laut.de-Kritik
Die legendäre Filmmusik zu Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod".
Review von Ulf KubankeEin zunächst nur schemenhaft zu erkennende Mann kommt langsam näher. Hitze flimmert um ihn wie die Klänge der Unheil verkündenden Mundharmonika. Franks eiskalte Augen blicken in erbarmungsloser Amüsiertheit auf den Jungen vor ihm. "Na komm, spiel mir das Lied vom Tod."
Exakt in jenem Augenblick, in dem der Killer dem gefesselten Kind die Mundharmoonika in den Mund stopft, ertönt die schneidenste E-Gitarre aller Zeiten. Jeder Cineast kennt die folgende makabre Pointe und die Kulmination des Duells zwischen Henry Fonda und dem Harmonica-Man, Charles Bronson. Wer die Filmusik von "Once Upon A Time In The West" einmal hörte, vergisst sie nicht mehr.
Beides geht 1968 um die Welt und hebt Sergio Leone und Ennio Morricone auf den Status von Ikonen. Zu Recht wurde es eine der berühmtesten Filmmusiken aller Zeiten und eine der erfolgreichsten dazu. "Once Upon A Time In The West" ist die Krone aller Western-Scores; auf ewig uneinholbar. Dass es überhaupt soweit kommt, war jedoch alles andere als ein Selbstläufer.
Als beide Alphatiere sich 1964 zur ersten gemeinsamen Arbeit "Für eine Handvoll Dollar" anschickten, wollte Leone den Western zwar durch eine sarkastische Note erneuern. Doch so ganz mochte er die eigenen Vorbilder trotz aller Bereitschaft zur Dekonstruktion nicht vom Sockel stoßen. Besonders die Filmmusik von Howard Hawks "Rio Bravo" ging ihm seit 1959 nicht mehr aus dem Kopf. Der gesamte Soundtrack mit seinem dramatischen Höhepunkt "El Deguello" stammt von Dimitri Tiomkin. Leone wünschte sich von Morricone für seine Dollar-Trilogie Tiomkin-Musik und erhielt sie.
Genau diese drei Filme waren die perfekte Vorbereitung für Morricones Opus Magnum. Ausgestattet mit deutlich mehr Budget und Ansehen erweiterten sich für den Italiener auch die kreativen Möglichkeiten. Nachdem Leone mit Dario Argento und Bernardo Bertolucci die Storyline verfasst hatte, sollte Morricone bereits mit der Komposition loslegen und diese noch vor Drehbeginn fertig stellen.
Letzteres war absolut unkonventionell für die damalige Zeit, funktionierte als Methode jedoch bereits bei "The Good, The Bad & The Ugly" prächtig. Das Motiv lag auf der Hand: Leone wollte die Akteure bereits am Set mit den Klängen beschallen, um beim Filmen die perfekte Stimmung aus der Besetzung heraus zu kitzeln. Das Vorhaben gelang noch besser als gedacht. Wer genau hinschaut, sieht sogar in einigen Szenen, wie die Schauspieler sich – womöglich unbewusst – im Takt der Musik bewegen.
Morricone selbst legte alles in diese Lieder, was sein visionäres Hirn ihm einflüsterte. Er fügt hier zusammen, was vorher streng getrennt war. Aus der Klassik kommend, nimmt er den Handlungsfaden des opernhaften Drehbuchs dergestalt auf, dass einige Leitmotive sich zu pompösen Crescendi emporschwingen. Zum Kontrast ersinnt er abgelederte, staubtrockene Percussion so karg wie die Sierra, in der sich alles abspielt. Als absoluten Höhepunkt serviert er Rock in Form der obigen E-Gitarre, die weit heftiger, finsterer und härter klingt als damals üblich.
So unterschiedlich die Hauptcharaktere, so verschieden klingen die ihnen zugeordneten Themen. Harmonica teilt sich sein "Man With A Harmonica" passenderweise mit Frank. Ein schönes Detail: Letzterer bekommt die E-Gitarre nur einmal allein, nämlich zu Beginn, wo er Oberwasser hat und die Familie McBain auslöscht. Claudia Cardinale erhält die einzige Passage mit Vocals. Als heimlicher Joker blitzt zwischendurch zu Jason Robards Cheyenne immer wieder eine liebenswürdige, fast lustige Passage auf, die genau so sympathisch ist wie dessen Rolle als Rauhbein.
