laut.de-Kritik
Die Rocksau trägt nun Lippenstift.
Review von Yan VogelAuf der jüngsten Tour mit Billy Talent schwitzte sich das Quintett aus Kanada durch einen 25-minütigen Aufguss ihres rockigen Debüts "Jackson Square". Die zweite Platte "Michigan Left" bescherte der Band 2012 in der Heimat einen riesigen Popularitätsschub und erscheint nun zeitverzögert auch bei uns.
War "Jackson Square" noch als geografisches Bezugszentrum juveniler Weltbeobachtung zu werten, verbreitert sich nun der Fokus erheblich. Musikalisch singt der Himmel, schalalalen und ohohohen die Chöre und schmiegt sich der Synthesizer an die Gitarren. Textlich liest Max Kerman die ironischen und tragischen Geschichten der Stadt Hamilton von den Wänden der Häuser ab.
Die dünne Luft am Pophimmel bekommt den versierten Songwritern erstaunlich gut, denn trotz einiger geglätteter Ecken und Kanten mangelt es nicht an der Liebe zum Detail. "Book Club" mit seinen flirrenden Gitarrenleads im Refrain erinnert an The Gaslight Anthem, der Titeltrack könnte auch aus der Schmiede für perfekte Popsongs nach Maßarbeit von Phoenix stammen. Der dramatische Unterton in "On Foot Out Of The Door" steht der Band ebenso gut zu Gesicht wie die Springsteen-Hommage "Bloodlines".
Auf "Michigan Left" offenbaren die Kanadier ein gereiftes Selbstverständnis als Songwriter. Atmete "Jackson Square" noch unverkennbar den Duft verschwitzter und biergetränkter Proberaumluft, so hebt sich der Kopf nun in cleanere Pop-Sphären. Darüber mag mancher Anhänger die Nase rümpfen, dürfte sich aber eines anerkennenden Fußwippens zum Takt der Musik nicht erwehren können. Oder wie es Sänger Max so schön formuliert hat: "Man kann einem Schwein Lippenstift auftragen, aber es bleibt immer noch ein Schwein".
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