laut.de-Kritik
Aus Autodidakten werden Berufsmusiker.
Review von Alexander AustelDie 1938 in Düsseldorf gezeigte Ausstellung "Entartete Musik" sollte den Bürgern vermitteln, was - im Sinne der Nationalsozialisten - verachtenswerte Musik sei. Die Hetze richtete sich gegen jüdische Musik, Vertreter der Avantgarde und Jazz. 75 Jahre später haben Die Toten Hosen im Oktober 2013 gemeinsam mit dem Sinfonieorchester der Hochschule an drei Abenden Lieder aus der damaligen Ausstellung aufgeführt. Dass dabei auch eigene Songs aus dem Repertoire der Hosen nicht fehlen durften, sollte klar sein.
Doch auch wenn sich einige für das Orchester umgeschriebene Lieder der Düsseldorfer Altpunks in den Abend schleichen, so stehen sie doch nie im Vordergrund. Es ging nie darum, ein zweites Unplugged-Konzert zu geben, sondern um ein Projekt mit Studierenden, das sich des schwierigen Themas annimmt. Dass sich das Quintett dabei so selbstlos in das Gefüge eines Orchesters einreiht, ist nicht nur bemerkenswert, sondern zeigt auch, dass sich aus den einstigen Autodidakten Berufsmusiker entwickelten.
Besonders Campino sorgt durchgehend für Gänsehaut-Momente. Er setzt seine Stimme passend zur Thematik ein, klingt hier betrübt, dort fröhlich, ruft, schreit, rezitiert Gedichte und wirft zeitweise einen bedrohlichen Schleier der Zeit über das Publikum. Er singt allein, im Duett, ja sogar mit vier anderen - ganz ohne Musik-Begleitung. Auf der beiliegenden DVD erklärt er, warum sie nicht nur ernste und tieftraurige, berührende Stücke wählten, sondern auch versuchten, mit zeitgenössischer Satire ("Einen Großen Nazi Hat Sie") die Stimmung aufzulockern .
Die Dokumentation zeigt den Entstehungsprozess und die Proben zu den drei Konzert-Abenden, aber die Hosen sowie die Studenten der Hochschule und der Dirigent kommen auch zu Wort. Ausschnitte aus dem Konzert-Abend bekommt man ebenfalls zu sehen. Diese schüren die Sehnsucht nach einem kompletten Mitschnitt. Campino und der Dirigent erklären abwechselnd in kurzen Worten, was es mit den Stücken auf sich hat und wer sie verfasste. So geben sie dem Hörer einen geschichtlichen Rahmen, in dem man das Stück einordnen kann.
Da finden sich bekanntere Lieder wie "Die Moorsoldaten" oder Teile der "Dreigroschenoper", aber auch ein vertontes Gedicht von Erich Kästner. Damit erweitern sie den Begriff der "entarteten Musik" und spielen dem Hörer eine bewusst gewählte Auswahl aus der damaligen Kunst vor. Und dabei, wie schon erwähnt, steht die Band nicht im Mittelpunkt: Der Abend beginnt mit einem 16-minütigen orchestralen Filmmusik-Stück, das nur von den Instrumenten des Orchesters vorgetragen wird.
Warum die Platte erst jetzt, zwei Jahre nach den Konzerten, auf den Markt kommt, erklärt Campino so: "Eine Veröffentlichung war ursprünglich nie geplant. Wir haben auch nicht unbedingt damit gerechnet, dass die Konzerte so erfolgreich werden würden. Die Aufführungen wurden von den Studenten zwar aufgenommen, aber wir haben uns diese Tapes längere Zeit nicht angehört. Erst als uns unser Arrangeur Hans Steingen anrief und darauf bestand, dass wir uns mit den Aufnahmen noch einmal auseinandersetzen, haben wir uns damit befasst und waren sehr glücklich mit dem Ergebnis."
Vielleicht wählt man den Zeitpunkt auch deshalb, weil sich aktuell besorgte Bürger immer mehr radikalisieren, sogenannte Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes wettern und Populisten wieder Zäune und Mauern fordern. Es mag sicherlich stimmen, dass die Hosen keinen Punk-Rock mehr machen. Aber sie positionieren sich noch immer politisch klar und deutlich gegen Rassismus und Fremdenhass. Und mit eben dieser Leistung, 70 bis 80 Jahre alte Lieder neu zu interpretieren und mit einem Orchester aufzuführen, wagen sie einen großen Schritt und setzen gleichzeitig erneut ein Zeichen.
3 Kommentare mit 10 Antworten
Hätte nicht gedacht, dass mir die Hosen mal symphatischer als die Ärzte werden...
Ja, die guten Autodiktaten namens Hosen!
Selten so gelacht! Und morgen wieder dabei in Dresden?
Steht so in der Rezi:
"...dass sich aus den einstigen Autodiktaten Berufsmusiker entwickelten."
Leite es ab aus der Überschrift, nur ein Schreibfehler im Text.
Ne, peinlich, dass hier nicht Korrektur gelesen wird. Was soll eigentlich dein Dresden-Kommentar? Besoffen oder was?
Das eigentlich Witzige ist ja, wie hier hervorgehoben wird, dass die Toten Hosen Autodidakten sind. Als ob das ne besondere Leistung wäre, bei dem, was die so spielen.
@c452h, interpretieren wir mal. Vom Diktat sind wir ganz schnell bei der Diktatur. Selber hab ich nicht viel gelesen von der Rezension, deshalb sah ich nicht das der Satz aus der Überschrift im Text nochmal Verwendung fand. Mich interessiert diese Musik auch nicht sonderlich. Trotzdem erkenne ich an das die Hosen mit dem Album ein wichtiges Stück deutsche Pop(-ulär)kultur neu interpretiert haben. Gerade in der Jetztzeit. Natürlich kann man so argumentieren, das ein Rechtschreibfehler gerade in dem Zusammenhang eher peinlich ist. Nehme ich die Begriffe Toleranz u. die Aufregung des Autors aber dazu, nun dann verzeih das ich DICH im braunen Dresdner Sumpf am liebsten versinken lassen wollte.
@Morpho, mir ist klar das du einfach nicht zu belehren bist. Na ja was will man auch von Fachidioten schon erwarten? Das man die Leistung von Autodidakten anerkennt o. gar Respekt zollt? Witzig ist das nicht, traurig Morpho ist das.
Was ist denn jetzt los?
Speedi will nur demonstrieren, dass er immer noch ein Hurensohn ist. Ist wahrscheinlich noch böse, weil ich seine Tochter zur Musik von The Prodigy aufm Tresen durchgenudelt habe.
Smack my Bitch up...
Kuddel kann doch gut Gitarre spielen- also Quatsch, Imagefestigung.
Super