28. Januar 2004
"Omaha hat mit Seattle überhaupt nichts zu tun"
Interview geführt von Michael SchuhVergnügt wie Teenager giggeln Orenda Fink und Maria Taylor auf dem Sofa herum, lachen alle paar Minuten und verhalten sich so gar nicht wie die Komponistinnen der düster-melancholischen Songs ihres Debütalbums "Hold On Love". Man muss sie einfach lieb haben. Bis Mitte Februar ist das in europäischen Konzertsälen möglich.
Von Birmingham/Alabama über Athens/Georgia nach Omaha/Nebraska: Wo arbeiten Azure Ray in zwei Jahren?
(beide lachen)
Maria: Gute Frage. Keine Ahnung.
Orenda: Wir lassen uns einfach treiben.
Und wie fühlt ihr euch als Mitglied der großen Saddle Creek-Labelfamilie?
Orenda: Das ist ein tolles Gefühl, denn es sind wirklich großartige Leute auf dem Label. Wir könnten uns momentan nichts besseres vorstellen.
Maria: Naja, ich schon ..
Orenda: Ich rede von Saddle Creek, nicht von Omaha ...
Maria: Ahh, na gut. Ich würde nämlich lieber wieder näher zu meiner Familie zurück in den Süden ziehen.
Zurück nach Alabama?
Maria: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Orenda und ich arbeiten ohnehin getrennt voneinander, so dass wir nicht unbedingt am selben Ort wohnen müssen. Ich glaube, wir könnten auch Musik machen, wenn wir nur miteinander telefonieren würden. Außerdem hat sie einen Freund und ich nicht. (beide lachen) Vielleicht sind diese Fernweh-Geschichten aber auch alles nur Tagträume von mir.
Saddle Creek hat euch aber nicht gezwungen, in die Einöde zu ziehen?
Orenda: Nein. Seit wir mit Azure Ray so häufig auf Tournee gehen, hat sich das einfach eingespielt. Veränderung gehört zu unsere Leben. Wir waren fünf Jahre lang in Athens, bis das Angebot kam, nach Omaha zu ziehen. Wir dachten, das sei eine gute Gelegenheit, mal eine neue Stadt kennen zu lernen. Aber jetzt wo wir da sind, will Maria wieder weg, und ich kann ihr das auch wirklich nicht übelnehmen (lacht). Weißt du, Saddle Creek und all die Künstler dort sind großartig, aber die Kunstszene in Omaha ist, soweit ich das beurteilen kann, noch sehr jung. Es gibt nur ein paar Einzelne, die etwas auf die Beine stellen, aber kein Kollektiv oder so etwas.
Meint ihr damit auch die Clubszene?
Maria: Welche Clubszene? (beide lachen)
Orenda: Das ist es ja, es gibt da nichts zu tun, außer mit Freunden abhängen.
In Lincoln müsste aber doch etwas gehen, oder? Sieht im Atlas zumindest nach einer größeren Stadt aus ...
Orenda: Nein, Lincoln ist zwar nur eine Stunde weg, aber da gibt es auch nix zu tun.
Aha. Sieht ja ganz so aus, als müsstet ihr noch ein Weilchen weiter von euren Erlebnissen in Athens zehren, was?
Beide: Yeah!!
Maria: Da kamen immer haufenweise Bands auf Tour hin, es gibt tonnenweise Clubs und jede Menge zu tun.
Orenda: Wir vermissen aber auch den Süden, denn bei uns in den USA hat der Süden seine ganz eigene Kultur. Die meisten Leute assoziieren mit Amerika zwar nicht gleich Kultur (lacht), aber die Südstaatler haben eben ihre eigene Art zu leben und einen eigenen Dialekt. Auch die Luftfeuchtigkeit ist bei uns sehr hoch, was sich auf das Verhalten der Menschen auswirkt. Es ist toll dort unten, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Wenn du dort aufgewachsen bist und dann weg ziehst, vermisst du es einfach sehr. Und die Menschen im Mittleren Westen sind sehr viel reservierter als bei uns.
Ergab sich mit dem Umzug eine neue Arbeitsweise bei euch?
Maria: Ich glaube nicht, aber vielleicht unterbewusst. Immerhin schneit es in Nebraska die ganze Zeit, so dass es außer dem geographischen auch noch den klimatischen Unterschied zum Süden gibt.
Orenda: Auf jeden Fall änderten sich die Umstände: Die erste Platte, die wir in Nebraska aufnahmen, entstand in einem großen Studio, während wir in Athens alles bei uns zuhause einspielten. Plötzlich konnten wir ein Streich-Quartett dazunehmen ...
Maria: Wir hatten ein 24-Track-Mischpult ...
Orenda: Yeah, das alles ändert schon deinen gewohnten Arbeitsablauf, wenngleich es nichts an den Stimmungen ändert, in denen du dich befindest, wenn du schreibst.
Fällt einem das Komponieren leichter, wenn man irgendwo im Nirgendwo wohnt?
Maria: (lacht) Hmm, wir leben jetzt zwar wirklich im Nirgendwo, andererseits hat Orenda hier eine Beziehung und lebt mit ihrem Freund zusammen. Das hatte sie damals im Süden nicht. Ich glaube eigentlich weniger, dass der Ort einen Unterschied macht. Wir haben ja gute Freunde um uns herum und fühlen uns nicht einsam.
