laut.de-Kritik
Die Klassiker der New Wave-Poetin reloaded.
Review von Toni Hennig2020 wollte Anne Clark, nachdem sie sich zuvor live ziemlich rar machte, wieder auf Tournee gehen, doch die Corona-Pandemie kam dazwischen. Sämtliche Ersatztermine wurden ebenfalls gestrichen, da bei ihr Krebs diagnostiziert wurde. An ein neues Studioalbum war erstmal nicht zu denken. Dafür realisierte die britische New Wave-Poetin zusammen mit ihren langjährigen musikalischen Partnern herrB und Thomas Rückoldt sowie bekannteren Namen der elektronischen Szene wie Blank & Jones oder Solomun die Platte "Synaesthesia - Classics Re-Worked". Sie enthält vierzehn Remixe und Remakes ihrer Klassiker.
Den Beginn macht Thomas Rückoldts Ballad Mix von "Entire World", der zunächst mit verhallten Ambient-Tönen, etwas elektronischem Gezirpe, ruhigem Piano und den Clarks nachdenklichen Spoken Words recht sphärisch beginnt, gegen Ende hin aber mehr in Richtung IDM geht. Nicht unspannend, was sich über seinen Unity Mix desselben Stückes nicht sagen lässt, bekommt man doch nicht mehr als gewöhnliche Trance-Klänge geboten. Da hinterlässt herrB mit dem Kickin Mix von "Wallies", der durch die leicht EBM-artigen Sounds und die Vocals der Britin tatsächlich gut nach vorne kickt, einen überzeugenderen Eindruck.
Aber auch einige bekanntere Namen liefern überzeugende Überarbeitungen ab, allen voran Blank & Jones, die mit ihrem 2021er-Revisit von "The Hardest Heart" Dancefloor-Futter allererster Kajüte liefern. Die Version fängt dabei mit harten Bassschlägen recht technoid an, mutiert jedoch schnell zu einer energiegeladenen Trance-Nummer. In der Mitte nimmt das Elektronik-Duo das Tempo ein wenig heraus, um es dann wieder anzuziehen, so dass die Synthies, die Clarks euphorische Spoken Words hervorragend unterstreichen, und die Melodie am Ende ihre berauschende Wirkung nicht verfehlen.
An ruhigen Tönen mangelt es der Platte ebenso nicht, nur plätschern die manchmal etwas unbeeindruckt am Hörer vorbei. Andreas Bruhns Überarbeitung von "Heaven", die zusammen mit der Sängerin Emily Falls entstand, wartet zwar mit majestätischen Bläser-Klängen auf, verliert sich jedoch zu sehr in midtempolastiger Gemächlichkeit. Melting Suns Operas Version von "Orange Suns", an der sich auch herrB beteiligt hat, wirkt in ihrer rituell ambienten Versponnenheit mehr einschläfernd denn spannend.
Interessantere Ansätze bieten die Reworks von Yagya und Deadbeat. Yagya ergänzt in seiner Version von "Waiting" seinen verträumten Dub-Techno um melancholische Folklore-Sounds, die sich mit den intimen Vocals Clarks hervorragend ergänzen. Deadbeat verpasst "Hope Road" ein entschleunigtes Dub-Korsett und bringt die Spoken Words der Britin dezent in seinen Mix unter, so dass seine Überarbeitung etwas äußerst Trippiges besitzt.
Die Techno-Überarbeitungen lassen ebenso aufhorchen. Solomuns Remix von "Take Control" hat mit gleichbleibendem 4/4-Bass, harten Claps und Rave-Einschüben sowie Elektro-Synthies etwas äußerst Treibendes. Marc Romboys Respect Mix von "Our Darkness" gemahnt an Detroit-Techno aus den 80ern, behält aber die kühle New Wave-Atmosphäre der ursprünglichen Version bei. Robin Hirte wandelt "Sleeper In Metropolis" zu einem funktionalen Club-Brecher um, ohne die paranoide Stimmung des Originals aus den Augen zu verlieren.
So gelingt es einem Großteil der Producer, das atmosphärische Ausgangsmaterial in ein individuelles Klangkorsett zu überführen, ohne die Emotionalität von Clarks Worten zu vernachlässigen. Über ein paar Längen muss man hinwegsehen.
1 Kommentar
Bin gespannt, Toni.
Das ewige "Our Darkness", mit dem ja im Prinzip schon vor VÖ sämtliche (damals noch überwiegend britische) Elektrokünstler am herumspielen waren (hauptsächlich, indem die 1 des 4/4 an eine andere Stelle der im Tempo gerne mal variierten ÜBER-Synth-Sequencer-Spur dieses Tracks gelegt wurde... ), bekam ab 2013 nochmal eine durch die Lyrik unheimlich tonnenschwere symbolische Bedeutung in einer Beziehung zu einer Halb-Engländerin für mich - allerdings, rein musikalisch hat mich von den gut 30 Remixen unterschiedlicher Künstler*innen, die ich seit der '86er-Veröffentlichung von "An Ordinary Life" mit dem Original drauf gehört habe, nur der "Alternative Mix" wirklich abholen können, der mit Beteiligung von Anne herself entstanden ist und sich bereits auf der CD-Version von "An Ordinary Life" 1986 befand, weswegen sich meine kleine Privateinlage da oben auch auf eben diesen bezieht.