laut.de-Kritik

Souveräner Trip Hop und Akustikpop mit gutem Textflow.

Review von

Dem Song "Chaos" merkt man noch an, in welche Richtung Ami Warning die Produktion von "Momentan" ursprünglich lenken wollte. Hip Hop-Musikbetten mit Scratchings, scheinbaren 70er Jahre-Soul-Samples und fettem Sound unterlegten Amis Gesang und Gitarre nach der ersten Runde der Aufnahme-Sessions. Ami trennt sich davon und reduziert die Arrangements aufs Minimum: Akustikgitarre, ab und zu das ein oder andere weitere Instrument, weil sie "auch dieses Live-Element drin haben will" - Ami tourt seit Jahren mit Akustikgitarre. Vom ursprünglichen Feeling der ersten Version bleiben in den meisten Songs der Offbeat-Rhythmus, in "Chaos" ein Bass-Drum-getriebenes Instrumental übrig, das schwer nach Hip Hop klingt. "Für mich waren diese Zwischenschritte ganz wichtig, um da hin zu gelangen", findet Ami.

Textlastig zeigt sich "Momentan" im Ganzen, wobei die Lyrics sehr souverän wirken und stolperfrei fließen. Oft reiben sie äußere Eindrücke und innere Überlegungen gegeneinander, beschreiben Momentaufnahmen und heben ein großes Bündel an Impressionen auf eine psychologische Ebene. Die Sängerin wertet Denkfehler aus, die ihr selbst passieren, oder schnappt in "Gegenwind" Zitate aus ihrer Umgebung auf und kommentiert sie. Selbstkritik, knappe Analysen und ein Plädoyer für Gelassenheit überwiegen auf dem Album.

Doch manchmal formulieren die Texte aus, was man im Booklet voller Karibik-Fotos sieht: dass es einfach schön sein kann, in der Sonne zu sitzen und in sich selbst hineinzuhorchen. "Wir sitzen auf irgendeinem Hausdach / Die Sonne ging grad auf und es ist schon kurz vor 8 / Und ich wünsch mir, dass du glücklich bist / aber ich weiß auch, dass es oft nicht so einfach ist / und ich fang zu denken an / auch wenn ich nichts find, dass ich bereuen kann."

Nach einer durchgemachten Nacht entsteht der Song, sagt Ami. Sie fügt viel Alltägliches zusammen und meint, was sie singt, so schlicht, wie sie es textet. Generell handeln die Songs viel davon, den Moment zu betrachten, wahrzunehmen, zu genießen und nicht alles zugunsten anderer Leute Meinungen in Frage zu stellen.

Der Song "Gegenwind" ironisiert autobiographisch auch Kritik, die sich die 24-Jährige als Kind oder in den letzten Jahren anhören durfte. Ob es um ihre Texte geht, "Und du singst jetzt auf Deutsch / machst du das für Geld / Ich glaub, dass mir das Englische besser gefällt", oder um ihre Auftritte, "Und auf der Bühne schau doch nicht so ernst / Du merkst doch selber, wie du dich vom Publikum entfernst", um ihre Figur, "Du musst essen Kind / schau wie dünn deine Arme sind / Auf die Linie schauen / wir sind kurvige Frauen" oder um ihr Temperament: mal zu ruhig, mal zu lautstark.

Egal, wie man es macht, man macht's verkehrt; egal, wie man ist, man soll sich optimieren. Hat man seinen Stil gefunden, soll man ihn ändern - ändert man ihn, soll man alles wieder wie vorher machen. Der Song überzeugt, denn er lässt sich auf tausende Situationen übertragen (z.B. die Studentin, die ihrer Kommilitonin ungefragt Tipps für die Karriereplanung gibt ("du musst..."), den Chef, der niemals lobt und alles besser weiß, die Reporterin, die dem Politiker im Interview aus allem einen Strick dreht). Hauptsache es wird genörgelt und "Gegenwind" simuliert.

Während das Album mit dem Wort "vielleicht" und stillem Akustik-Pop anfängt, gibt der Folktronic-Song "Einfach Sein" mit Synthie-Akkorden und dominanter Bass Drum, eine klare Losung aus. Frei von Eventualitäten und Zweifeln. Ami bezieht das "Einfach Sein" aufs Nichtzustandekommen von Beziehungen. Das fröhliche, tanzbare Stück etabliert sich als schönes Lied über und, vor allem, gegen Liebeskummer. Die Songwriterin fasst etliche Gesamteindrücke aus angefangenen und schnell beendeten Partnerschaften zusammen und kontrastiert das euphorische Abenteuer mit den Störfrequenzen des Scheiterns.

Das Abenteuer klingt in "Chaos" so: "Wir tanzen wild, wir tanzen lang / ich nehm mit, was ich kann / ja ich vergess mich für ne Weile / bevor ich mich daheim zu Tode langweile." Die Störungen lauten in "Karussell": "Und wenn du Pläne machst, die ich nicht hören will / ignorier ich's ich bleib einfach still / und jeder lebt nur so vor sich hin / kein Verlust und kein Gewinn / kein Vor und kein Zurück / wir bewegen uns kein Stück."

Obwohl Ami wie sie sagt nur zwei Songs von Namika kennt, weisen "Karussell" und "Fliegen" einige stilistische, lyrische und stimmliche Ähnlichkeit zu "Que Walou" auf. Ami selbst findet ihre eigene Musik sehr an Hip Hop abgelehnt. Es handele sich um "Hip Hop auf neue Art, weil es nicht um Rap geht und auch nicht einfach um Beats, sondern Songs, wie man sie von der Struktur her sogar eher ausm Pop kennt. Aber dieses Mal sind es Hip Hop-Beats, und Gesang darüber, neu kombiniert."

"Hausdach" profitiert von einem Reggae-artigen Groove. "Fliegen" und "Schubidu" erinnern ans Trip Hop-Songwriting von Morcheeba. Das Titellied "Momentan" fügt sich gut daran an, erhöht aber das Tempo und sprüht auf elektronischen Beats schwungvolle Vibes um sich, die einen Tick in Richtung Culcha Candela gehen. Der Opener "Vielleicht Lieber Morgen" geht dagegen auch als Kreuzung aus Indie-Pop, Folk und Schlager durch. Ami Warnings rauchige, zugleich weiche Gesangsstimme sowie die autobiographische Authentizität halten die Fäden zusammen und formen ein rundes, sympathisches und klares Album mit hohem Unterhaltungswert.

Trackliste

  1. 1. Vielleicht Lieber Morgen
  2. 2. Karrussell
  3. 3. Gegenwind
  4. 4. Hausdach
  5. 5. Fliegen
  6. 6. Chaos
  7. 7. Schubidu
  8. 8. Momentan
  9. 9. Einfach Sein
  10. 10. Mann Und Frau

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