laut.de-Kritik

Experimentierfreude zwischen Synthpop und Heavy Metal.

Review von

Selten ist etwas, mit dem Anthony Gonzalez, der Kopf hinter M83, auch nur minimal in Berührung gekommen ist, schief gegangen. Sein Einfluss auf Big Black Delta, dem Solo-Projekt von Jonathan Bates, der lange als Live-Gitarrist mit M83 auf Tour war, schlägt sich deutlich in Bates' Debüt-LP nieder: Die Liebe zum 80s-Synthiepop, zu Theatralik und großer Geste liegt stets in der Luft, vom ersten bis zum letzten Takt der Platte.

Schon Bates' Remix-Tätigkeiten für M83 sprechen für sich: Seines hervorstechendsten Erkennungszeichens – dem zirpenden Synthie-Motiv – entledigt, ist "Midnight City" in der Version von Big Black Delta ein bollernder Brocken grobschlächtiger Musik, der mit dem gefeierten Original kaum mehr etwas gemein hat. Als musikalisches Statement verkörpert der Remix Bates' vermutliche Philosophie: Dem vereinheitlichten Massengeschmack setzt er die Verbindung von Distortion und Anmut entgegen.

So bietet "Big Black Delta" großen Spielraum für Phantasmen. Komplett am Laptop produziert, verortet der Kalifornier seinen Sound in den Zwischenwelten scheinbarer Gegensätze: organische Wärme vs. technisch-digitale Kälte, Zartheit vs. Verstörung, Mensch vs. Maschine. In den Grauzonen derartiger Dichotomien bewegen sich Bates' gewaltige Kompositionen.

Dabei lässt der Musiker kaum Eindeutigkeiten zu. Er übt sich lieber in der Auslotung der Möglichkeiten zwischen Populärem und Abseitigem. Schon auf "Put The Gun On The Floor", das unweigerlich Crystal Castles ins Gedächtnis ruft, entfaltet sich ein Fest aus Synthesizer-Wabern zwischen einladend und bedrohlich. Das Zelebrieren düsterer Anziehung scheint ohnehin einen Grundpfeiler von Big Black Deltas künstlerischer Arbeit zu bilden.

Glockenhelle Synthies, wuchtige Klatsch-und-Stampf-Beats, digitale Engelszungen, dazwischen verzerrte Stimmen, deren Inhalt schwerlich zu entschlüsseln ist - das sind die Elemente, mit denen der Künstler vorzugsweise arbeitet. Überhaupt: Entschlüsselung ist kaum möglich auf diesem erstaunlichen Erstlingswerk. Wie kryptisch-mathematische Codes muten manche Songtitel an. Besonders "x22" lässt auf Form und Inhalt des Songs schließen: Mechanisches Knallen, heftiges Gitarren-Getöse, atonale Geräusche aus dem Maschinenraum, bis zur Unkenntlichkeit entstellte Gesangsfetzen, die kaum noch etwas Menschliches an sich zu haben scheinen.

Darunter aber auch ganz viel Empfindung: Nach der mechanistischen Zwei-Minuten-Frickel-Orgie ist "Dreary Moon", auf dem Morgan Kibby von M83 die Backing Vocals singt, ein ruhiges, lichtes, wohltuendes Stück Wärme. In Jazz- und Funk-artige Gefilde flüchtet sich das an Bläserklängen und Dynamik reiche "Money Rain Down". Und auch "Into The Night", eine wunderbar funkelnde Seifenblasen-Hommage an die goldenen Zeiten des Synthiepops, evoziert mit Glockenspiel und Harmoniegesang süße Tanzflächen-Melancholie.

Trotzdem ist eine leise Ahnung von Krise stets präsent, wenn auch nur implizit: Reiner Glückseligkeit, purer Nostalgie gibt sich Bates nie hin. Unterschwellig ist den Stücken durchgehend ein störendes Element immanent, das sich nur subtil offenbart. Vermeintliche Perfektion sieht sich somit kontinuierlich drohender Disruption ausgesetzt.

Das eine kann nie ganz ohne das andere sein: Bates bewegt sich in den Zwischenräumen von Extremtypischem. Dabei nähert er sich ständig einem Pol an, bevor er immer wieder kurz vor dem Moment der Überzeichnung in die andere Richtung zurückpendelt. Tiefe und Weite sind die Dimensionen, die seine übermächtigen Stücke ausloten. Nicht zuletzt durch Projekt- und Albumtitel sowie Cover-Artwork evoziert, wirken seine Songs ausschweifend, allumfassend, bodenlos. Ein Gefühl von galaxienweiter Ferne und Unendlichkeit schwingt bei jedem Klang mit. Bates lädt uns ein, sich in Ausmaß und Dichte seiner derben Arrangements, seiner überbordenden, lauten Aufnahmen zu verlieren.

So zum Beispiel auf "IFUCKINGLOVEYOU": Der Song treibt die musikalische Vision Big Black Deltas auf die Spitze, ist vermutlich ihre konsequenteste Umsetzung. Größtmögliche Diskrepanzen sind hier vereint: Seichter 80s-Pop trifft auf Heavy Metal, Geschrei auf Gospelchor, und lieblich-poppige Melodien treffen auf heftigste Bass-, Gitarren- und Drum-Ausschreitungen. Was der Titel schon durch Wortwahl und Schreibung andeutet, zeigt das Stück in aller Deutlichkeit: In fast allen musikalischen und vokalen Kategorien – Gesang, Melodie, Tempo und Dynamik – werden übliche Erwartungshaltungen an den instant three-minute Love Song unterlaufen.

Besondere Glanzstücke sind "Huggin & Kissin", "Capsize" und "Side Of The Road": So viel Pop-Appeal inmitten einer alles andere als Mainstream-konformen Platte kommt unerwartet. Dabei steckt eine Menge Gefälligkeit in Bates' Stücken, nicht zuletzt weil er sich bei aller elektronischen Experimentierfreude in Song- und Rhythmusstruktur stets recht konventioneller Formalia bedient.

So wunderbar, wie es begonnen hat, endet es auch: "Love You This Summer" bildet den finalen Ruhepunkt der Platte. Leicht hallende Akustikgitarren und Echos von fließenden Synthklängen laufen hier in ambientem Downtempo ineinander. Am Ende bleibt nicht viel mehr übrig als langsam schwindende Percussion. So schließt Bates für uns die Konstruktion seiner musikalischen Zwischenwelt – mal beruhigend, mal grotesk entstellt – ab, die man so schnell nicht mehr verlassen möchte.

Trackliste

  1. 1. Put The Gun On The Floor
  2. 2. Side Of The Road
  3. 3. Huggin & Kissin
  4. 4. Capsize
  5. 5. Money Rain Down
  6. 6. Betamax
  7. 7. The Zebrah
  8. 8. IFUCKINGLOVEYOU
  9. 9. x22
  10. 10. Dreary Moon
  11. 11. PB3
  12. 12. Into The Night
  13. 13. Love You This Summer

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LAUT.DE-PORTRÄT Big Black Delta

"All this band needs is a crowd to match the size of their sound", schreibt der Guardian im August 2012 über Jonathan Bates' Projekt Big Black Delta.

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