laut.de-Kritik
Für Abende mit Chai Latte und Bukowski-Lektüre.
Review von Alex KlugAndere gehen mit dem zweiten Studioalbum erst mal auf Nummer sicher, Alcest hingegen definieren 2010 auf "Écailles De Lune" gleich ein gänzlich neues Subgenre. Statt sich weiterhin auf Shoegaze-Hausmannskost in Slowdive-Manier zu verlassen, pressen die Franzosen jene unter dem Zusatz schwarzmetallischen Nektars zu einem bittersüßen Klang-Smoothie, den Wikipedia und Co. fortan als "Blackgaze" zu vermarkten versuchen.
Angesichts des grotesk anmutenden Erfolgs von Studentenwohnheim-Projekten à la Deafheaven verwundert es dann weniger, dass die mittlerweile fest in der Metalszene beheimatete Band schon zwei Alben später die Notbremse zieht: Auf "Shelter" finden Schreie und Blastbeats ein jähes Ende.
Doch natürlich entspricht die Halbwertszeit derartiger Zäsuren in etwa dem Kontostand eines Blackgaze hörenden Philosophie-Studenten im dreizehnten Semester. Und so kehren Alcest mit "Kodama" klammheimlich und ohne unnütze pathetische Ankündigungen zum altbekannten Stil zurück. Erneut tollt das Duo durch den Garten Eden, stets auf der Suche nach dem, was ihnen in der Vergangenheit zumindest in Teilen verwehrt blieb: klangliche Perfektion.
Diese beschert Sigur Rós-Produzent Birgir Jón Birgisson den beiden Musikern nämlich bereits zwei Jahre zuvor auf dem handzahmen "Shelter". Die nun anstehende Transplantation der glasklaren Soundverhältnisse auf altbekannte Alcest-Kost wird folglich zur wichtigsten – und mit Bravour gemeisterten – Herausforderung von "Kodama".
Schon im angenehm ätherischen "Eclosion" wird deutlich, wie sich Neiges tiefgefrorene Atmo-Screams nicht länger nur auf die eigenen Gitarrensignale stützen, sondern die eigentlichen Melodien auch stimmlich mittragen. Kaum anders sieht es bei den präzisierten Schlagzeugklängen Winterhalters aus, der immer größere Akzentuierungen in sein erdiges Spiel einfließen lässt – beispielsweise in "Oiseaux De Proie".
Kleinere "Oh-oh-oh"-Einsprengsel im Opener "Kodama" beweisen derweil, dass Alcest durchaus gewillt sind, auch jüngste Indie-Pop-Exkurse (wie zuletzt in "Opale") in ihren Signature-Sound zu integrieren – was dahingehend allerdings die einzige wirkliche Neuerung bleibt. Von bloßer Redundanz ist Studioalbum Nummer fünf aber dennoch weit entfernt. Schließlich sorgt eine andere Produktion auch für andere klangliche Rahmenbedingungen.
So erinnern die ohnehin rar gesäten Blastbeats ("Je Suis D'ailleurs") dank des wesentlich aufgeräumteren Sounds eben auch mehr an die Delay-Schwaden gängiger Post-Rock-Bands als an die rohe, natürliche Kälte von beispielsweise Wolves In The Throne Room – böse und depressiv klingt dann doch anders.
Versöhnlich, einlullend, kurzweilig. Für herbstliche Abende bei Chai Latte und Bukowski-Lektüre vorm Plattenspieler ist "Kodama" wie geschaffen. Dieses eine Mal lässt man Alcest den Blackgaze einfach noch zu gerne durchgehen – künftig müssen sich Neige und Winterhalter ihren Ruf als innovative Kapelle dann aber wieder schleunigst zurückerarbeiten.
6 Kommentare mit 31 Antworten
Punkt. Gut geschriebene Rezension.
