laut.de-Kritik
Eine Kokain-Diät und ihre Folgen.
Review von Michael SchuhDavid Bowie hat ein Händchen für Jubiläen. Nachdem er letztes Jahr pünktlich zum 40-Jährigen sein harmloses Psychedelic Pop-Debüt "Space Oddity" mit üppig Archivmaterial aufhübschte, ist nun pünktlich zum, äh, 34. Jahrestag "Station To Station" dran.
Beide Alben dürften es schwer haben, bei Umfragen nach seinem besten Album auf den vordersten Plätzen zu landen. Im Falle von "Station To Station" eine betrübliche Tatsache. Abgesehen von der schieren Masse tadelloser Werke dieses Künstlers, könnte eine Erklärung hierfür auch darin begründet liegen, dass das Album in Bowies Karriere einen Übergang markiert.
Im Jahr 1976 erschienen, steht es für die Abkehr seiner ungelenken, bisweilen schwülstigen Philly Soul-Verehrung auf "Young Americans" (1975) und der fokussierten Konzentration auf Ambient- und Krautrock-Exzesse auf "Low" (1977).
"Station To Station" ist damit so etwas wie der Türöffner zur sich anschließenden, legendären Berlin-Trilogie und mäandert noch etwas unschlüssig zwischen den geographischen Polen Amerika, wo Bowie mit "Young Americans" gerade zum Superstar aufstieg, und Europa, wo ihn bald deutsche Bands wie Neu! und Kraftwerk heftig beeinflussen sollten. Und obwohl er mit dem Thin White Duke ein neues, vom Cabaret inspiriertes Alter Ego einführte, spricht man nie mit der gleichen Ehrfurcht von dieser Platte wie vom Monument "Ziggy Stardust".
Und doch ist es wichtig, "Station To Station" nun in Händen zu halten, und wenn es nur eines weiteren Beweises bedurft hätte, wie unglaublich vielseitig dieser Bowie doch immer war.
Die knisternde Spannung zu Beginn des zehnminütigen Titeltracks etwa, wo sich die Rhythmusabteilung förmlich abtastet, so als wolle sie dem Hörer den weißen Funk, der auf den folgenden sechs Songs dominiert, in Zeitlupe kredenzen. Erst nach über drei Minuten bricht Bowie die Spannung mit den legendären, von Aleister Crowley inspirierten Eröffnungszeilen: "The return of the Thin White Duke / throwing darts in lover's eyes".
Ja, er machte so einige verrückte Sachen im Jahr 1976. Die toll aufgemachte Chronologie im Booklet verrät natürlich nichts von Bowies strikter Kokain-Diät, die er sich in seinem 24 Stunden pro Tag abgedunkelten Bungalow in den Hollywood Hills reinpfiff, wenn er mal nicht zu den Dreharbeiten von "Der Mann, der vom Himmel fiel" in die Sonne treten musste.
Sie erzählt auch nichts von seinen haarsträubenden Aussagen über die Rückkehr eines neuen Führers, zu denen ihn sein ungesunder Ernährungsstil offenbar trieb. Sein berühmtes Zitat über jene Zeit: "Ich weiß, dass ich in L.A. war, jedenfalls habe ich das gelesen."
Umso verwunderlicher daher, wie ein Musiker in dieser Verfassung zu solch einem Album überhaupt imstande war, um dann auch noch lässig Selbstironie aufzufahren: "It's not the side effects of the cocaine / I'm thinking that it must be love". Auch die Tatsache, dass mit Carlos Alomar derselbe Gitarrist wie auf "Young Americans" in Erscheinung tritt, klingt unglaublich, da dessen spartanisches Spiel hier vollkommen anders klingt.
Trotz des Funk-Drives der Songs "Golden Years" oder "TVC15" wohnt allen Songs eine gewisse Traurigkeit inne, die im Nachhinein gut auf die experimentelle B-Seite des Folgealbums "Low" vorbereitete, mit der Bowie endgültig die Herzen vieler Post Punk-Musiker gewann (allen voran Ian Curtis).
Als Glanzstück der Wiederveröffentlichung ist das seit damals als Bootleg kursierende Nassau Coliseum-Konzert zu bezeichnen, nach 34 Jahren endlich in annehmbarer Qualität. Es spiegelt die allmähliche Neuerfindung Bowies gut wider, der auf zahlreiche alte Glam-Klopfer verzichtete, und falls nicht, ihnen eine ordentliche Funk-Injektion verpasste ("Panic In Detroit", "Waiting For The Man").
Ob man das Teil jetzt in der Super Deluxe Limited Edition für 87 Euro braucht, wo neben dem Original und dem Livekonzert noch die 180g-Version auf drei Vinylscheiben, das CD-Master von 1985 (what the fuck?), eine DVD-Audio-Version, das Booklet und massig Fotos enthalten sind, sei dahingestellt.
Die reguläre 3-CD-Collector's Edition ist jedoch nicht nur für Fans, Pop-Nostalgiker und Musikhistoriker empfehlenswert. Anhand dieses Albums kann aus der Nahperspektive beobachtet werden, worin (ein Teil von) Bowies Faszination bis heute besteht. Keine Droge der Welt schien den Mann von seiner Vision abbringen zu können. "Be Here Now", das Kokain-Album von Oasis, braucht schon heute niemand mehr.
7 Kommentare
bowies abgefuckte wundertüte im koksgewand. sehr schön geschrieben, michel. hut ab
der gig ist auch super. die fette alomargitarre ist genau das, was tin machine leider nicht wirklich geworden sind: eine kreissäge.
aber unter bowiefreunden gilt das album doch eigentlich seit jeher als meilenstein auf derselben stufe wie low/heroes/lodger.
noch längen vor ziggy stardust.
, anyone?
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Sehr schöne Rezension Michael Schuh (oben) aber auch von Katja B. (Kommentarteil) zu einem absolut perfektem Album (einer meiner Top5 von Bowie)!
Bleibt nur noch die Frage, warum zum Teufel die Redaktion dieses zeitlose Meisterwerk nur mit 4 von 5 Punkten bewertet!!!
ich hab bowie mit dem album Scary Monsters kennen und lieben gelernt.
im laufe der jahre hab ich mich auch an seinen alten dran gewagt. Soundtrack von Bahnhof zoo hat mir so ein wenig die tür zu Bowie geöffnet und nach und nach hat er auch mich gepackt. heute 20 jahre später bin ich ein riesenfan.
der passt in keine schublade.
ich fand auch seine letzten drei alben ziemlich gut , dennoch sind STation to station und ziggy stardust und scary monsters meine ganz grossen alben von Ihm.
aus jeder Dekade eins
ich hab bowie mit dem album Scary Monsters kennen und lieben gelernt.
im laufe der jahre hab ich mich auch an seinen alten dran gewagt. Soundtrack von Bahnhof zoo hat mir so ein wenig die tür zu Bowie geöffnet und nach und nach hat er auch mich gepackt. heute 20 jahre später bin ich ein riesenfan.
der passt in keine schublade.
ich fand auch seine letzten drei alben ziemlich gut , dennoch sind STation to station und ziggy stardust und scary monsters meine ganz grossen alben von Ihm.
aus jeder Dekade eins