laut.de-Kritik

Scream, Blair Witch, Lovecraft: Horrorshow, Part Two.

Review von

Horrorfilme, ob erfolgreich oder nicht, ziehen gerne einen ellenlangen Rattenschwanz an Sequels nach sich, die allerlei Schindluder mit den Charakteren der Originale treiben. So darf Jason Vorhees zum Zehnjährigen im Weltraum schnetzeln und der Hellraiser verabschiedet sich im Herbst seiner Killer-Karriere als höllisches Hologramm in den Cyberspace. Fortsetzungen, die dem Original die Stirn bieten, sind eine Seltenheit, besonders in diesem Genre.

Für die Musikwelt gilt das allerdings nicht unbedingt. "Can we really do anything more than once?", fragte jüngst Morgan Freeman auf "Savage Mode II". Eine Frage, die jenes Album ohne Zweifel mit einem infernalischen "Ja!" beantwortete. Es erscheint also nur logisch, dass auch die Jungs von Clipping ihrer letztjährigen Schlachtplatte "There Existed An Addiction To Blood" eine standesgemäße Fortsetzung verleihen. Wie es sich für ein Sequel gehört, setzt "Visions Of Bodies Being Burned" in fast allen Belangen nochmal einen drauf. Die musikalischen Monster sind noch grotesker, der Bodycount noch höher und das Suspense bisweilen unerträglich.

Das macht schon das "Intro" deutlich. Getrieben von schaurigen Ambient-Sounds irrt man orientierungslos umher, verfolgt von einem Unheil, das mit jedem Schlag des Noise-Pedals einen Schritt näher zu kommen scheint. Daveed rappt gedämpft, als wäre er ganz weit weg. Und wenn am Ende irgendwer seine ikonische Eröffnungsline "It's Clipping Bitch" unterbricht, und alles einmal mehr in einer kreischenden Wand aus Noise versinkt, verdunkelt sich der Raum um einen herum.

"Candlesticks in the dark, visions of bodies being burned": Das Geto Boys-Sample, das "Say The Name" so prominent durchzieht, entführt uns ins Chicago von Clive Barker, wo der Candyman sein Unwesen treibt. Die Kurzgeschichte der Horror-Ikone kommt Clipping in ihrem Bemühen, urbane Legenden und Schauergeschichten in einen zeitgenössischen politischen Kontext zu rücken, zuvor, da "The Forbidden" auch heute vollkommen für sich selbst steht. Der Sohn eines Sklaven, schwängert eine weiße Frau, deren Vater lässt ihn dafür hinrichten. Dekaden später fällt eine heruntergekommene Stadt seiner Rache zum Opfer und versinkt im Chaos.

Die abgründige Art, mit der Daveed die weltbekannte Geschichte aufarbeitet, geht unter die Haut. Er bewegt sich mit messerscharfem Stift zwischen bildlichem Nacherzählen ("The streets, it bleed sweet syrup, the bees love it / They coming on a swarm / And they raining on your college-ass disco") und zynischem Kommentieren ("Til nine months later with a stomach full of Devil baby / She startin' to think it's time to pump the brakes / But that train left the station with the Great Migration"), was der Geschichte zusätzlich Nachdruck verleiht. Den wahren Horror bringt aber Snipes' und Hutsons Produktion, die sich mit jedem Chorus mehr und mehr und in okkulte Höhen schaukelt, bis sie am Ende einer instrumentalen Seance gleichkommt. Großes Kino.

Die Lynchmord-Thematik, im Kern der Candyman-Geschichte, greifen Clipping mit "Pain Everyday" erneut auf. Zusammen mit dem experimentellen Musiker Michael Esposito gehen sie auf Geisterjagd, und werfen einen Blick in die geplagten Seelen der Afroamerikaner, die der gleichen rassistischen Ideologie zum Opfer fielen. "Nothing after life but the pain from the way you died", sagen sie. "And something reminiscent of hunger": Die wohlverdiente Rache übt erneut Daveed am Mic, indem er mit bekannter Detailverliebtheit eine Heimsuchung mit fatalen Folgen schildert. Passend dazu ist der Beat ein perkussiver Alptraum: Zwischen Aufnahmen von Tonbandstimmen und besoffenen Breakbeats, schlägt und hämmert alles in unorthodoxen Rhythmen auf die Ohrtrommel ein, was wohl gerade im Studio so herumlag. Erst am Ende gesellt sich eine befreiende Reihe von Streichern unter das geordnete Chaos und verspricht den Geistern jene Erlösung, die der Text ihnen verwehrt.

