laut.de-Kritik

Indie-Pop mit Pop-Indie-Überbau.

Review von

Es ist nicht mehr zeitgemäß, eine coole Indie-Band zu sein. Es ist nicht mehr zeitgemäß, säuselnde Songs über das Verlassenwerden und Vergessen in viktorianischen Metropolzitadellen zu schreiben, sich dafür dann in ein paar Coffeeshops von Brooklyn abfeiern zu lassen und höchstens aus Versehen Aufmerksamkeit zu generieren. Popmusik hat dieser Tage so viel Potential wie seit langem nicht mehr. Ein Potential, das auch die ehemalige Chairlift-Frontsängerin Caroline Polachek spürt. Mit Produktion aus dem PC Music-Camp sucht sie auf "Pang" eine Balance aus zu Barockgesang fähiger Indie-Gräfin und der scharfen Kante des postmodernen Hyperpops.

Es ist eine Schinken-Karamell-Kombo auf dem Papier. Die Avantgardisten der Neuzeit haben sich nämlich eigentlich durch die Ermächtigung des Trashes der Vergangenheit definiert. Ebenjenes Trash, den die Avantgarde der Vergangenheit eigentlich kontrastieren sollte. Es gilt also einiges an Graben zu überwinden, wenn diese neue Fusion, diese Operation "Caroline Jetztzeit" wirklich glücken will. Doch die Dedication ist ihr auf dem Cover-Artwork abzulesen. Polachek liefert auf "Pang" nämlich feiste Arbeit ab.

Musikalisch ist sie eine zu dominante Gestalt, um sich vehement vom Chairlift-Modell abzuwenden. Kern der Songs sind durch die Bank ihre titanischen Vocals, mit denen sie sich jederzeit in die höchste Liga begeben könnte. "Ocean Of Tears" oder "Door" sind bedrückende, maximalistische Stücke über das Absurde und Vergänglichkeit. Aber die bis zur Perfektion ausbalancierten, exzessiven Stimmwände, die wie ein schiffsgroßer analoger Synthesizer Skelett und Rückgrat des Albums bilden, werden von einem interessanten Körper umgeben.

Die Soundwelt um die Balladen auf "Pang" ist surreal. Immer wieder finden sich Chamber- oder Dream-Pop-Instrumentationen, die Platte wird von einem viel organischeren und instrumtaleren Vibe getragen, als man es Produzenten Danny L Harle so per se zuschreiben würde. Und doch findet sich seine Handschrift in den Ornamenten des Albums überall. Seien es die kleinen, wabernden Vocal-Schnipsel auf "Go As A Dream", die "Track 10"-esken Synthesizer-Kakophonien in der Ambience von "Insomnia" oder der sprunghafte, von manipulierten Samples umgebene Bass auf "New Normal".

Es ist Indie-Pop mit Pop-Indie-Überbau. Polachek bleibt auf "Pang" Ton- und Taktgeberin. Ihre gewaltige Stimme und ihre melancholische Ader sorgen weiterhin für ein paar der musikalisch intriganteren, vielschichtig geschriebenen und tiefehrlichen Pop-Balladen, die das Genre zu bieten hat. Vielmehr klingt "Pang" wie das absurde Remix-Album, als hätte SOPHIE sich an "Divers" von Joanna Newsom zu schaffen gemacht. Und doch gibt es die Momente der Synthese wie in "So Hot You're Hurting My Feelings", wo die atmosphärische Art von Polachek mit einem quirligen, Clairo-esken Pop-Beat verschmelzen und für einen optimalen Herbstsonnen-Banger entladen.

Und genau dafür fühlt die Platte sich auch wie geschaffen an: Um sich das letzte bisschen Sommer zwischen den Herbstwolken zusammenzukratzen, bevor man sich in ein Kabuff verkriecht und Lars von Trier-Filme schaut.

Trackliste

  1. 1. The Gate
  2. 2. Pang
  3. 3. New Normal
  4. 4. Hit Me Where It Hurts
  5. 5. I Give Up
  6. 6. Look At Me Now
  7. 7. Insomnia
  8. 8. Ocean Of Tears
  9. 9. Hey Big Eyes
  10. 10. Go As A Dream
  11. 11. Caroline Shut Up
  12. 12. So Hot You're Hurting My Feelings
  13. 13. Door
  14. 14. Parachute

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