Daneben taucht hier auch erstmals das für Ennio Morricone so charakteristische Beben und Flattern der Tasten auf. Er nutzt den vibrierenden Effekt zum Spannungsaufbau und kreiert dadurch eine ganz besondere Stimmung, die man sofort als Morricone-Atmosphäre erkennt. Etliche spätere Erfolge wie die Soundtracks zu "Der Profi" oder besonders "Allein Gegen Die Mafia" setzen auf dieses Stilmittel.
Einziger Wermutstropfen in diesem Geniestreich ist die rätsel- bis amateurhafte Veröffentlichungspolitik des damaligen Labels RCA. Es dauert tatsächlich volle vier Jahre, bis der Soundtrack endlich 1972 als Platte erscheint. Schlimmer noch: Die weltbekannte, 13 Titel umfassende Version ist nur ein Fragment und kaum mehr als ein Best Of des Morricone-Scores. Die komplette Filmmusik umfasst hingegen 27 Titel, ist locker doppelt so lang und erscheint erst geschlagene 32 Jahre später als Remaster in der sogenannten "Expanded Edition".
Da musste man wahrlich buddhistische Geduld mitbringen. Doch wie heißt es zwischen Frank und Harmooca zum Ende: "Hast Du auf mich gewartet?" "Ja, viel zu lange!"
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
12 Kommentare mit 2 Antworten
Ich hätte ja den genialen Soundtrack zu "The Good, the Bad and the Ugly" als Meilenstein gewählt, aber schon dass Ennio Morricone auch einen (äußerst verdienten) Meilenstein bekommt.
Ja, meine Wahl wäre auch in Sachen Morricone auf einen anderen Soundtrack gefallen, nämlich "Il mio nome è Nessuno"/"Mein Name ist Nobody", ganz einfach deshalb, weil Morricone da ein wunderschönes Gespür für Humor und Selbstironie beweist, indem er sich und seinen eigenen Sound mit einem Augenzwinkern versieht, so ganz nebenbei noch den "Walkürenritt" von Wagner durch den Kakao zieht und durch eine schmissige Melodie als Titelthema genau die ursprüngliche Idee des Films aufgreift, den Staffelstab vom "alten" an den "neuen" Western zu übergeben.
Aber - klar, ohne "Once Upon A Time" hätte es "Nobody" nicht gegeben, insofern geht - nicht nur deshalb - der Meilenstein in Ordnung.
Gruß
Skywise
ja, mit Nobody gehst Du in die richtige Richtung. Die beiden Vorgänger, ua. das hier waren aber noch stärker https://www.youtube.com/watch?v=sFFLQ89bJRM
Einer der besten Morricone Scores, abseits von Western, ist Bertoluccis Novecento. Grandioser Score. Aber es gibt noch zahlreiche Perlen in seinem Schaffen. The Mission ein anderer Meilenstein. Ich hab nur 140 Scores vom Maestro, nur ein Bruchteil von den über 400 Soundtracks.
Kaum zu glauben, ist von Morricone. Canzone della libertà
https://youtu.be/0KmeiI5axck
Hits, Hits, Hits, ... von damals.
https://youtu.be/zH3CDijIp3Y
https://youtu.be/nCkB3rl0Re
Chi Mai wurde nicht für den Belmondo Film komponiert. Der Film hieß Maddalena und das ist die italienische Version.
https://youtu.be/mpT_l8gmhQc
Und Gerard Depardieu’s angenehme Singstimme.
https://youtu.be/akwwL7nWHGw
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Einmal live gesehen. Das war in einer ganz normalen Stadion , also nichts für Orchester otpimiertes. Das Orchester wurde auch abgenommen. Auf keinen Konzert irgendeiner Musikrichtung habe ich jemals so einen gut abgemischten Sound erlebt. Hat in der Magengrube mehr gedrückt als jedes Metal Konzert. Davor und danach so nie wieder erlebt