär doch alles gut auf Erden hier." Eine nähere Definition des Akkusativobjektes bleibt aus. Wen laden "wir" ein? Soldaten wohl kaum. Im Rahmen der Promotion zu "DNA" lässt sich Wirtz folgendermaßen zitieren: "Mit dem Geld, was dort verballert wird, könnte so ziemlich jedes Problem auf dieser Welt diplomatisch geregelt werden." Mit "dort" meint er Kriege im Allgemeinen. Dennoch steht die Frage im Raum, ob hier jemand – bewusst oder unbewusst – als Pazifisten getarnten notorischen Russlandfreunden und Liberalismusfeinden in Blau und Dunkelrot nach dem Mund redet, die allzu gerne Verhandlungstische fordern, damit mit dem expansionswütigen Aggressor über geographische Grenzen und Freiheitsrechte gefeilscht werden kann.

Im weiteren Albumverlauf werden die Lyrics unpolitischer, aber leider nicht besser. So werden uns etwa in "C'est La Vie" mal wieder wirtzsche Weisen wie "Der schlechte Vibe geht vorbei!" oder "Nicht verzweifeln! / Ruhig bleiben!" um die Ohren gehauen. Ausgerechnet die Lyrics zu einem der beiden Lovesongs des Albums, "Lucy", fallen am wenigsten naiv aus.

Bei aller Kritik an den Texten: Seit 2009 klang Wirtz nicht mehr so hart und gut. Während er sich von "Akustik Voodoo" bis "Die Fünfte Dimension" mehr und mehr auf solifreien Formatradiorock konzentrierte, zeigt Wirtz auf "DNA" endlich wieder, dass Rock mit musikalischen Ecken und Kanten in seiner Desoxyribonukleinsäure liegt. Insbesondere die Intros in Songs wie "Lucy" mit ihren tief gestimmten Gitarren und Reverbeinsätzen orientieren sich wieder stärker am Grunge und Alternative Rock der 1990er als am zeitgenössischen Deutschrock-Einerlei. Zahlreiche Gitarrensoli überzeugen auch diejenigen, die Wirtz längst abgeschrieben hatten. "Atlantis" überrascht zudem mit einem ansprechenden Drumcomputereinsatz.

Während das Album bis Track Nummer 9 Uptemposong an Uptemposong reiht, schließt die Halbballade "Schweigen Mit Dir" die LP, abgesehen von der gemächlicheren Gangart, repräsentativ ab: lyrisch schwach, musikalisch stark. Wieder überzeugt die räumliche Produktion und die Percussion, wieder irritiert ein Satz wie "Jeder scheint so außer Atem von der Meinungsmacherei", wieder nervt die von Wirtz präsentierte einfache (Pseudo)Lösung: "Doch du nimmst mich in den Arm". Einmal mehr kann sich vom "Meinungsmacherei"-Satz jeder angesprochen fühlen von der bierseligen "Das wird man wohl noch sagen dürfen!"-Fraktion im Schrebergarten bis zum WG-Revoluzzer, weil die Zeilen so vage bleiben, dass sie auch die VOX-Redaktion nicht verschrecken dürften.

Wer über Fußballmetaphorik, Phrasenansammlungen und interpretationsbedürftige, weil bewusst vage formulierte politische Zeilen hinweghören kann, erhält mit "DNA" nicht nur die beste Wirtz-LP seit "Erdling", sondern auch ein überdurchschnittliches Deutschrockalbum. Die fußballaffinen Wirtz-Fans riefen nach den letzten mediokren Veröffentlichungen "Mach ihn! Mach ihn!". Und was passierte? "Er macht ihn!" Zumindest in musikalischer Hinsicht ein Treffer.

Trackliste

  1. 1. DNA
  2. 2. Dünnes Eis
  3. 3. Ein Klares Nein
  4. 4. Lucy
  5. 5. Atlantis
  6. 6. Willkommen Im Krieg
  7. 7. Operation Unsterblichkeit
  8. 8. Hallo Erde
  9. 9. C'est La Vie
  10. 10. Schweigen Mit Dir

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