Auf "Make Them Dead" bleibt diese Katharsis aus. Das nicht endende Sperrfeuer aus Drone und Noise, dass das Klangbild bestimmt, verbietet das Fassen eines klaren Gedankens, und stellt selbst die rauesten Instrumentals aus "There Existed An Addicton To Blood" mit Leichtigkeit in den Schatten. Lässt man sich jedoch davon treiben, findet man sich inmitten eines Kultes wieder, der den Spieß umdreht und einem Amerika den Spiegel vorhält, das nur Jesus so sehr liebt wie seine Knarren. An vorderster Front steht wieder Daveed, der einem MAGA-Mützen-Träger den Dolch an die Kehle drückt und fragt: "Hate when what you sow you shall reap?". Extrem? Ja. Aber auch unglaublich immersiv und mitreißend.

Obwohl Clipping ihre politischen Ansichten nicht verstecken, und manchen damit sicherlich vor den Kopf stoßen, liefern viele Songs genug Interpretationsspielraum und Distanz, um sie auch als schlichtweg großartigen experimentellen Horrorcore zu genießen. Andere Songs wie "Check The Lock" oder der Tobe-Hooper-Kroko-Tribut "Eaten Alive" rücken die Geschichte soweit in den Vordergrund, das alles andere ohnehin zur Fußnote verkommt.

Im Rapgame gibt es nur wenige, die solch lebendige Bilder zu Papier bringen wie Daveed und da "Visions ..." die bisher kontinuierlich weitergeführte "Story"-Reihe nicht fortsetzt, flext der Kalifornier seine Storytelling-Skills eben an anderer Stelle. Das bereits erwähnte, erfreulich zugängliche "Check The Lock" erzählt von einem verängstigten Drogenbaron in einer paranoiden Abwärtsspirale. Was mit nervösen Blicken in den Rückspiegel beginnt, endet mit völliger Isolation und dem Vorbereiten der eigenen Beerdigung. Von "something in this room didn't use to be" zu "sleeping in his chucks": Einmal mehr passt sich das Instrumental dem eskalierenden Narrativ an und kippt von Strophe zu Strophe mehr ins Diabolische.

Generell sind Produktion und Inhalt kongenial aufeinander abgestimmt. "Check The Lock" klingt nach Traphouse an Halloween, "Eaten Alive" nach Lovecrafts Interpretation der Everglades und "Make Them Dead" nach dem Gefühl, ein Messer in die Brust gerammt zu bekommen. Auch die Instrumentierung von "She Bad" könnte kaum passender sein. Eine Variation der Blair Witch Project-Handlung wird von Snipes und Hutson mit hohl drehendem Jazz, eiligem Gezupfe und einem minimalen Bass begleitet. Erst zum Klimax, als die Gruppe Teenager, die sich in die Hütte am Wald verirrt hat, auf deren Bewohnerin treffen, erfüllen plötzlich deren Schreie das abrupt explodierende Klangbild. Am Ende quietscht nur noch das Gartentor. Kino für die Kopfhörer.

Der feministische Bedeutungs-Flip, den der Titel suggeriert ("she bad" ist hier wörtlich zu verstehen) führt sich in "'96 Neve Campbell" fort. Die "Scream"-Schauspielerin steht Namenspate für eine Ode an das Final Girl, im Horror wie in der Hood. "This bitch boss, she came in the game, no flex / Finne leave the game with your rep": Gastrapperinnen Cam & China erweisen den anspornenden Worten Daveeds mit ihren kaltblütigen Verses alle Ehre. Die beiden flowen mit solch einem Selbstbewusstsein und Charisma, als wären sie dem Ghostface-Killer auf den Fersen, und nicht andersherum.

"Do you like scary movies? What's your favorite?" fragt Daveed am Ende des Songs. Nach zwei Alben und zwei Stunden Material hat man ein ganz gutes Bild wie seine Antwort ausfallen könnte. Jedoch halten Clipping kurz vor Schluss noch einen letzten Curveball bereit, der sich als ihr vielleicht größter Geniestreich entpuppt. "Enlacing" reißt die Grenzen des Bewusstseins ein und lässt eine bebende Party zu einem dissoziativen Alptraum kosmischer Ausmaße mutieren. Die ätherische Produktion, die unglaublich catchy Hook und das treibende Sample wiegen einen in falscher Sicherheit und setzt einen Schlusspunkt, wie er nihilistischer kaum sein könnte. Spätestens mit Strophe zwei, wenn jegliche Emotion aus Daveeds Stimme verschwindet, kippt der anfangs beschriebene Trip ins Unvorstellbare.

