laut.de-Kritik
Hier knistert Vinyl noch.
Review von Alexander EngelenEs boomt und bappt und glitcht und wonkt derzeit gewaltig in den Instrumental-Metropolen Berlin und Köln. Im Geiste der Genre-Götter Madlib und J Dilla raufen sich hier ganz formidable Sample-Nerds und Staubdrum-Verfechter zu einer mehr als erfreulichen Beat-Bagage zusammen.
Vielleicht liegt es an der Inhaltsleere, die textlich im Deutschrap der vergangenen Jahre dominierte, dass das Feedback auf die Lyrics-losen Veröffentlichungen so überschwänglich ist. Mit Sicherheit findet man den Grund für die Begeisterung aber in der Klasse der jeweiligen Produktionen. Instrumental Hip Hop made in Germany birgt eine erschreckend hohe Qualität. Und der Heilbronner Produzent Dexter führt diese Tradition bedingungslos fort.
Da passt es perfekt, dass Dexters "The Jazz Files" als dritter Teil der Hi-Hat Club-Reihe von Melting Pot Music veröffentlicht wird. Das Hi-Hat Club-Projekt initiierte das Kölner Vorzeige-Label, um Musik wieder eine Wertigkeit zu geben. Nicht nur mit der Garantie auf qualitative Musik, sondern ebenso durch die Verknüpfung mit einem hochwertigen Drumherum.
Vom Fotografen Robert Winter stammt die Bebilderung der auf wenige Hundert Stück limitierten Hi-Hat Club-Platten. Wie gut der Mix funktioniert, bewiesen bereits der erste Teil von Twit One und Hulk Hodn alias Testiculo Y Uno und die zweite Folge von Berlins Beat-Suffkopf Nummer eins Suff Daddy.
Dexter schließt sich dem nahtlos an und wälzt sich dabei auf "The Jazz Files" tief im Morast der Jazz-Crates. Wie so viele seiner Deutschrap-Landsmänner zieht er seine Referenzen aus den wegweisenden Fusionsproduktionen der DJ Premiers und Pete Rocks, die die Blue Note-Kataloge ihrer Elterngeneration mit drückenden Drums und scheppernden Snares recycelten.
Aus der kontemporären Musikwelt bringt diese Mischung natürlich unweigerlich einen Namen auf den Tisch: Madlib. Seine unzählbaren Beat-Tapes - allen voran das "Shades Of Blue"-Projekt - hängen beispielhaft über jeder Kick und Snare von Dexters "Jazz Files".
Von Plagiat kann dennoch auf den 36 Minuten keine Rede sein. Während sich Madlib bei seinen Kompositionen allzu oft genial im Wahnsinn über-synkopierter Free Jazz-Anleihen verirrt, hält Dexter durchgehend das Metronom im Zaum. Er konzentriert sich vielmehr auf ein durchgängiges BoomBap-Repetitorium, das leicht verdauliche Jazz-Schnippsel zusammenhalten.
Dur-Pianos, Wohfühl-Streicher und eine leicht knarzende Synthie-Line führen etwa durch "One For Yusef". Eine wunderbar quäkende Trompete leiert sich durch den simplen Drum-Loop von "Heavy Horns". Ein zerhacktes Glockenspiel harmoniert mit einfachem Keys-Trias auf "Sonny Ray". Eine aufgeregte Bassline zwingt auf "Sounds Great Les" ein Klavier zum wirren Klimpern. Immer dabei ist das wohlwollende Knistern des Vinyl-Originals.
Nicht einmal ein Song wie "Raw Jazz" nimmt der großartigen Einfachheit die Harmonie. "The Jazz Files" hat wenig bis gar nichts von der Intensität und Vertracktheit vieler klassischer Jazz-Alben. Ein klarer Vorteil für die Hörbarkeit und wahrscheinlich nur den Hardcore Genre-Verfechtern ein Dorn im Auge.
Der dritte Teil der Hi-Hat Club-Reihe "The Jazz Files" ist viel mehr als nur ein Beat-Tape. Es ist musikalische Nachhilfe, episodisches Collagenwerk mit Soundschnipseln, die erst nach intensivem Studium mehr und mehr Sinn machen. Voice-Samples aus der NBC Show "The Subject Is Jazz" leiten durch das 17 Tracks starke Album und runden, mit immer wieder eingestreuten Cuts, das Gesamtwerk ab.
Wenn die Weiterentwicklung der Beat-Generation Deutschlands so weiter geht, muss man sich tatsächlich um die hiesige Rap-Landschaft keinerlei Sorgen machen. Jetzt müssen sich nur noch mehr Rapper finden, die qualitativ in die gleiche Kerbe schlagen.
1 Kommentar
Also ich bin ein großer Fan der Hi-Hat Club reihe und kann nur jedem, dem es genauso geht die anderen Sachen aus dem Melting Pot Umfeld empfehlen. Da ist bestimmt auch was für den ein oder anderen nicht Rap höhrer dabei.