11. November 2020

"Abends frisst dich die Katze"

Interview geführt von

Extrabreit waren in den 80er Jahren eine ganz große Nummer in Deutschland. Mit Hits wie "Polizisten", "Hurra, hurra, die Schule brennt" oder "Kleptomanie" stachelten sie die Jugend an und verärgerten die Eltern. Es folgte der tiefe Fall. Doch seit einigen Jahren spielt die Rockband aus Hagen wieder in ausverkauften Häusern. Am 13. November kommt das 13. Studioalbum auf den Markt.

Im Interview erklären die Bandköpfe Kai Havaii und Stefan Kleinkrieg, warum das neue Werk "Auf Ex!" melancholische Blicke in die Vergangenheit wirft. Sie sprechen über Corona, menschenähnliche Androiden und "geile" Blicke aus dem Publikum. Sie huldigen Hans Albers und Harald Juhnke und berichten von der Liebe der Heavy Metalfans zu Extrabreit.

Herr Kleinkrieg, Herr Havaii, in dem Lied "Immer wieder Extrabreit" heißt es: "Wir sind immer noch dabei". Warum gibt es Extrabreit nach 42 Jahren ihrer Karriere immer noch?

Kleinkrieg: Ganz einfach: Weil wir noch leben (lacht). Wir haben unsere Mission noch nicht erfüllt. Es macht immer noch Spaß. Es ist zu spät, um aufzuhören. Jetzt haben wir ein neues Album gemacht und den Hut in den Ring geworfen. Mal sehen, was noch so passiert. Vielleicht werden wir noch einmal eine Riesennummer (lacht).

Wie haben Sie es geschafft, mit einer kurzen Unterbrechung, so lange am Ball zu bleiben?

Kleinkrieg: Durch eine unglaubliche Perspektivlosigkeit (beide lachen).

Havaii: Als wir 2002 wieder angefangen haben zu spielen, hat kein Hahn nach uns gekräht, da sind wir ganz schön durch den Schlamm gewatet. Da waren die Clubs ziemlich leer. Dass wir das damals durchgehalten haben, wundert mich heute noch. Wahrscheinlich ist das aus einer bestimmten Trotzhaltung heraus geschehen. Wir haben uns gesagt: "Wir geben nicht auf und ziehen das durch." Um so schöner war es zu sehen, wie es nach schweren Zeiten auch wieder stetig nach oben gegangen ist. Wir haben in den zurückliegenden Jahren wieder ein Level erreicht, auf dem es nicht nur Spaß macht, sondern sich auch finanziell lohnt.

Um so ärgerlicher ist es sicherlich, dass die angedachte Weihnachts-Blitztournee wegen Corona nicht stattfinden kann.

Kleinkrieg: Dieses Jahr können wir tatsächlich total knicken. Bis auf das Album und ein paar Unplugged-Auftritten "Havaii & Kleinkrieg – Lesung & Unplugged", (Anm. d. Red.) haben wir nichts gemacht.

Havaii: Stefan und ich sind zusammen hin und wieder als Unplugged-Duo aufgetreten, um uns ein bisschen warm zu halten. Da kommen dann vielleicht 60 – 150 Leute je nach Location. Da können wir die Corona-Auflagen erfüllen, der Aufwand ist relativ gering, und es macht Spaß und deckt zumindest die Kosten.

Das muss Sie doch aber total nerven, so ausgebremst zu werden?

Kleinkrieg: Immer mit dem Finger in die Wunde (lacht). Es stimmt schon: Es ist mehr als ärgerlich, und wir könnten heulen. Eine junge Band von 22-Jährigen zieht vielleicht die Rotze hoch und sagt: Okay, das eine Jahr, da scheißen wir drauf. Doch wir sind 65 Jahre alt. Da ein Jahr zu verpassen, das schmerzt.

Seit der Veröffentlichung des Vorgänger-Albums "Neues vom Hiob" sind zwölf Jahre vergangen. Warum hat das so lange gedauert?

Kleinkrieg: Wir wollten eigentlich gar kein Album mehr machen. Hin und wieder haben wir ein paar Demos aufgenommen. Doch so richtig überzeugt waren wir nicht davon. Dann hat der Besitzer des Studios, in dem wir die Demos aufgenommen haben, einen neuen Partner bekommen. Der hat sich die Sachen angehört, abgemischt und gerade gezogen und gemeint: "Das ist gar nicht mal so schlecht."

