9. Oktober 2013

"Hör auf, sonst muss ich auch wieder weinen"

Interview geführt von

In den vergangenen drei Jahren ging es hoch her im Hause Dream Theater. Nach dem eher unrühmlichen Abschied von Drummer und Gründungsmitglied Mike Portnoy im September 2010 durften sich die Fans wenige Monate später über eine anschauliche Doku zum Casting des neuen Drummers freuen ("The Spirit Carries On"). Im Herbst 2011 erbrachte Neu-Schlagzeuger Mike Mangini dann den Beweis, dass die Band mit ihm die richtige Wahl getroffen hatte, denn mit der Veröffentlichung des elften Studioalbums der Band "A Dramatic Turn Of Events", sprach niemand mehr über Mike Portnoy. Dieser Tage holen die Mannen um John Petrucci nun zum zweiten Studio-Schlag der Ära nach Portnoy aus.

Kurz vor 10 Uhr, Berlin, Potsdamer Platz: Während vor einem der zahlreichen Deluxe-Tempel der Hauptstadt die ersten Sitzkissen aufgeschüttelt werden, herrscht im Inneren des 5-Sterne-Hotels bereits reges Treiben. Freundliche Mitarbeiter lächeln um die Wette, während die werte Promo-Dame des Dream Theater-Labels vom beheizten Pool im Hause schwärmt.

Auch James LaBrie hat zu dieser Zeit bereits Bekanntschaft mit wohligen Wassermassen gemacht. Frisch geduscht und mit feuchtem Haupthaar begrüßt uns der Frontmann in einem eigens für unser Interview reservierten Zimmer des Hotels. Wenige Minuten später klopft auch Gitarrist John Petrucci an die Tür. Wir sind vollzählig. Guys ready? Los geht's…

Hi ihr zwei, Gene Simmons wurde einmal in einem Interview vor vielen Jahren mit folgenden Worten zitiert: "Im Grunde gibt es nur zwei Gründe für ein selbstbetiteltes Album: Entweder es handelt sich um das Debütalbum oder aber um das ultimative Masterpiece einer Band." Würdet ihr dem zustimmen?

John: Wow! Das hat er schön gesagt, oder?

James: (applaudiert) Absolut.

John: Ich denke, dass in diesen Worten viel Wahrheit steckt. Wenn ein selbstbetiteltes Debüt erscheint, dann ist die Sache eigentlich klar und verständlich. Wenn eine Band allerdings 27 Jahre wartet, um diesen Schritt zu gehen, dann steckt da schon mehr dahinter. Bei uns ist es so, dass wir uns mit einer Produktion noch nie zuvor so wohl gefühlt haben, wie mit diesem Album. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass wir unser ultimatives Masterpiece im Gepäck haben; denn das klingt mir irgendwie zu abgeschlossen. Dennoch ist es ein ganz besonderes Album geworden.

Was macht es so besonders?

John: Ich glaube, dass wir es diesmal geschafft haben, so ziemlich alle Bandphasen der Vergangenheit zu etwas Neuem zu vereinen. Ich würde sogar sagen, dass dieses Album das erste Konzeptalbum ohne Konzept ist.

Klingt verwirrend.

John: Da gebe ich dir Recht – schließlich hatten wir kein Konzept (lacht). Musikalisch gesehen hat sich im Nachhinein dennoch eine Geschichte entwickelt – eine Art Zeitreise, verstehst du? Meiner Meinung nach findet man auf dem neuen Album Elemente aller Phasen der Band. Es gibt beispielsweise Metal-Parts, die an "Awake" oder "Train Of Thought" erinnern. Dann haben wir aber auch symphonische Elemente im Stil von "Octavarium" mit einfließen lassen. Es ist also ein permanentes Hin und Her zwischen den Jahrzehnten, ohne das einem dabei schwindelig wird (lacht).

James: Als uns dann bewusst wurde, was wir geschaffen haben, war die Suche nach einem geeigneten Albumtitel überflüssig. Es kam für uns nur der Bandname in Frage. Da waren sich alle einig; denn noch nie zuvor wurde das, für was die Band Dream Theater steht, musikalisch so intensiv und kompakt auf den Punkt gebracht, wie auf diesem Album. Ich bin wirklich gespannt auf die Reaktionen unserer Fans. Also ich wache jeden Morgen mit einem Grinsen auf wenn ich Tracks wie "False Awakening Suite", "Enigma Machine" oder "Illumination Theory" höre.

"Wir haben viel geredet, gelacht und gefeiert"

Euer neuer Drummer Mike Mangini war bei diesem Album zum ersten Mal in den kompletten Entstehungsprozess mit eingebunden. Ging alles glatt?