"Things you seen since you last saw yourself would turn a man to dust": Lovecraft'sche Kreaturen machen all die Ghosts & Ghouls vergessen, die hier ihr Unwesen treiben. Schließlich offenbaren sie doch den größten Horror, den man sich nur vorstellen kann: Die eigene Unbedeutsamkeit. "You couldn’t bear to see the limit of yourself for what it was", rappt Diggs. "The blind idiot god will guide you to your demise. So fine, let it be gone": Es bleibt nur die Kapitulation. Industrieller Cloud-Rap fürs Ende der Welt.

Am Ende von Clippings fünftem Studioalbum fühlt man sich wie Sally Hardesty in den finalen Minuten von "Texas Chainsaw Massacre". Während Clipping die Kettensägen kreisen lassen, fährt man mit mit einer Interpretation von Yoko Onos "Secret Piece" in den Ohren dem Morgengrauen entgegen. Nach zwei großartigen, genre-definierenden Alben ist der Alptraum endlich vorbei. Or is it?

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Say The Name
  3. 3. Wytchboard (Interlude)
  4. 4. '96 Neve Campbell (feat. Cam & China)
  5. 5. Something Underneath
  6. 6. Make Them Dead
  7. 7. She Bad
  8. 8. Invocation (Interlude)
  9. 9. Pain Everyday (feat. Michael Esposito)
  10. 10. Check The Lock
  11. 11. Looking Like Meat (feat. Ho99o9)
  12. 12. Drove (Interlude)
  13. 13. Eaten Alive (feat. Jeff Parker & Ted Byrnes)
  14. 14. Body For The Pile (feat. Sickness)
  15. 15. Enlacing
  16. 16. Secret Piece

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6 Kommentare mit 18 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Geil, gar nicht auf dem Schirm gehabt - Pflichtkauf, sollte klar sein! Und der Schlusssatz mit „is“ stehen, oder?

    Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass zB der zweite Alien-Teil dem überragenden ersten ein durchaus würdiger Nachfolger ist. Aber zugegeben, ist eher kein Horrorfilm mehr gewesen...

  • Vor 3 Jahren

    mirco müsste die frage, wer der mörder in freitag der 13 ist wahrscheinlich auch mit dem tod seines boyfriends bezahlen :whiz:

    ansonsten ist wahrscheinlich das sequel zu manhunter von der breiten mehrheit auch als besser rezipiert worden als sein vorgänger...

  • Vor 3 Jahren

    Das Album und die Rezi sind doch schon vor etlichen Monaten rausgekommen? oO

    • Vor 3 Jahren

      Album joa, eineinhalb zumindest. Lief zugegeben völlig an mir vorbei, Asche -> Haupt und so :o

      Aber die Rezi ist doch wirklich frisch drin, oder? Verwechselst du das wegen des sehr ähnlichen Covers vll. mit dem Vorgänger?

    • Vor 3 Jahren

      Album ist schon bisschen älter, ja. Da bin ich nicht so recht aus dem Quark gekommen. Aber die Rezi ist erst heute online gegangen.

    • Vor 3 Jahren

      Ahja, ok. Es war der Vorgänger. Hätt die Rezi vielleicht auch mal lesen sollen.
      Positiv: Neues offensichtlich gutes Album gefunden

  • Vor 3 Jahren

    Muss es mir nochmal anhören, fand es bisher schlechter als den Vorgänger.

  • Vor 3 Jahren

    Ich bin überrascht wie gut das Album ist. Die ersten Sachen haben mir nicht zugesagt, aber seit dem letzten Album habe ich Feuer gefangen.

  • Vor 3 Jahren

    Im Vergleich zum Vorgänger (und, wie ich mittlerweile erfahren habe, ja auch ein bisschen Geschwister-Album): Weniger Hits, aber dafür auch ohne die ganz schwer hörbaren Noise-Momente (Ausnahme höchstens: Looking Like Meat). Den Sound finde ich insgesamt sogar noch einen Tick besser, weil noch ausgefeilter und stärker horrorfixiert. Diggs als MC in beiden Teilen grandios, Gastrapper passen mMn auch hier nicht zu 100% rein, aber die Parts von Cam & China gefallen mir für sich mindestens so gut wie die von Benny & El Camino. In Summe hat Visions bei mir vmtl. die Nase vorn.

    Im Vergleich zum restlichen Genre: Wow. Zugegeben, ich bin nicht kein Horrorcore-Fan und -Kenner, es mag also an mir liegen, aber ich habe echt noch nix aus der Grusel-Ecke gehört, was so wirkungsvoll und gleichzeitig frei von jedem Trash-Faktor ist (das random Outkast-Zitat mal ausgeklammert).

    Im Vergleich zum Rest dieses Jahr: Ganz vorne dabei auf jeden Fall. Wieder 5/5