laut.de-Kritik
Entgiften und Entschlacken mit treibendem Krautrock.
Review von Kerstin KratochwillIn Wohlfühlratgebern ist viel die Rede von Digitalem Detox, das Entschleunigung und Entspanntheit verspricht. Die Berliner Band Camera hat mit ihrem vierten Album ihr eigenes Rezept zum Thema Entschlackung eingereicht. Die Einnahme der Songs auf "Emotional Detox" verspricht emotionales Abrüsten in Sachen Genrezuweisung Krautrock und infizierendes Beschleunigen in Sachen Musik.
2012 mit dem Label "Krautrock Guerilla" versehen, spielte das Trio damals spontan überall da in Berlin, wo es ihm gefiel: Die drei packten ihre Instrumente und ihr Equipment aus und machten furios in Hinterhöfen, in Unterführungen, in U-Bahnhöfen oder auf der Herrentoilette während einer Echo-Musikpreis-Verleihung Musik.
Wacklige YouTube-Clips bezeugen die lebendigen Live-Auftritte, die Camera zu echten Untergrundkämpfern für ein intensives Musikerleben machten. Mittlerweile sind sie zum Quintett gewachsen, und das neue Album zeigt auch Wachstum beim Aufbau ihrer Songs, die zwar immer noch hypnotisch, repetitiv und treibend sind wie auf den Vorgängerwerken, aber doch immer verwinkelter und vielschichtiger werden.
So peitscht der Eingangstrack "Gizmo" mit wabernd zitterndem Synthie derart mitreißend los, dass NEU! oder Can ihre wahre Krautrock-Freude daran gehabt hätten. Für die Komplexität der Songs sorgen auf "Emotional Detox" zwei Keyboarder und der Taktgeber des Ganzen, nämlich der Schlagzeuger mit dem unfassbaren Namen Michael Drummer. Er ist seit dem Debütalbum "Radiate!" die Konstante in Cameras Sounduniversum, Band-Mitglied und eine Art Katalysator per Definition: Er führt Reaktionen herbei, bleibt selbst aber stets unverändert.
So spielen sich Camera auf "Emotional Detox" emotional vom Krautrock frei und werden poppiger ("Ciao Cacao"), Garage-rockiger ("Cosm") oder ätherischer ("Himmelhilf"). Die unveränderliche Größe in den großartigen Tracks bleibt jedoch das Repetitive. Doch wie sage einst Mark E. Smith von The Fall, den "Camera-Drummer" sich zum Vorbild nimmt: "Es ist keine Wiederholung, es ist Disziplin". Und Detox ist schließlich auch Disziplin: Das Entgiften von dem musikalischem Dreck, der uns allzu oft die Ohren verstopft, beherrschen Camera mit ihren druckvollen, energetischen und instrumentalen Tracks wahrhaft meisterlich.
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