Zu Bukowski gibts Bier, Schnaps und Selbstgedrehte und eine Symphonie von Gustav Mahler aus dem Radio. Vielleicht auch ne Latte. Aber keinen Chai und kein Kodama. Igitt. Punkt!
Oder, man liest sein Zeug einfach, ohne zu versuchen, seinen Lebensstil nachzuahmen. Und wer zum Teufel hört eigentlich Musik beim Lesen? Igitt!
#TeamSchwinger
Saufen und Rauchen wird man beim Lesen ja wohl noch dürfen.
Bier, Schnaps und Selbstgedrehte hauen sich auch andere rein, nicht nur old Buk. Und vielleicht hat der ja seinen Lebensstil von Hemingway abgekuckt!? Den fand er gut. Viva Zapata und Satire! Oh heilige Einfalt
Props an Schwingi. Er ist mittlerweile ein eigener Charakter und wird bei den laut-Awards bedacht werden.
schon traurig, was sich heutzutage alles an bukowski versucht ich wünschte, es hätte nie eine bild edition gegeben
Es ist bemerkenswert wie selten thematisiert wird, dass der Sänger Schlagzeuger einer ganz offen rassistischen und antisemitischen Band war und auch nach seinem Ausstieg noch mit den Musikern freundschaftlich verbunden ist.
http://www.musikreviews.de/artikel/Auf-den…
Peste Noire beziehen sich aber auch textlich und symbolisch auf totalitäre Ideen. Dass er von Faminés verschrobenem Weltbild nichts wusste und als Jugendsünde wegwischen will, statt sich mit irgendwas auseinanderzusetzen, ist für mich als Begründung wenig überzeugend.
Siehste Georgie... alles gut! Kannst also woanders Feuer machen gehen
Übrigens: Der Sänger von Freiwild war mal in ´ner Naziband und die Eule von Jennifer Rostock zeigt, ganz offen, gern Ihre Titten. Wundert mich, wie selten das hier thematisiert wird!
Und Faminé bezeichnet sich in Interviews als Nationalist und offen faschistisch. Die sind schon alles andere als harmlos. Glaube aber auch nicht, dass Neige direkt mit der Bandphilosophie etwas am Hut hatte. Nur dass er davon nichts mitbekommen hat, nehme ich ihm nicht unbedingt ab.
Das übliche passive Geblubber, dass man immer von Musikern der Black-Metal-Szene hört.
@chrizz_tough: reichlich sinnloser Kommentar, der nicht zielführend ist. Feuer wollte ich nie machen, sondern lediglich in Frage stellen, dass das musikalische Umfeld so zweifelhaft ist und viele sich mit einer so blödsinnigen Ausrede zufrieden geben.
Dass Alcest nie Probleme mit der Antifa bekommen haben, ist in der Tat erstaunlich, denn das Engagement bei Peste Noire markiert nicht die einzige Verbindung Neiges, die aus antifaschistischer Sicht problematisch wäre. Macht wohl einen Unterschied, ob man bei Prophecy unter Vertrag ist oder bei irgendeiner fragwürdigen französischen BM-Klitsche.
Ich würde indes dafür plädieren, den eigenen Egozentrismus mal abzulegen und zu akzeptieren, dass ein im französischen Black Metal (der traditionell wie Frankreich generell sehr rechtsoffen ist) sozialisierter Typ einen anderen Umgang mit rechts denkenden Musikern pflegt/e, als es der hiesige Antifaschist tun würde. Dass Neige selber kein Nazi ist, sollte eigentlich glaubhaft sein.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Er war 15. Funktioniert bei den Onkelz doch auch. Ich hoffe, ihr hört alle auch kein Behemoth, Eluveitie, Immortal, While Heaven Wept, Amorphis, Korpiklaani, Primordial, Enslaved, Wardruna, Negura Bunget, Rotting Christ, Moonsorrow, Belphegor, Skyforger, Ereb Altor, Arkona, Mgla, Manegarm und und und. Deren Mitglieder haben nämlich entweder Kontakte in die NSBM-Szene oder sind schon auf Festivals aufgetreten, auf denen einige einschlägige NSBM-Bands unterwegs waren, ohne sich von denen zu distanzieren. Gerngeschehen.