Der Aspekt einer großen Familie, die an einem etwas abgeschiedenen Ort an einem Strang zieht, erinnert in Abstrichen an die deutsche Stadt Weilheim. Schonmal gehört?
Beide: Nein.
Aus der Stadt stammen Bands wie The Notwist und Console ...
Maria: Oh, we like Notwist!
Cool. Seid ihr bei euch drüben auf sie aufmerksam geworden?
Orenda: Nein, Conor (von Bright Eyes) hat das mal angeschleppt und andauernd dieses eine Lied gespielt, das geht im Refrain immer so: (singt: "You're no good, you're no good"). Ähm, erkennst du es?
Nö, aber ich frag mal meinen Notwist-Kollegen. (Kommissar Friedrich klärt später auf: Es heißt "Chemicals")
Orenda: Das war so etwa vor drei Jahren, Conor brachte eine CD aus Europa mit.
Maria: Und wir spielten es auf Parties rauf und runter. (lacht)
Clark von The Faint hat auf eurem Album ein bisschen Programming übernommen, auf Tour habt ihr mit Bright Eyes gespielt. Gibt es ein Geheimnis hinter der starken Bindung einzelner Saddle Creek-Acts?
Maria: Vor allem Respekt und Liebe füreinander.
Orenda: Wenn du in deinem Kollegenkreis Freunde findest, sind Kollaborationen nur natürlich. Jeder hat seine Stärken. Wenn du etwas brauchst, fragst du einfach und jeder hilft gerne aus. Das ist schön.
Maria: Das war auch in Athens nicht anders. Es gab viele kreative Leute auf einem Fleck, was für eine Weiterentwicklung sehr zuträglich ist.
Was denkt ihr bei dem Satz "Omaha is the new Seattle"?
Maria: Ich habe wirklich keine Ahnung, wo das herkommt. Seattle hat mit Omaha überhaupt nichts zu tun.
Orenda: Die Leute, die das sagen, waren in ihrem ganzen Leben noch nicht in Omaha. (beide lachen)
Maria: In Omaha kennen sich alle seit der High School, in Seattle gab es ein paar Grunge-Bands, dann zogen ein paar Bands von außerhalb dazu und dann kam dieser Hype. Die Leute in Omaha kennen sich seit sie 12 sind oder noch länger. Wir beiden sind die einzigen, die zugezogen sind und freuen uns, akzeptiert zu werden. Und Omaha ist soo klein, das ist wirklich überhaupt kein Vergleich. Aber die Leute suchen nun mal Vergleiche, auch dort, wo es keine gibt.
Die lieben Journalisten aus Amerika fanden das super.
Maria: Ich denke, wann immer es hohe Kreativität an einem bestimmten Ort gibt, vergleichen es die Leute mit dem letzten großen Hype.
Orenda: Sollte es tatsächlich einen Hype geben, kann der bei uns allerdings wenig ausrichten. Niemand will so was oder würde es zulassen. Falls jemand von außerhalb nach Omaha kommen will, um sich die "Hype-Bands" anzusehen, findet er keine, denn wir haben keine Clubs. (beide lachen)
Aber gute Kritiken gepaart mit großem Medien-Hype schmeicheln doch der Künstlerseele, oder?
Maria: Klar, es ist schon toll, wenn man gute Presse bekommt, und seid wir auf Saddle Creek sind, bekommen wir natürlich auch mehr Feedback.
Und mit Moby kommt man auch ins Geschäft.
Orenda: Ja, wir haben zunächst auf ein paar Stücken mit ihm zusammen gearbeitet, und Anfang 2003 fragte er uns, ob wir als Support-Band die Hälfte seiner Tour absolvieren würden. Und das machten wir natürlich. (lacht)
Damals wart ihr aber noch in Athens, oder?
Maria: Genau. Das lief so, dass sein Manager unsere CD hörte, die ihm ein Freund von uns zugesteckt hatte, und dann kam er auf uns zu. Daraus entstand dann auch die Kooperation auf einem Song seines "18"-Albums. Ein anderer Song von der Session kam auf eine B-Seite hier in Europa.
Habt ihr als langjährige Athens-Band auch mal die Kollegen von R.E.M. getroffen?
Orenda: Michael Stipe und Mike Mills sind gute Freunde von uns.
Maria: Ja, sie unterstützen die Indie-Szene in Athens immer noch massiv. Man trifft sich ab und zu auch auf Konzerten.
Orenda: Es kam schon vor, dass wir in Städten gespielt haben, in denen Leute auf uns zukamen und sagten "Well, Michael meinte, wir sollen uns eure Show unbedingt ansehen, sonst wären wir nicht gekommen".
Letzte Frage: Wie würden Azure Ray eigentlich ohne Eric Bachmann klingen? (Bachmann ist Produzent, Freund und elementarer Studio-Bestandteil des Duos, Anm. d. Red.)
(beide lachen)
Maria: Kennst du unsere EP "November"?
Nein.
Maria: Auf "November" hörst du Azure Ray ohne Eric Bachmann. Viel Spaß dabei.
Orenda: Ja, das ist jetzt deine Hausaufgabe. (lacht)
Das Interview führte Michael Schuh.
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