laut.de-Kritik
Eine wahre Goldgrube an Genre-fluiden Hip Hop-Ideen.
Review von Yannik GölzIch glaube, ich habe damals nicht ausreichend deutlich gemacht, wie sehr ich "Anima" von Daoko mochte. Das Album ist in Sachen Produktion, Zusammensetzung und Bildkraft eines meiner liebsten Sachen, die ich hier je besprechen durfte. Kein Flax, ich sehe darin ein All-Time-Album. Aber ich sehe ein, dass ich mit dieser Meinung auf recht verlorenem Posten dastehe: Daoko ist kein Phänomen, sie hat keine große Lobby, theoretisch gesehen steht sie auch schon weit über ihrem kommerziellen Peak. Aber wie sollte ich sie ruhen lassen, wenn sie weiter diese komplett hypnotische Musik macht?
Kurz zusammengefasst ist Daoko eine japanische Rapperin, die mit eigener Band und verschiedenen Produzent*innen nach dem Scheitern einer Mainstream-Karriere in einen kompletten Artist-Modus geschaltet hat. "Slash & Burn" ist neben einer kleinen, ebenfalls hörenswerten EP (checkt den fantastischen Track "MAD") nun ihr zweites Album dieser Scheiß-auf-alles-Phase - und auch dieses ist wieder extrem interessant.
Durch die Sprachbarriere fehlt uns sehr viel Kontext, das heißt, alles, worüber wir sprechen können, ist der Sound. Übersetzungen ziehe ich nicht zu Rate, weil ohne die Poesie der Sprache es einen Track auch nicht besser oder schlechter macht, in der Theorie zu wissen, dass da gerade etwas Cooles gesagt wird. Für den Fall Daoko juckt das aber nicht so doll, denn: Klanglich ist sie eine Goldgrube an Genre-fluiden Hip Hop-Ideen.
"Slash-&-Burn" ist nicht ganz so epochal wie "Anima" aufgebaut, es klingt in der Summe nicht so apokalyptisch und verworren, die Band jazzt sich nicht mehr in die neunte Dimension, und gerade diese Math-igen Passagen fehlen mir durchaus. Statt dessen liefert das Tape cozy-hypnotische, manchmal regelrecht bissige Crossovers in die elektronische Musik. "Gameover" gibt Arcade-Bullet Hell-Atmosphäre über analoges Drumkit. Klingt artverwandt mit Bands wie Anamanaguchi, nur eben um einen energetischen Rap-Chorus ergänzt, der dank der Leichtigkeit von Daokos Vocals nie droht, in Nu-Metal-Kitsch zu versinken. Es klingt wie etwas, das man guten Gewissens auf den "Scott Pilgrim"-Soundtrack hätte schmeißen können.
Dessen exotisierenden Blick scheint "Slash-&-Burn" aber fast ein bisschen zu antizipieren: "Sutechattene" nimmt etwas, das man gut und gerne als klischeehaft fernöstliche Klänge nimmt, jagt es laid-back durch die MPC und macht einen erschöpften, aber bissigen Track daraus. Banger gibt es indes auch wieder eine Menge: "FTS" klingt, als würde sie sich am Synthloop von Bad Bunnys großartigem "There She Goes" versuchen und dreht den Track in eine gänzlich andere Richtung. "HAOx2 + RAIx2" wirkt erst wie der Ambient-Score von einem Apokalypse-Film und dann plötzlich wie superminimaler Indie-Spiel-Soundtrack. "Tenshi Ga Itayo" und "Abon" bringen ein bisschen das J-Pop-Gefühl zurück, das sie schon so oft so effizient erweckt hat. Die abwärts fallenden Melodieläufe, die federleichte Vermengung von ein bisschen trostloser Stimme und treibendem Beat. Sehr, sehr effektiv.
Im letzten Drittel setzt "Slash-&-Burn" noch einmal eine Latte ambitionierter an und zeigt, dass gerade die verzahnteren und deprimierteren Tracks oft eine starke Arena für Daoko sind. "Blue Glow" hat das mit seinem fast Blues-esken Instrumental etwas vorher schon vorweggenommen. "Nanchatte" klingt ein bisschen nach Nujabes am Morgen mit dem Vogelgezwitscher und den fast fünf Minuten stechender Nostalgie. Manchmal finden sie sich eben, diese perfekt schwermütigen Klavier-Loops. Ebenfalls verstrahlt und ein bisschen psychedelischer wirken die spacigen Rückwärts-Loops auf "Akame No Buildings".
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass "Slash-&-Burn" ganz an die kolossale Madness von "Anima" heranreicht. Konträr zum Titel ist es ein entspannteres, unterschwelligeres Projekt. Aber auch hier zeigt sich wieder diese große Qualität von Daoko: Sie ist eine Rapperin, die nicht nur Genre-Grenzen dekonstruiert, sondern eine der ersten, die wirklich im Zeitalter ohne jene Genregrenzen aufgewachsen ist. Sie ist ein so spannender Testballon, wie man musikalische Ideen zusammenfügen kann, sie ist kreativ, stimmungsvoll und immer wieder explosiv als MC. "Slash-&-Burn" hat etwas hypnotisches, eine Klangtiefe, die das wiederholte Hören belohnt. Es ist somit weniger anstrengend und weniger kaleidoskopisch als sein Vorgänger, aber immer noch ein extrem spannender musikalischer Schmelztigel.
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