John: Es lief sogar besser als erwartet.

James: Das Gute war, dass wir Mike auf der vorherigen Tour - die über fünfzehn Monate verschliss - richtig kennenlernen konnten. Diese Phase war unheimlich wichtig für das Bandgefüge. Es geht ja nicht nur darum, dass ein professioneller Musiker hinter dem Schlagzeug sitzt, sondern auch darum, dass man sich untereinander versteht. Die menschliche Komponente ist sogar noch viel höher einzustufen. An einem Beat kann man arbeiten. Das kriegt man mit der Zeit hin. Wenn es allerdings charakterliche Differenzen gibt, dann wird es ziemlich schwer. Aber zum Glück passte alles wunderbar. Wir haben auf Tour viel miteinander geredet, gelacht und gefeiert. Es war toll. Als wir dann ins Studio kamen, waren wir wie eine Familie.

John: Mike ist nicht nur menschlich, sondern auch musikalisch eine unglaubliche Bereicherung für die Band. Er war immer zur Stelle und hatte wirklich jede Menge toller Ideen, die wir umsetzen konnten. Es hat einfach Spaß gemacht mit ihm zu arbeiten. Wenn ich ein Riff gespielt habe, fand er sofort den passenden Drum-Part dafür. Das war schon ziemlich beeindruckend.

Ich habe gerade den Moment vor Augen, als ihr ihm via Telefon…

James: (unterbricht mich) Oh, Yeah! Hör auf, sonst muss ich auch wieder weinen (lacht).

John: ja, das war wirklich krass. Er war damals für einen Moment lang nicht mehr Teil dieses Universums, als wir ihm sagten, dass er in der Band ist. Diese Freude ist auch heute noch ungebrochen. Mittlerweile sind wir mindestens genauso froh darüber.

Jemand mit dem ihr davor über einen Zeitraum von 25 Jahren ununterbrochen unterwegs wart, hatte diese Freude irgendwann nicht mehr inne. Die Rede ist von Mike Portnoy, eurem Ex-Drummer. Ist es wirklich wahr, dass er euch seinerzeit darum bat, die Band für fünf Jahre auf Eis zu legen?

John: Ja, das stimmt.

James: Kannst du fünf Jahre lang Urlaub machen?

Nein.

James: Eben. Wie soll das funktionieren?

"Wie würde man so etwas den seinen Fans erklären?"

Mich hat sein Wunsch deswegen so gewundert, weil er nicht einmal zwei Jahre später wieder in zwei Großprojekte (Adrenaline Mob, Flying Colors) involviert war. Habt ihr euch da nicht ein bisschen verarscht gefühlt?

James: Nein, eigentlich nicht. Ich meine, er ist ein erwachsener Mann. Er kann tun und lassen, was er will.

John: Es ist doch einfach so: Wenn du fünf Leute in einer Band hast, in der vier davon darauf brennen die nächsten Schritte zu gehen, während einer um eine unverhältnismäßig lange Pause bittet, dann muss einfach eine Entscheidung getroffen werden. Wir sind eine Band. Wir sind Musiker – Künstler, die Spaß und Freude an dem haben, was sie tun. Wenn dann jemand auf die Bremse treten will, dann entsteht ein Problem.

James: Es spielt auch keine Rolle, ob Mike nicht mehr konnte, wollte oder wie auch immer. Fakt ist: Dream Theater ist keine Band, die man mal eben so fünf Jahre lang auf Eis legen kann. Das funktioniert einfach nicht. Es geht dabei ja auch nicht nur um uns. Wie würde man so etwas denn seinen Fans erklären? Äh, sorry, aber wir schaukeln uns jetzt mal eben so ein halbes Jahrzehnt lang die Eier? Wir melden uns dann wieder? Wie soll das gehen? Fünf Jahre sind eine Ewigkeit im Business. Da schreit kein Hahn mehr nach einem, wenn man dann plötzlich wieder aus der Versenkung auftaucht und sagt: Hallo, wir sind wieder da. Hat denn noch einer Bock auf ein neues Dream Theater-Album? Das kann man knicken.

Ein Kollege flüsterte mir neulich ins Ohr: "Der kommt bestimmt irgendwann wieder. Der war ja schließlich von Beginn an mit dabei." Was sagt ihr dazu?

James: (lacht)

John: Du kannst deinem Kollegen sagen, dass sein Gefühl ihn täuscht.

Keine Chance?

John: Nein. Das Kapitel Mike Portnoy ist abgeschlossen.

