laut.de-Kritik

Provokant wie Ozzy Osbourne und Johannes B. Kerner.

Review von

Entertainment und Provokation liegen nahe beieinander. Das wusste schon Ozzy Osbourne. Der soll mal eine Taube mit auf die Bühne genommen und ihr vor begeistertem Publikum den Kopf abgebissen haben. Auch Sido und Harris aka Deine Lieblings Rapper provozieren. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das neueste Aggro Berlin-Produkt genauso gut unterhält wie der Prince of Darkness. Oder ob die drei nicht viel mehr miteinander gemein haben, als den Fakt, dass so manches Täubchen bei ihrem Anblick den Kopf verliert.

Provokation will eben gelernt sein. Nur weil man möglichst viele Schimpfwörter in einen Satz packt, bekommt man noch lange keine eigene Unterhaltungsshow bei MTV. Bei guter Provokation kommt das Entertainment von selbst. Bei mittelmäßiger Provokation spaltet sich das Publikum. Und bei schlechter Provokation endet man unter Umständen in einem österreichischen Gefängnis.

In bester Aggro Berlin-Manier präsentieren sich also auch Deine Lieblings Rapper: Sie sind laut, wüst, nehmen Drogen und haben dabei nicht viel mehr als Party hinter der Maske bzw. unterm Afro. Als Konzept für ein Album ist das durchaus akzeptabel - Provokation und Entertainment auf Stufe zwei sozusagen. Mehr aber auch nicht. Denn bei all dem Libido/Saufen/Kiffen-Geschwätz bleibt einmal mehr eine Frage offen: Muss bei der Suche nach den Extremen der Inhalt so konsequent auf der Strecke bleiben? Das klingt angesichts der Kritik, der sich Aggro Produkte seit ihrem exorbitanten Erfolg stellen müssen, natürlich nach alter Leier. Doch wieso sollte man bei kurzweiliger Unterhaltung Pietätsgrenzen ignorieren? Unter normal denkenden Menschen schickt es sich auch nicht, Witze auf Kosten von Minderheiten zu reißen.

Gut, Aggro-Freunde werden behaupten, dass Sido schon über viel Dreckigeres gerappt hat und dass es auf "Dein Lieblings Album" durchaus auch Songs mit Inhalt gibt. Doch bevor man mich jetzt, in böse Morddrohungen verpackt, fragt, ob ich mir überhaupt das gesamte Album angehört habe – keine Panik, mir sind die vier (mehr sind es nicht!) Ausnahmen aufgefallen. Und ehrlich gesagt, auf zwei davon hätten Sido und Harris getrost verzichten können. Ein Schmachtfetzen an die geliebte Frau daheim passt schlicht und ergreifend nicht ins Konzept ("Mein Schatz"). Genauso wenig wie ein konzeptioneller Song über den pädophilen "Peter Frade". Wer seine Zeit mit Freunden in Freudenhäusern verbringt, sollte sich mal Gedanken über seine Ehe machen. Und wer von blutenden Darmausgängen befriedigt wird, hat ein Problem mit seiner Sexualität. Davon mal ganz abgesehen: Wollt ihr tatsächlich so was von Sido hören?

Doch um nicht noch weiter der bekannten Kritik-Schiene zu folgen, beschränke ich mich auf die Punkte, die positiv beim Party machen/Bräute abschleppen-Schema auffallen.

Da gibt es durchaus Dinge, die tatsächlich begeistern können. Sido sprüht stellenweise vor guten Ideen und schafft dabei ab und an den Sprung ins große Entertainment. Kleine Kostprobe? "Ihr sagt Gott zum Gruß / Ich sag fahrt doch zur Hölle, Mann. / Ich lass euch alle fallen, wie Möllemann!" Es ist ja nicht so, dass man dieses asoziale Gelaber nicht goutieren kann. Die Dosis macht das Gift. Und wenn die Idee stimmt, dann sieht man gerne über fehlende Inhalte hinweg. Wenn Sido nämlich wie Harris rappt und Harris einen auf Sido macht, sind die beiden erstmals an dem Punkt angelangt, an dem sie über sich selber lachen können ("Kling Wie Du"). Das ist dank heruntergeschraubtem Beathoavenz-Instrumental, neben der herrlich ehrlichen Beschreibung der Hip Hop-Bewegung "Wir Bewahren Haltung", mein persönlicher Lieblings Track.

Verdammt Jungs, ihr könnt es doch. So landet ihr zwar nicht auf dem Index, aber die Sympathien eines jeden Hip Hop-Heads habt ihr sicher. Wahrscheinlich sind die nur halb so befriedigend wie fesche Groupies und konsumgeile Jugendliche, trotzdem zeigen Tracks wie "Wir Bewahren Haltung" und "Keinen Hunger Mehr", dass euch mehr an dem Genre liegt, als einfach nur möglichst schnell möglichst reich zu werden.

Entertainer wider Willen sind Harris und Sido also definitiv nicht. Manchmal übertreiben sie es zwar mit der Übertreibung. Doch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sollte definitiv nicht die Instanz sein, die die beiden darauf aufmerksam macht. Die versteht nämlich nun wirklich nichts davon, was und wie es in der Welt da draußen abgeht. Immerhin bringen die Lieblings Rapper sogar Johannes Baptist Kerner dazu, "Fotze" im Fernsehen zu sagen (gehört und gesehen bei Sarah Kuttner). Ob das jetzt schlichte Provokation oder schon Entertainment ist, können wahrscheinlich nicht einmal Sido und Harris beantworten.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Deine Lieblingsrapper
  3. 3. Mit Stil
  4. 4. Und Du !?
  5. 5. Es Geht Ab Yo Feat. Bintia
  6. 6. Gib Mir Die Flasche Feat. Alpa
  7. 7. Sing Für Uns
  8. 8. Die Da
  9. 9. Mein Schatz
  10. 10. Sommer In Meinem Block Feat.Bintia
  11. 11. Drecksau Feat. J-Luv
  12. 12. Kling Wie Du Feat. Nino Garris
  13. 13. Der Shit
  14. 14. Die Sekte Und SRK Feat. BTight, Alpa Gun, Mok, M.J.
  15. 15. Peter Frade
  16. 16. 16 Sachen
  17. 17. Kein Hunger Mehr
  18. 18. Wir Bewahren Die Haltung
  19. 19. Steh Wieder Auf
  20. 20. Fertig

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