laut.de-Kritik
Die bislang üppigste Scheibe der Londoner.
Review von Toni HennigVor drei Jahren gewannen Wolf Alice den Mercury Prize für ihr hochgelobtes Album "Visions Of A Life". Im Zuge der Veröffentlichung tourten sie rund um den Globus. Nach dem Tourstress zogen sich die Londoner ein wenig zurück, um im südwestenglischen Somerset nach Inspiration für ihren dritten Longplayer "Blue Weekend" zu suchen. Die Demos spielten sie in einer umgebauten Kirche ein. Die endgültigen Aufnahmen fanden in Belgien mit Produzent Markus Dravs statt, der in der Vergangenheit schon mit Coldplay oder Arcade Fire zusammenarbeitete. Herausgekommen ist die bislang üppigste Scheibe der Band.
"The Beach" beginnt mit knorrigen Gitarren-Tönen in Anlehnung an die frühe PJ Harvey und dem melancholischen Gesang Ellie Rowsells recht spröde, wartet aber gegen Ende mit einer überaus umarmenden Melodie auf. Etwas entschleunigtere, verträumtere Töne stehen in "Delicious Things" auf dem Programm, das im Refrain vor Hymnenhaftigkeit nahezu überschwappt. Hymnischen Momenten begegnet man im weiteren Verlauf, aber auch viel Abwechslung. Anstatt sich auf ihren Erfolgen auszuruhen, denken Wolf Alice ihren Sound konsequent weiter.
Wenn in "Smile" Muse-ähnliche Saitenklänge inmitten elektrorockiger Sounds erklingen, staunt man nicht schlecht. Es darf aber noch mehr künstlerischer Größenwahn sein. Das strukturell an "The Final Cut" von Pink Floyd erinnernde "The Last Man On Earth" stellt nämlich textlich eine Abrechnung mit männlichem Egoismus dar, nimmt aber im Refrain einen großen Schlenker in Richtung Optimismus, wenn Rowsell zu treibendem Schlagzeug und festlichen Streichern mit überschwänglicher Stimme singt: "You'd like a light to shine on you / Let it shine on you / Let it shine on you." Danach glaubt man tatsächlich, dass sich die Welt zum Besseren verändern könnte.
Aber nicht nur gesellschaftskritische Töne findet man auf dieser Scheibe, setzt sich Rowsell doch noch mehr mit ihren persönlichen negativen Erfahrungen auseinander als auf den Vorgängern, was eine größtenteils gedrückte, nachdenkliche Atmosphäre schafft. So rückt wie in der geisterhaften Ballade "No Hard Feelings" ihr Organ auch mal ganz nah ans Ohr des Hörers. Das Krachige hat sich die Band dennoch bewahrt: "Play The Greatest Hits" geht als rotziger Punk-Track unter zweieinhalb Minuten über die Ziellinie und das nahezu kathartisch anmutende "The Beach II" durchziehen lärmende Shoegaze-Gitarren.
Demgegenüber schlagen die Londoner an so mancher Stelle ungewohnt poppige Klänge an. In "Safe From Heartbreak (If You Never Fall In Love)" trifft eine warme Akustikgitarre auf Seventies-artige Vokalharmonien à la The Carpenters. "How Can I Make It OK?" versprüht im Anschluss mit hellen Synthies und glockenklaren Gesang im Refrain einen schwülen 80s-Vibe. In "Feeling Myself" fusioniert die Formation nächtliche Motown-Soul-Klänge mit kühlen New Wave-Synthies im Gary Numan-Stil.
Letzten Endes legen Wolf Alice auf dieser Platte eine erstaunliche musikalische Bandbreite an den Tag, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Von einer Eintagsfliege kann bei den Londonern also keinesfalls die Rede sein.
10 Kommentare mit 3 Antworten
schon jemand reingehört? die letzte platte fand ich richtig gut.
Kann man gut machen, klingt polierter als die letzte Platte. Viele gute Hocks und Melodien drauf - macht Spaß, ohne langweilig zu werden.
jo danke. werde ich auf jeden fall mal mehr als ein ohr riskieren. fand, die letzte platte hatte echt charme, vorallem sehr abwechselungsreich.
Habe das Album von Wolf Alice auch angehört würde auch 4 von 5 Punkten geben.
Absolut großartige Scheibe und eine klare Weiterentwicklung! „Lipstick On The Glass“ zum Beispiel hat eine so großartige Atmosphäre, dass dieser bei mir gerne auch öfter hintereinander laufen darf - was ich einem Song ansonsten sehr selten einräume. Der Gesang von Ellie ist noch mal deutlich abwechslungsreicher und ausgereifter, als auf den vorherigen Veröffentlichungen - und da war er schon klasse.
Abwechslungsreich ist ohnehin das Motto von „Blue Weekend“. Es wird nie langweilig und manche Songs, verkonsumieren sich auch nicht gleich beim ersten Hören, sondern benötigen zwei oder drei Durchgänge, wie z.B. „The Beach“ oder das bereits erwähnte „Lipstick On The Glass“. Und live habe ich am meisten Bock auf „Smile“. Gerne als Opener. Solche Songs, wie auch „The Gathering“ von Frank Turner, braucht es, um dem Corona-Blues endgültig zu entkommen!
Für mich auch eins der Hilights des Jahres bisher und eine ziemlich coole Entdeckung. Die zwei Songs nach Smile find ich etwas lahm und Greatests Hits etwas zu viel, aber am Schluss kommen noch einmal ein paar Highlights.
Ich finde das alles total öde und wie gewollt und nicht gekonnt. Berührt mich null.
Na so was, da geht es dir doch glatt mal so wie der Mehrzahl Leser*innen, die hier zufällig und ungewollt über deine drive by-Kommentare stolpern.
Habe erst 2023 entdeckt, läuft bei mir in Heavy Rotation