laut.de-Kritik
Re-Release eines seiner wichtigsten Alben.
Review von Ulf KubankeInspiration geht mitunter seltsame Wege. "Discreet Music" von 1975 bildet da keine Ausnahme. Als Brian Eno sich von einem Autounfall erholte, lauschte er im Hospital klassischer Harfenmusik, deren Klänge sich mit draußen fallenden Regentropfen vermischten. Hieraus entstand nach seinen Worten der Anstoß zu dieser LP, einer der wichtigsten seiner Karriere. Um selbige richtig verstehen zu können, muss man mit ein paar Legenden über Eno aufräumen.
So hält sich hartnäckig das Missverständnis, wonach er Erfinder und Vater der Ambient-Music sei und sein 1978er Meilenstein "Music For Airports" deren Geburt markiert. Beide Thesen sind falsch. Etliche Künstler waren im Bereich fließender Flächenkompositionen vor Eno am Werk: Etwa Miles Davis' Requiem für Duke Ellington namens "He Loved Him Madly" oder zahlreiche Deutsche wie Tangerine Dream, Klaus Schulze/Manuel Göttsching mit Ash Ra Tempel, Cluster, Neu!, Popol Vuh oder Harmonia. Enos Flughafenscheibe hat von allen gelernt. Sein eigener Schritt in Richtung klingender Stilleben fing solo allerdings bereits drei Jahre zuvor mit dieser Platte an.
Denn genau hier markiert er die radikale Abkehr von Rockmusik, Federboa und Glam. Eno eliminiert alle Vocals, Melodien und Rhythmen. Klingende Ruhe ist Trumpf. Jenseits der coolen Krankenzimmerstory erscheinen musikhistorisch weitere Gründe sehr wahrscheinlich. Einerseits waren die melodischen ersten Soloplatten für ihn quälend harte Arbeit. Mehr als einmal gab er zu, Leute zu bewundern, die echte Gassenhauer fabrizieren. Schon deshalb hätte weiteres Verharren in der Rock-Nische zur Verkrampfung geführt. Jene Passion lebte er später eher mit Partnern wie U2 aus. Eingängige Klopper wie "Baby's On Fire" verfasste er solo jedoch nie wieder.
Zum anderen hauten ihn 1974 das erwähnte Miles Davis-Stück sowie Harmonias Debüt "Musik Von Harmonia" vom Stuhl. Vor allem Harmonia – im Kern Michael Rother von Neu! sowie Roedelius/Möbius von Cluster – beeindruckten ihn nachhaltig. Zwischen "Discreet Music", Bowies "Low" (für das ursprünglich Rothers Mitwirkung geplant war) und "Music For Airports" zog er sich mit jenen in den deutschen Wald zurück und tauchte tief in deren entschleunigte Visionen ein.
All diese musikhistorischen Ereignisse wären ohne diese vier Tracks kaum denkbar. Für Bowie gab "Discreet Music" den Ausschlag zur Zusammenarbeit. Mithin liegt die Brillanz Enos nicht in einer lediglich angedichteten Erzeugerrolle, sondern in der konkreten Art, wie er die Textur des Genres für sich und die Welt individualisiert. Eno konzipiert die Platte streng nach dem damals gültigen Vinylkonzept. A-Seite und B-Seite unterscheiden sich entsprechend deutlich voneinander.
Das Titelstück nimmt in seiner nur scheinbaren Bewegungslosigkeit die Rolle des Prototyps ein. Hier nimmt Eno bereits alles vorweg, was später auf zahllosen Werken Abwandlung findet. Alles Mäandern, alle Fortbewegung ist kaum vernehmbar und klingt wie eine Vertonung des Prozesses, wenn fließende Lava erkaltet und erstarrt. Dreht man die LP, kommen Freunde purer Klassik auf ihre Kosten. Eno lässt den Synthesizer außen vor. Stattdessen spielt ein Orchester die hier von Gavin Bryars arrangierte und dirigierte Variation eines von Pachelbel-Stücks.
Jenseits der Grundidee fungierte Eno hier mithin eher als Herausgeber denn als aktiver Gestalter. Es macht durchaus Spaß zu hören, wie das Team ein circa 300 Jahre altes Meisterwerk in Richtung Ambient schiebt. Zeitgleich komponieren allerdings auch moderne klassische Musiker wie Arvo Pärt oder Henryk M. Gorecki eigene Werke, die mit dem Element der Flächenkomposition noch intensiver experimentieren. Wessen Neugier hier geweckt wird, höre u.a. Pärts "Cantus In Memoriam Benjamin Britten" oder einige Passagen in Goreckis dritter Sinfonie.
Der Reigen dieser LP-Wiederveröffentlichungen umfasst auch die Eno-Alben "Music For Film", "Ambient 1: Music For Airports" und "On Land" und ist in einer unsinnigerweise limitierten Version als "Half-Speed Remaster" (45 RPM) erhältlich. Eno hält diese Version der regulären LP für klanglich weit überlegen. Sie erscheint daher auf Doppelvinyl, um den Geschwindigkeitsfaktor per Drehzahl ausgleichen zu können. Allerdings bietet keine Version ein im engeren Sinne neues Remaster an. Der vorliegende Mix stammt von 2004 und kam bereits vor einigen Jahren auf den Markt. Dafür erscheinen die LPs im Klappcover mit Banderole, Abbey Road-Echtheitszertifikat und einer Download-Karte.
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