laut.de-Kritik

Sucht noch immer den Schnittpunkt von Klassenkampf und Kitsch.

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Disarstar versucht es erneut. Zwar gehört der Hamburger seit einigen Jahren zu den bekanntesten politischen Stimmen im Deutschrap, doch ein wirklich rundes Album ist ihm bislang stets misslungen. Mal mangelte es an Kohärenz, mal bissen sich Sound und Inhalt. Dementsprechend erscheint die Grundidee goldrichtig, sich diesmal ganz auf ein festes Team aus Produzenten zu verlassen. Die erfahrenen Jugglerz verantworten die musikalische Seite von "Microdose", zu der der Rapper seine Alltagsbeobachtungen "von den Docks zu den Snobs" zum Besten gibt.

Zum unbeirrbaren Trap-Instrumental bewegt sich der Hamburger in "Black Blocks" zunächst ganz in seiner Komfortzone. "Wissen, dass wir dem Staat ganz egal sind. Der Gott meines Viertels ist Darwin – fressen oder gefressen werden", berichtet Disarstar von der unbarmherzigen Großstadtfront, "wo der Sturm sich niemals legt". Mit einer gewissen Tradition veranschaulicht er seine Welt über Kontraste. Eine gedrückte Stimmung legt sich über "7 Leben", wenn er die Verlierer neben die Vermögenden stellt: "JuLis wollen uns was vom Leben erzählen. Aber der Benz vor ihrer Tür ist von Papa."

Mit dem christlichen Versprechen für das eigene Leiden irgendwann belohnt zu werden, lässt sich Disarstar nicht abspeisen: "Nicht gekommen, um zu bleiben. Ich will nur 'ne gute Zeit – nicht in der Zukunft, sondern gleich." Um zumindest temporär ein Hochgefühl zu genießen, benötigen die Millennials in "Microdose" entsprechende Hilfsmittel: "Codein wie 'ne Kuscheldecke, Kokain auf der Clubtoilette und ein' Kiffen zum Runterkommen, als wenn die Lösung für alles der Pusher hätte." Mit genauem Blick und konzentriertem Vortrag beleuchtet der Rapper seine vereinsamte Generation.

Umso unpassender klingt es, wenn er darauf zu bestehen scheint, seine strengen Strophen mit einem Singsang einzurahmen. Nach "Black Blocks" und "Microdose" setzt bereits Sättigung ein, doch auch "Alles Was Wir Kenn" und "Fremde" setzen auf Gesang. Im letztgenannten Song erreicht die Hook gar schlumpfige Höhen. Daneben verspricht selbst Gentleman Erholung, wenn er in "7 Leben" Trübsinn in seinem altbekannten Fantasieenglisch verpackt. Miwata presst seinen Seelenschmerz in den Refrain von "Bei Dir", während Esther Graf das "Monster" den Schlagerhang hinunterstößt.

"Monster" geht als Bewerbung für "Sing Meinen Song" durch. Zumindest schielt es deutlich auf das Radioprogramm. Dem konservativen Stil folgt eine dazu passende bürgerliche Botschaft. Disarstar skizziert sich als brauchbares Mitglied der Gesellschaft, indem ein undefinierbares Monster lauert. Anstelle systemischer Ketten gilt es nun nur noch den inneren Schweinehund zu besiegen, um vollständiges Glück zu erlangen. "Bin die beste Version von mir selbst", stellt er selbstzufrieden fest, um einem noch besseren Selbst entgegenzustreben: "Vergangenheit ist grau, aber Zukunft ist gold."

"All diese Songs sind Licht in der Dunkelheit. Die Jugglerz und ich sind die Nummer eins", schwindelt der Rapper in "Alles Was Wir Kenn". Obwohl er sich klugerweise auf ein festes Produzententeam verlässt, fehlt es "Microdose" an einem homogenen Soundbild. Und es hilft der eigenen Glaubwürdigkeit auch nur bedingt, auf "Deutscher Oktober" über die "Schlager-Hits" der geringgeschätzten Kollegen zu maulen, sich jetzt aber Esther Graf zum friedvollen Schunkeln ins Studio zu holen. Disarstar sucht noch immer nach dem Schnittpunkt von "Klassenkampf & Kitsch".

Trackliste

  1. 1. Black Blocks
  2. 2. Microdose
  3. 3. 7 Leben (mit Gentleman)
  4. 4. Monster (mit Esther Graf)
  5. 5. Lya
  6. 6. Alles Was Wir Kenn
  7. 7. Fremde
  8. 8. Bei Dir (mit Miwata)

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1 Kommentar mit 5 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Es ist echt so schade. Die Stimme, der Flow, der Inhalt sowieso - das finde ich alles wirklich sehr gut. Aber mehr als 3 - 4 gute Tracks (hier Black Blocks, Lya und Alles Was Wir Kenn) kommen halt nie bei rum. War bei Deutscher Oktober auch schon so. Wirklich schade, wäre so gerne Fan.

    Aber mal was anderes: ohne jetzt viel für Toasting Tillmann übrig zu haben, Patois als Fantasie Englisch zu bezeichnen ist schon ein bißchen unverschämt.

    • Vor einem Jahr

      Denke, er spielt eher auf die Mischung beim Tilmann an, als auf Patois an sich.

    • Vor einem Jahr

      Hm. Ich hab ja von Reggae/Dancehall ja wirklich gar keine Ahnung, aber die Dudes, mit denen ich damals rumgehangen hab und die da recht deep drin waren, haben mir erzäht, dass das Patois von dem wohl ziemlich perfekt wäre. Leave us alone soll auf Jamaica gar ein kleiner Hit gewesen sein. Hab jetzt aber kein Plan, ob das stimmt...

    • Vor einem Jahr

      Das sein Patois gut sein soll, habe ich auch gehört. Der tritt seit Ewigkeiten auch auf Jamaica auf, ist mit Sizzla und Bounty verbunden usw.. Der wird da schon irgendwo respektiert, was als weißer dort auch nicht ganz so einfach ist/war.
      Ich meinte mit "Mischung" seine Wechsel zwischen regulärem Englisch und Patois, die gefühlt seit seinem Wechsel zum Major zugenommen haben. Habe den seit Journey TO Jah kaum noch verfolgt, Trodin On war aber schon ziemlich gut damals.

    • Vor einem Jahr

      Er heißt Tilmann Otto...das sagt mMn Alles was man wissen muss...

    • Vor einem Jahr

      Ein sehr deutscher Alman-Name