James: Warum sollten wir es auch wieder öffnen? Wir sind jetzt als Band gefestigter denn je. Mike Mangini macht einen brillanten Job. Er passt sowohl musikalisch, wie auch menschlich perfekt zu uns. Jeder Gedanke an eine Veränderung oder eine Rückkehr von Altlasten, wäre ein Rückschritt für die Band. Ich weiß, dass Mike seinen Schritt damals schon kurze Zeit nach seinem Ausstieg bereits bereut hat. Aber das ändert nichts an dem Riss, den er damals in unseren Herzen hinterlassen hat.

Wir haben ihn alle gemocht. Er war Teil der Familie. Jeder war gerne mit ihm zusammen und jeder hat gerne mit ihm musiziert. Seine Entscheidung war eine große Enttäuschung für uns, die unheilbare Wunden zur Folge hatte. Versteh mich nicht falsch: Keiner in der Band ist ihm heute noch böse. Wir sind keine nachtragenden Menschen. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Wir sind eine Band, die nach vorne kommen will. Wir wollen noch viel erreichen. Und mit Mike Mangini haben wir jetzt einen Mann mit an Bord, der genau dasselbe will. Ergo: Alles bleibt, wie es ist.

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7 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 11 Jahren

    "Alles bleibt, wie es ist" - perfekter kann man das Problem, das Dream Theater meiner Meinung nach in den letzten Jahren haben, nicht mehr auf den Punkt bringen.

    Eine mehrjährige Pause hätte der Band sicher gut getan und vielleicht neue Kreativität freigesetzt. Stattdessen immer wieder dieselbe Sauce. Progressiv ist bei ihnen leider schon länger nichts mehr.

  • Vor 11 Jahren

    Soll mir keiner sagen, dass die keiner mehr nach fünf Jahren gekannt hätte. Das ist keine kleine Power Prog Band aus Italien, sondern DREAM THEATER. Egal, was auch immer einer sagen will gegen die: Sie sind auf einer Stufe mit Maiden, Slayer oder meinetwegen auch Nightwish. (Metallica habe ich bewusst rausgelassen)

    Ansonsten bleibe ich bei meiner Meinung: ADTOE fand ich damals hervorragend und finde es das auch heute noch. Das selftitled ist und bleib für mich aber Murks, da können die Herren LaBrie und Petrucci sagen, was sie wollen.

    btw.: Schade, dass ihr nicht den anderen John erwischt habt.

  • Vor 11 Jahren

    Jepp, der Part mit "in fünf Jahren wären weg vom Fenster gewesen" ist lustig. Die sind immer noch die "Prog Metal"-Band überhaupt. Leider nicht mehr musikalisch. Da hört man nur noch Wiederholungen, 08/15 und keine neuen Ideen. Gibt aber genug Leute, die das neue Album für das Beste seit zehn Jahren halten. Kann ich wirklich nicht verstehen.

    • Vor 11 Jahren

      Also Fanboys verteidigen ihre Band ja immer, aber vielleicht haben es diverse Redaktuere, Kritiker etc. endlich mal für angebracht gehalten sich weniger harsch der Materie zu nähern. Für die Quote oder so und damit keiner am Ende denkt die größte Prog Band überhaupt sei lahm weil sie immer mit den gleichen Kritikpunkten konfrontiert wird.
      Ich habe bisher nur ein einziges Review gelesen, welches offen sagt, dass das Album mittelmäßig ist, nämlich das:
      http://www.cdstarts.de/kritiken/112814-Dre…
      Merkt man aber auch, dass der Kritiker Fan ist und deshalb weiß wovon er schreibt. Also nicht so ein Typ vom Schlage "DT sind so groß aber machen immer das gleiche, deshalb lobe ich die und finde die streng genommen total scheisse"

    • Vor 11 Jahren

      Ich sag' da mal nichts zu.

  • Vor 11 Jahren

    Als Portnoy raus war, war ich raus aus Dream Theater. Tut mir leid. Seele der Band verkauft. Mangini ist sicherlich ein hervorragender Musiker, aber alles was danach kam, war nicht mehr auf den Niveau von Octavarium oder Scences from a memory...

  • Vor 11 Jahren

    Sicherlich erfindet sich Dream Theater nicht mit jeder Platte neu, aber warum auch. Die Musik ist technisch nicht zu überbieten und rockt einfach seit Ewigkeiten durch. Ich freu mich jedes mal, wenn ein neues Album kommt. Wer Bock auf Weiterentwicklung ha, is mit Opeth oder Steven Wilson gut bedient. Aber zwischendurch:DREAM THEAER

  • Vor 11 Jahren

    pft fuenf jahre aus dem business, nach der karriere.. bei anderen bands warte ich schon seit fast 9 jahren gespannt, raeusper