Havaii: Anfang des Jahres waren wir dann so weit, ein komplettes Album aufzunehmen. Die Zeit war auch günstig, da nichts anderes anlag. Davor waren wir mit anderen Dingen beschäftigt. Stefan hat Soloalben aufgenommen und ein Buch herausgebracht. Ich habe einen Thriller ("Rubicon", Anm. d. Red.) von fast 600 Seiten geschrieben. Jetzt wollten wir natürlich auf Tour gehen. Corona hat uns aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es ist halt so, wie es ist. Da müssen wir nicht jammern.

"Heute sind wir nur noch knackig"

Apropos Touren: Versuchen Sie eigentlich das Live-Gefühl zu konservieren, das Sie hatten, als Sie noch jung und knackig waren?

Havaii: Heute sind wir nur noch knackig (beide lachen).

Kleinkrieg: Das Gefühl stellt sich von alleine ein. Wenn man einen guten Abend hat, und die Leute gehen ab, ist das so, wie es immer war. Im Live-spielen liegt die ewige Jugend.

Havaii: Es ist, als ob man in einer Glocke ist. Egal, ob wir jetzt "Polizisten", "Kleptomanie", oder "Hurra, hurra die Schule brennt" spielen – wenn wir in die leuchtenden Augen schauen, pusht einen das nach vorne.

Kleinkrieg: Nach den Konzerten kommen Leute oft zu mir und sagen: "Mensch, das war meine Zeit." Da sage ich: "Meine auch." Wir verkaufen den Leuten quasi die Zeit, an die sie sich gerne erinnern.

Havaii: Da geht es den Fans so wie uns. Das ist natürlich so ein Schwelgen in der Jugend, in der Aufregung und all den spannenden Situationen und Sensationen, die man damals so erlebte.

Auf dem neuen Extrabreit-Album finden sich einige Querweise an die alten Zeiten. Bei dem Song "Mary Jane" habe ich zum Beispiel gedacht, das könnte die kleine Schwester der Annemarie sein, die auf dem Debüt-Album besungen wird.

Kleinkrieg: Naja, Mary Jane ist ein Slangausdruck für Marihuana.

Havaii: In dem Lied gibt es auch die bösen Schwestern. Die stehen für Koks und Heroin, die einem auch mal über den Weg laufen können (Kai Havaii war Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre heroinsüchtig, Anm. d. Red.). Klar gibt es Reminiszenzen an früher. Ein Stück wie "Robotermädchen" hätten wir von der Struktur und den Akkorden her auch in den 80er Jahren spielen können. Auf "Gib mir mehr davon" lassen wir eine Riege alter Helden aus früheren Extrabreitsongs auftreten. Wir sind in unseren 60ern. Da sind wir dem Ende näher als dem Anfang. Da kann man schon mal einen leicht melancholischen Blick nach hinten werfen. Es ist aber keine depressive, sondern eine trotzige Melancholie.

Kleinkrieg: Es ist eine Melancholie, die einen bitter-süßen Beigeschmack hat.

Kann "Robotermädchen" auch als Kritik an die zunehmende Technologisierung und die künstliche Intelligenz gesehen werden? Quasi nach dem Motto: Der Mensch schafft sich selber ab.

Havaii: Es ist eher sarkastisch gedacht. Ich sehe das ganz pragmatisch: Es wird in der nahen Zukunft menschenähnliche Androiden geben, die als Haushaltshelfer und Pflegemaschinen fungieren. Für viele einsame und alte Menschen muss das keine schlechte Sache sein.

In dem Stück "Donnerstag" werden zerbrochene Träume, gestorbene Freunde besungen, und immer regnet es. Warum so trist?

Kleinkrieg: Weil Donnerstag der tristeste Tag in der Woche ist. Der Text hat autobiografische Züge. Als ich noch in die Lehre als Dekorateur gegangen bin, war der Donnerstag für mich der grausigste Tag.

Havaii: Ich verstehe das Stück als Metapher für Dinge, die sich ständig wiederholen. Ständig grüßt das Murmeltier und immer regnet es.

In "Sonderbar" geht es um das Thema Aufstieg und Fall. Das haben Extrabreit aber auch Sie ganz persönlich erleben müssen, Herr Havaii.

Havaii: Das stimmt, das Lied ist sehr persönlich. Ich habe extreme Stimmungsschwankungen. In meiner Persönlichkeit steckt dieses leicht bipolare. Ich erlebe euphorische Phasen, die sich mit depressiven abwechseln. Morgens ist noch alles super, und abends frisst dich die Katze, und du weißt gar nicht warum. Das kommt wie aus dem Nichts. That's the story of my life.

Der Song "Geiles Teil" setzt Ihre Tradition fort, selbst im fortgeschrittenen Alter noch über attraktive Frauen zu singen.