Ist kein Review-Futter, sondern Interview-Futter und wir da auch besprochen werden. Und, ja, stand auch schon vor diesem Kommentar auf meiner Agenda.
*wird
@Hmm : Er war 15 und dann noch sieben Jahre in der Band. Relativieren will gelernt sein.
@kluk: find ich gut.
Ich relativiere gar nix, ich mach mich nur über die Doppelmoral lustig
Was sich übrigens nicht auf dich bezieht, George. Mich juckts zwar grundsätzlich nicht, welcher Musiker was denkt, aber es schon ziemlich scheinheilig, dass in diesem Fall ganz schnell der Background vergessen wird, während da bei anderen Acts jahrzehntelang darauf rumgetrampelt wird. Vielleicht liegt das wirklich daran, dass Alcest bei Prophecy sind? Wer weiß.
@ hmm
in deiner aufzählung hast merkwürdiger weise impaled nazarene vergessen .
Stimmt, die gehören auch dazu. Was daran so merkwürdig sein soll, erschließt sich mir deshalb nicht ganz, da's mir ja sowieso am Hintern vorbeigeht.
Achso, dann bitte ich um Entschuldigung. Diese Doppelmoral war letztendlich auch das, worauf ich mich bezog. Und wirklich die tatsächliche Irritation, dass das Engagement so selten thematisiert wird. Bei Deafheaven wurden sogar alte Tweets und das Bandshirt eines (ehemaligen?) Schlagzeugers diskutiert.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
peste noire sind doch geil?
ganz schlimm wars ja bei archgoat. weil man die ja geil finden darf/muss, wenn man dazu gehören will, die aber gesplittet haben, mit dem, der nicht genannt werden darf. das war großes kino
mir kams halt nur komisch vor, dass du ausgerechnet die band für die du soviel sympathie aufbringst das sie sogar deinen ava schmücken darf ,nicht in deiner aufzählung von grauzonen und nsbm bands unterzubringen gewillt bist.
ging @ hmm
Bei Anna von Hausswolff löste das Tragen eines Burzum-Shirtes in der Öffentlichkeit Diskussionen aus, worauf ein Magazin, das mit V beginnt, die Künstlerin in ein schlechtes Licht rücken wollte. Das sind dann auch Sachen, die zu sehr über das Ziel hinausschießen.
vice.de? da lese ich jeden morgen. kriege einen tobsuchtsanfall und schreie nur noch "Breivik hat recht" das wirkt fast besser als die kaffee-clomipramin kombi aber ich weiss nicht was ein hausswolff ist
ps:
die besprechung von der DerStürmer/the auschwitz symphony orchestra split ist in arbeit
darauf wartet sicher nicht nur kneipi
Tolles Album - aber Écailles de Lune wird unerreicht bleiben.
Übrigens, da es noch gar nicht angesprochen wurde: Ich halte ja sonst nicht soviel von Bonustrack, die nur bei bestimmten Versionen enthalten sind. Aber hier, mit "Notre sang et nos pensées" ist das ganz was anderes. "Onyx" ist schon ein ziemlich guter Schlusssong, aber der Bonustrack übertrumpft das nochmal bei weitem. Mag das Album gar nicht mehr ohne hören. Versteh hier den Hintergrund auch ehrlichgesagt nicht. Als Bonustracks werden doch meistens Titel genommen, die entweder nicht ganz in den Fluss eines Albums passen, oder die eher nur als B-Side taugen. Aber hier - da es sich eher um ein Outro handelt als um einen echten Song - ergibt das für mich nicht wirklich einen Sinn.
Unfassbar. Wie konnte bis eben eine neue Alcest an mir vorbei gehen? Sofort nachholen.