laut.de-Kritik
Ekstatischer 74 Minuten-Rave: trippy, elastisch, funky, hart.
Review von Theresa LockerFranzösische Musik Mitte der Neunziger: Ein gähnendes schwarzes Loch, wenn man nicht gerade auf MC Solaar stand. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Kritiker des britischen Melody Maker, der eine hoffnungsvolle Nachwuchsband aus Paris zu dieser Zeit als "bunch of daft punks" deklassierte und sie dem elektronischen Musik-Spielzeug in die Hände trieb.
Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, in den Linernotes von Homework übrigens vor ihrer Roboterwerdung unmaskiert abgebildet, haben nur wenige Monate nach dem Release die besserverdienende Hälfte des Planeten mit dem Virus namens French House infiziert. Seitdem klingt Musik besser mit Stardust, Air, Cassius, Etienne de Crécy und dem phänomenal guten "Analog Worms Attack" von Mr. Oizo, um nur einige zu nennen.
Denn das Debüt von 1997 stellt so gut wie keine Ansprüche an den Hörer und gibt ihm doch alles, was er für ekstatische 74 Minuten braucht: Seele, Leidenschaft und Spaß. Die Platte eignet sich hervorragend für Autofahrten, als Hintergrundklassiker für träges Gewackel auf einer Grillwiese oder dazu, dann und wann morgens nach der Party betrunken durchs Wohnzimmer zu rüpeln. Ihre kompromisslose Zugänglichkeit und der Konsens-Heldenstatus, den sich Daft Punk mittlerweile erspielt haben, lässt fast vergessen, wo das Album eigentlich herkommt und hingehört: in den Club.
Denn dort findet sich eine Welt, die sich ihre kulturelle Berechtigung damals wie heute hart erkämpfen muss. Gegenüber dem etablierten Rock- und Popbetrieb hat ein Rave immer noch einen von Misstrauen geprägten Sonderstatus, ein irgendwie illegales oder zumindest unmoralisches Moment. "Stop the music and go home! I repeat ...", nölt der Polizist störrisch durch das Megaphon den Feiernden am Anfang von "Revolution 909" zu. Und dann setzt die Musik ein.
Denn das Nicht-Verstehen-Wollen, die dumpfe Ignoranz wird nicht erwidert: Daft Punk spielen anders. Sie wissen, dass sich niemand dafür interessiert, wie ein Elektroduo aussieht – und verweigern sich dem Starsystem komplett. Sie wissen, dass repetitive Dancemusik unter Dummheitsverdacht steht – und umarmen genau dabei Tanzmusik jeglicher Couleur, zelebrieren Radiosound und ihre Vorliebe für FM-Kompression, vor Freude übersprudelnd, aber ohne die Coolness zu verlieren.
Wer beispielsweise mal auseinanderklamüsern möchte, wie liebevoll der Übertrack "Around The World" arrangiert ist, schaue sich dazu die schönste Datenaufbereitung seit Erfindung des Bewegtbilds an: Michel Gondrys Verbeugung in Form des berühmten, choreografierten Musikvideos mit den ausgewaschenen Discolichtern, in dem jede der charmant-dilettantisch verkleideten Tänzergruppen eines der nur fünf Instrumente darstellt und durch die ständige Verschiebung im Sound unzählige Figuren auf- und abbaut.
Die sieben Minuten, die dieser Track angeblich dauert, werden von der reichlich genial von Chics "Good Times" geklauten, ansteckenden Basslinie, den mädchenhaften Keyboardtupfen und der hypnotischen Vocoderphrase "Around The World" ohne Weiteres unbemerkt verschlungen.
Daft Punk verstehen es meisterhaft, die Wiederholung auszureizen, ohne öde zu werden. Ihre Liebe zu so ziemlich jeder Stilrichtung der letzten Jahrzehnte zeigt sich nicht nur in der Salutier-Orgie "Teachers", die Einflüsse von Dr. Dre bis Brian Wilson namentlich erwähnt, sondern gerade in den wenigen, einfachen Zutaten, die die Tracks tragen: Hier ein simpler Funkbeat, wenig bis keine Vocals, ein paar nicht ganz ernstgemeinte Synthiesounds und dann das Ganze über einen Basslauf geschoben, der so trippy und elastisch ist wie bei "Indo Silver Club". Oder so knackig wie die Gitarrenlicks auf "Fresh".
Die weniger melodiösen, härteren Stücke feiern die verspielte Unvernunft eines trotzigen Kindes ab, das höchstzufrieden extra viel Krach macht, wenn es das Unbehagen Erwachsener wittert: "Na, könnt ihr noch!?" So brennen sich die vergifteten Feedbacks auf "Rollin' & Scratchin'" mit jedem Aufbäumen des kratzigen Tracks tiefer ins Hirn – und das erbarmungslos überschäumende "Rock'n'Roll" geht mit seinen wabbelig-verzerrten Dub-Filterloops fast an die Materialgrenzen.
Das ist nicht immer feinsinnig und soll es auch gar nicht sein. Wo die etwas frickeligen Aufnahmen zum Hit-Nachfolger "Discovery" von Bangalter als "Feinschmiederei" bezeichnet wurden, trieft dieses Album vor unverstellter Lebensfreude, Energie und Dreck. Für all diejenigen, die wissen, dass Rockmusik in letzter Konsequenz nicht immer am besten rockt – höchstens in Wiedergeburt dieses Clubklassikers.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
15 Kommentare
dann doch lieber discovery. fand die homework eher langweilig. frage mich wann endlich daydream nation oder definitely maybe von oasis kommen.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
genau so is des nur so.
klassiker,verstehste - klassiker.is ne ganzklare sache, ne Ganz klare sache
@Sancho (« @CafPow: Ich finde eigentlich nur "Piggy" (nicht hey Pig) und "I do not want this" nicht so gut. Der Rest ist einfach nur genial. Mein Favorit ist "The Becoming". Aber bei dem Album verhält es sich wie Fishermens Friend: Ist es zu stark bist du zu schwach
Den Song Animal gibts nicht auf dem Album meintest du Closer? (I wanne fuck you like an animal) »):
ja klar, das mit den Songtiteln ... da hab ich halt son Durcheinander bei mir drin manchmal ^^
meine genau die.
Tja, so is das mit Geschmack ^^
Genau, was haben NIN mit Daft Punk zu tun?
Und Pretty Hate Machine halte ich für größer als The Downward Spiral, da frischer, unverbrauchter und aggressiver.
Die Homework bleibt übrigens für mich immer noch die beste Dance- Platte der Welt. Discovery halte ich aber für einen würdigen Nachfolger auf ähnlich hohen Niveau.
@tonitasten
Word. Auf dem Niveau halten sich wohl nur noch die Prodigy Best-Of und Justice's Cross auf.