laut.de-Kritik
Mehr Einschlafhilfe als Echo zu "Twin Peaks".
Review von Kerstin KratochwillDavid Lynch, der Meister des Surrealen, Abstrusen und Abseitigen, ist nicht nur als Regisseur von Klassikern wie "Lost Highway" oder Serien wie "Twin Peaks" zur lebenden Legende geworden. Er ist auch Musiker – hier ist sein Kultstatus jedoch weniger groß, auch wenn er neben dem verstorbenen Maestro Angelo Badalamenti maßgeblich am offiziellen wie inoffiziellen Soundtrack zum Mystery-Meisterwerk "Twin Peaks" – nämlich "Floating Into The Night" von der unvergesslichen Julee Cruise beteiligt war.
Dessen gespenstig gänsehauttreibender Sound in einlullender Slo-Mo-Atmosphäre dürfte auch Pate für sein neues Album "Cellophane Memories" gestanden haben, das er zusammen mit der Künstlerin Chrystabell aufgenommen hat. Gemeinsam haben sie bereits zwei Alben produziert und an "Twin Peaks: The Return" mitgewirkt, in dem Chrystabell die Rolle der Agentin Tammy Preston spielte. Der Titel weckt damit sowohl filmische Assoziationen wie Celluloid als auch Erinnerungen an die in Cellophan eingewickelte Wasserleiche Laura Palmer, die in "Twin Peaks" ermordet aufgefunden wird und Ausgangspunkt für die skurrile Story der stilprägenden Serie wurde.
Auch deren Soundtrack mit ätherischem Dreampop, schrägem Score und narkotisch hypnotischen Songs soll in "Cellophane Memories" sicherlich wiedergefunden werden – inklusive dem Effekt von Zeitverschiebung und Elementen wie dem Rückwärtssprechen. Doch wie auch die letzten filmischen wie anderweitigen Projekte Lynchs – er hat zum Beispiel einen täglichen seltsamen Wetterbericht und ist Anhänger der so ominösen wie umstrittenen Transzendentalen Meditation, mit der man das "Yogische Fliegen" erlernen kann – wirken die Tracks auf dem Album überambitioniert und überangestrengt.
Der ätherische Moment wird zur Meditationstapete, vom hypnotischen Stil bleibt Langeweile, das Ambientartige wird zum Geplätscher. Wenn ein Song wie "You Know the Rest" mit überraschendem geheimnisvollem Vibrieren beginnt, enttäuscht einen die Auflösung in Form von ziellosem Gehauche und Geräuschschlauch. "The Answer to the Question" startet mit eigenwilligen Gitarrenglissandi und Hallwolken, eine Antwort bleibt der mäandernde wie monotone Song aber ebenfalls schuldig.
Die Tracks wirken wie eine blutleere Ansammlung für eine esoterische wie effekthascherische Playlist, die vielleicht in den geschäftstüchtigen TM-Zentren Besucherinnen und Besucher angemessen berieselt, aber sonst kaum zum Schweben im Sound animiert. Die Inspiration zum Album ist eine angebliche Vision Lynchs, als er bei einem nächtlichen Waldspaziergang ein helles Licht sah, das sich in die Stimme von Chrystabell verwandelte und ihm ein Geheimnis offenbarte.
Leider bleibt es auch ein Geheimnis, was Lynch hier musikalisch möchte: Ein Echo von Twin Peaks zu kreieren? Das ultimative Chill-Out-Werk zu schaffen? Einen Klangteppich für die nächsten Yoga-Stunden? Seine ursprünglich starken Ideen in verwässerter Musik zu cellophanieren? Für manche wird "Cellophane Memories" vielleicht eine schöne Erinnerung an "Twin Peaks" sein, für andere ist die Einschlafhilfe eher eine Erinnerung daran, ins Bett zu gehen.
1 Kommentar mit 2 Antworten
„määndernde“ mäandernde
Sehr aufmerksam ;-
Die zwei Wochen Urlaub haben wohl die Sinne geschärft.