laut.de-Kritik
Das Album muss man sich nicht mit Absinth schön saufen.
Review von Toni HennigPassend zur Faschingszeit erschien von Blutengel 2017 mit "Leitbild" die wohl "grottigste Scheibe des Jahres". Doch irgendetwas muss danach mit Mastermind Chris Pohl geschehen sein. Die folgende Mini-LP "Black" war nämlich überraschenderweise "mit Abstand die beste Platte" des Berliner Projektes. Da besteht doch die leise Hoffnung, dass dieser Positivtrend mit "Un:Gott" auch auf Albumlänge anhält.
"Together As One", das nur wenige Textzeilen aufweist, die Chris Pohl und seine aktuelle Duettpartnerin Ulrike Goldmann repetitiv darbieten, hält mit marschierenden Drums und majestätischen Bläsern aus der Dose die Spannung aufrecht und geht somit als langes Intro durch. Damit schüren die Hauptstädter zumindest eine gewisse Erwartungshaltung an das restliche Material.
Und man höre und staune: Mit "Into The Void" orientieren sie sich stark an den coolen Touch von The Sisters Of Mercy, wenn Pohl zu funkelnden Synthies und angerockten Uptempo-Klängen mit seinem dunklen Timbre beinahe Crooner-Qualitäten offenbart und sich Goldmann als akzeptabler Ofra Haza-Ersatz erweist, ohne jedoch an die mysteriöse Aura der Sängerin aus Israel heranzureichen. Das lässt sich sogar als genießbar bezeichnen, wenn man bedenkt, dass man beim Kauf eines Blutengel-Albums in etwa die Wahl zwischen einer schweren Mittelgesichtsfraktur und einem leichten Kreuzbandriss hat.
"König" hinterlässt ebenfalls einen ganz passablen Eindruck, wenn man sich den Text gemäß des Credos 'Hochmut kommt vor dem Fall' weg denkt. So trifft die Kombination von atmosphärischen Synthies und gradlinigen Dancefloor-Beats durchaus ins Schwarze und verleiht der Nummer Ohrwurm-Qualitäten. "Praise The Lord" kommt mit verspieltem Electro-Industrial und flächiger Elektronik daher und klingt für Chris Pohl-Verhältnisse schon beinahe ambitioniert. Auch wenn er lyrisch lediglich auf oberflächliche Kritik an den momentanen Zuständen auf dieser Welt setzt.
Man braucht ohnehin keine tiefschürfenden Erkenntnisse zu erwarten, wenn er vom Zwiespalt des Menschen zwischen seiner guten und seiner bösen Seite singt. Zum Glück hat er zwei Drittel seiner Texte für diese Scheibe auf Englisch verfasst. So kann man sich wenigstens auf die Musik konzentrieren und muss nicht seinen geistigen Ergüssen lauschen, die ein 15-jähriger in seiner trotzigen Gruftie-Phase in zwei Minuten niedergeschrieben hätte.
Die lässt vor allem dann aufhorchen, wenn das Projekt seine schwelgerische Dark Wave-Seite betont, was auf seine Anfänge vor mehr als zwanzig Jahren verweist. Mit der Platte besinnt er sich jedenfalls auf seine dunklen Wurzeln. Dafür bleiben die Kirmes-Synthies dieses Mal größtenteils im Schrank. Das schlägt sich zweifellos positiv auf das Werk nieder.
Besonders "Seductive Dreams" hebt sich wohltuend vom restlichen Material ab. Das liegt vor allem an den orchestralen Synthies und den verführerischen Heavenly Voices von Ulrike Goldmann. Das birgt authentisches Düster-Flair im Stile Kirlian Cameras. Für Blutengel stellt der Song schon fast so etwas wie eine gelungene künstlerische Weiterentwicklung dar. Dass man in "Alles" zuvor durch die Future-Pop-Hölle muss: Geschenkt.
"Am Ende Der Zeit" verfügt gar über Italo-Disco-Anleihen. Der Text, der um die Liebe über den Tod hinaus kreist, könnte zwar von einem Hobby-Esoteriker stammen, stört aber nicht den dunkelromantischen Fluss. Zumal pumpende Achtziger-Synthies und zärtlicher Duett-Gesang eine ansprechende Symbiose eingehen. "Vampire" überrascht als angedüsterter Western-Track, der an "From Dusk Till Dawn" denken lässt.
Die restlichen Nummern mäandern dann irgendwo zwischen musikalischer Ziellosigkeit ("Surrender To The Darkness", "I'm Alive", "Morningstar"), aufgeblasenem Revoluzzertum ("Teufelswerk"), Nichtigkeiten ("The Last Song") und der ein oder anderen netten klanglichen Idee ("Not My Home", "Resurrection Of The Light") hin und her.
Trotzdem liefert das Projekt mit "Un:Gott" sein bisheriges Meisterstück ab, das sich nicht unbedingt schlechter als ein Großteil momentaner Veröffentlichungen im Dark-Electro-Sektor anhört. Nur hapert es noch ein wenig an der Umsetzung, da die meisten Beats immer noch zu synthetisch aus den Boxen tönen und sich Chris Pohls Englisch auf Grundschulniveau bewegt, aber letzten Endes zählt ja der Wille.
Dafür, dass die Berliner an einigen Stellen vertraute Pfade zugunsten frischer Impulse verlassen, verdienen sie auf jeden Fall Lob. Außerdem scheint die Platte für Blutengel-Verhältnisse vor Vielschichtigkeit beinahe überzusprudeln. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für Chris Pohl. Am Ende haben wir ein Album, das immerhin zur Hälfte ansatzweise hörbar ist, was bahnbrechende drei von fünf Fledermäuschen rechtfertigt, wenn man ein Auge zudrückt. Und nein, der Rezensent hat sich das Werk nicht mit Absinth schön gesoffen.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Hmm, lauwarmer versuch Sisters Of Mercy zu kopieren
Was'n das? Ein ganz klarer Fall für Vroniplag (The Sisters of Mercy - More), wenn's denn eine Doktorarbeit wäre. => durchgefallen, der Durchfall.
ich muss gestehen tineoidea oder die folgen einer nacht höre ich 2019 noch (zumindest heimlich)
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Zumindest manche Songs des Albums höre ich tatsächlich momentan heimlich. Gerade "Am Ende Der Zeit" hat es mir tatsächlich angetan.
Die Modern Talking der Gothic-Szene.
Bis heute niemanden getroffen der sich als Fan dieser Band geoutet hat. Auch mit diesem Album wird wohl Niemand bei mir ankommen und damit werben dass ich doch unbedingt mal auf ein Konzert gehen müsste, weil eben geile Band. Schwach wie eh und je. Solide 0.1 von 5
Zwanzig Jahre gibts die schon? Die Platte klingt wie das Debüt-Album einer Minderjährigen Schlafzimmer Produktion! Und man möchte meinen, dass zwanzig Jahre genug sind, um das th richtig aussprechen zu lernen! Ganz schlimm!