15.000 glückliche Rock am Ring-Fans feiern die Linkin-Park-Festspiele - ein Erlebnisbericht.
Hamburg (kluk) - Geschafft! Gerade noch darf ich bei meinem knappen Eintreffen in der Barclays Arena beobachten, wie ein eifriger Techniker noch einmal Mr. Hahns DJ-Pult abpinselt, bevor die Lichter herunterdimmen. Die Präzision der Staubentfernung lässt auf den vielleicht allerletzten Punkt einer perfekt durchgetakteten Marketing-Checkliste schließen, die hier in den letzten Tagen zum Einsatz kam. Die vollen Ausmaße der Linkin Park-Festspiele 2024 lassen sich derweil nur über Social Media erahnen: Straßenmusizierende und Karaokesingen in der Thai-Oase gipfelten am Samstag in der Verewigung eines Mini-Shinoda-Sprayers im Miniatur Wunderland. Und jetzt: Musik.
Weitaus mehr als die reinkommenden 15.000 Fans umlagern die fast schon gemütlich wirkende Barclay Arena. Junge wie alte (ja gut, vor allem alte) Fans aus der Rock am Ring-Zielgruppe bieten mir mit flehentlichem Blick dreistellige Beträge, Bierflatrates und ewige Dankbarkeit im Austausch für ein Ticket an.
Geier, könnte man schimpfen, doch ich kenne diese Menschen. Auf der "Minutes To Midnight"-Tour 2008 war ich selbst einer von ihnen. Und jetzt? Jetzt bin ich für meine Jugendliebe quer durch die Republik gegurkt und stehe hier zwischen Menschen im Wohlfühl-Alter mit Wohlfühl-Shirtgrößen mit Wohlfühl-"20 Jahre American Idiot"-Aufdruck in der Schlange. Das sind meine Leute. Wir haben immer noch uns.
Schon mit der aufgepeitschten Crowd-Reaktion auf die ersten "Somewhere I Belong"-Samples kommt Mike Shinoda aus dem Grinsen nicht mehr raus: Der 47-Jährige stürmt von Ecke zu Ecke der 360-Grad-Bühne, hopst von Keyboard zur Gitarre zurück ans Mikro: "Points Of Authority", "Castle Of Glass", selbst Fort Minors "Remember The Name": Der Bandkopf pulsiert – willkommen bei der Mike Shinoda-Show. Was auffällt: Trotz Neusängerin Emily Armstrong sind auch einige Chester Bennington-Parts zu Mike gewandert, hier insbesondere Teile von "Leave Out All The Rest". Präsentere Backing-Vocals denn je gibts dafür von Bassist Dave Farrell und DJ Joe Hahn – neben Shinoda die einzigen beiden Mitglieder der 2017er-Besetzung.
Gleichgroßer Fokus liegt natürlich auf Sängerin Armstrong: Die macht den zu erwartenden, grundsoliden (die Vocoder-Hymne "The Catalyst" war schon Chester manchmal zu hoch) bis bravourösen Job. Insbesondere natürlich auf den ohne Vergleiche auskommenden "The Emptiness Machine" und dem heute Premiere feiernden "Heavy Is The Crown" – weil, ihr wisst schon: Germany, always special place in our hearts und so. Ja, klar, ne. Nur hier!
Das Ganze wird natürlich ausgiebig in Ton und Bild festgehalten: Gen Z hängt bekanntlich nur am Handy und auf TikTok, die Fähigkeit aber, ganze Konzerte mit eingeschalteter Taschenlampe durchzufilmen, bleibt bis heute den RaR-Millenial-Smombies vorbehalten. Aber gibt ja auch einiges zu sehen: Eine angemessen große Bühne, mit angemessen großen Videowürfeln, unter denen sich angemessen megalomanische Traversenkonstruktionen verstecken. Laserstrahlen ballern auf LED-Wände, Graffiti wie zu besten "Meteora"-Zeiten. Von mir aus hätten sie aber auch ein bisschen mehr Geld in den Hallensound pumpen dürfen.
Dieser gleicht zwar keinem Totalausfall, lässt dafür aber keine hundertprozentige Bestätigung oder Dementierung des Gerüchts zu, Armstrong singe druckvoller als Post-2008-Bennington: Das liegt aber auch am wirklich löblich lauten Publikum, das beim finalen Dreierknaller "Numb" / "In The End" / "Faint" auch wirklich alles übertönt – das sind eben die Momente, die bleiben.
Dafür hagelt es aber – auch dank einem sich den Transponierungen top anpassenden Shinoda – wirklich schöne Harmonien, etwa zu "New Divide" oder dem exhumierten "My December", das einen andächtigen Moment und im Anschluss verdiente "Emily! Emily!"-Fangesänge beschert. Ihre im Stream bisher noch nicht zu hörenden Clean-Vocals überzeugen auch in "Waiting For The End", dem wohl intelligentesten Popsong der LP-Karriere. An bedeutungsschwangeren Zeilen fehlt es heute natürlich nicht: "I know what it takes to move on", singt Armstrong hier, "I know how it feels to lie".
Ach ja: Ist der Elefant jetzt eigentlich im Raum oder nicht? Kommentare zum Thema Scientology schweigen Band und Fans ja nach wie vor erfolgreich tot. Aber immerhin: Der Name Emily Armstrong dürfte in den letzten Wochen kaum einem Musikfan entgangen sein.
Als ich die Arena verlasse, kommen zwei schwarz gekleidete Herren auf mich zu und drücken mir etwas in die Hand: Ist es das jetzt? Ist das der Moment? Kommen jetzt die Hubbard-Minister, um mir die Scientology-Bibel "The Way To Happiness" zuzustecken, ganz so wie Cedric Bixler-Zavala es neulich prophezeit hatte? Ich starre auf das Blatt Papier in meinen Händen: Es ist Werbung für eine lokale Nu-Metal-Band.
Jetzt noch einen Fan-USB-Stick und ein gefälschtes Shirt aufm Parkplatz kaufen (lilablau, es war lilablau) und dann habe ich sie wieder, die zurückgekaufte Jugend zwischen "Papercut" und "Bleed It Out". Dann habe ich endlich wieder mein 2008.
Text: Alex Klug.
4 Kommentare mit 4 Antworten
Die retrospektive Sause in keinen Ehren, aber der Text ist schon ganz grosse Klasse. Vor allem das Ende, man fühlt es fast schon ein kleines bisschen mit.
Dito, mein erster Gedanke war, das hat ein Praktikant geschrieben.
Freue mich aufs Album
Auf Reddit ist der Linkin Park Subreddit praktisch in fester Scientology Hand. Jeder Kommentar zum Thema Scientology wird gelöscht.
Du bist nur sauer, weil du kein Operating Thetan geworden bist.
An Linkin Park ist alles peinlich. Die immer gleichen Songstrukturen, die rap parts, die Bandmitglieder, die Überhöhung des verstorbenen Sängers, die neue Sängerin.
Jup, das trifft es recht gut.
hast zwar recht, aber ... du bist trotzdem ein hanswurst