Havaii: Das Lied ist ein bisschen selbstironisch. Ich bin zwar ein alter grauer Wolf aber noch nicht blind. Ab und zu sieht man attraktive Frauen im Publikum. Und dann kommen gewisse Gedanken dazu, das ist ja nicht verboten. Das Résumé der Nummer lautet aber: Die Gedanken bleiben im Kopf, und ich gehe schön alleine ins Hotel.

Werden Ihnen denn noch manchmal Avancen gemacht?

Havaii: Eher nicht. Früher haben wir nichts anbrennen lassen. Das hatte aber alles seine Zeit. Heute sind wir lange und glücklich verheiratet.

"Wir warten auf eine biologische Lösung"

Extrabreit haben früher Stücke mit Marianne Rosenberg, Hildegard Knef und Harald Juhnke aufgenommen. Gibt es heute Künstler, mit denen Sie etwas aufnehmen würden?

Kleinkrieg: Aus der Liga würde mir keiner einfallen. Wir haben die Creme abgeschöpft. Wir haben zwei ganz Große gehabt. Wir sollten nicht versuchen, das krampfhaft zu wiederholen.

Havaii: Knef und Juhnke waren Glücksfälle. Da hat die Chemie einfach gepasst. Da gab es Schnittmengen, von der Art, der Lebensphilosophie und der Biographie her. Das waren keine glatten Menschen, die hatten viele Aufs und Abs.

Ist es nicht generell so, dass es kaum noch Künstler mit Ecken und Kanten gibt, oder diese zumindest nicht mehr gezeigt werden?

Havaii: In Zeiten der sozialen Medien, wo alles sehr schnell verbreitet wird, muss man seine Worte genau abwägen, weil man sonst in eine bestimmte Ecke gestellt wird. Ein gutes Beispiel ist es, wenn man differenziert über Corona reden möchte. Wenn man hinterfragt, ob alle Maßnahmen der Sache gerecht werden, ist man ganz schnell ein Corona-Leugner. Und von da ist es nicht mehr weit zum Verschwörungstheoretiker und zum Rechtsradikalen.

Ein Künstler, der auch gerne mal angeeckt ist, war sicherlich Hans Albers. Nach "Flieger, grüß' mir die Sonne" in den 80er Jahren haben Sie nun das Albers-Stück "Und über uns der Himmel" gecovert. Was fasziniert Sie an Hans Albers?

Kleinkrieg: Wir fanden den als Typen schon immer gut. Er war in den Nazizeiten ein unangepasster Typ und als Künstler dennoch unantastbar.

Havaii: Er hat vor den Nazis nicht gekuscht. Er war witzig aber auch imposant. Hat den Sinn fürs Abenteuer gehabt und einen guten Tropfen geschätzt. Der war für uns Rock’n’Roll.

Die Kids von heute können mit Hans Albers sicherlich nicht mehr viel anfangen. Kommen zu Extrabreit-Konzerten eigentlich auch jüngere Leute, oder setzt sich das Publikum zum Großteil aus älteren Semestern zusammen, die sich an ihre Jugend erinnern wollen?

Havaii: Zu 85 Prozent kommt ein älteres Publikum zu den Konzerten. Es ist aber von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Dann kommen auch mal mehr Jugendliche, die uns irgendwann mal entdeckt haben und uns alten Männern bei der harten Arbeit zusehen wollen. Die spielen dann Luftgitarre und haben Spaß. Manche Songs sind einfach Evergreens. Ein Song wie "Hurra, hurra die Schule brennt" läuft immer noch auf jeder Abi-Party.

Wie würden Sie einem 16-Jährigen die Band Extrabreit beschreiben?

Kleinkrieg: Es gab mal eine Zeit, das sind vier, fünf Leute in den Keller gegangen und haben stundenlang musiziert. Wir sind da unter ganz anderen Vorzeichen zusammengekommen als ihr heute ...

Havaii: Wir sind in die Kneipe gegangen, haben Bier getrunken und geraucht ...

Kleinkrieg: ... und haben uns unsere schreckliche Musik schön getrunken und auf Kassette aufgenommen. Das kennen die Kids heute gar nicht mehr. Meine Neffen haben mich neulich gefragt: "Stefan, kannst du uns mal was von der Musik aufnehmen, die du gut findest." Da habe ich gesagt: "Na klar, ich brenne euch eine CD." Da meinten die: "Nix CD, lad uns das auf einen Stick." Das hat mich völlig überfordert.

Herr Kleinkrieg, Sie waren für mich immer der Rocker in der Band, der auf den Fotos wie die Heavy Metal-Musiker schön grimmig schaut. Hätten Sie Extrabreit musikalisch gerne härter ausgerichtet?

Kleinkrieg: Metal hat mich eigentlich nicht so interessiert. Ich habe mich immer als Rock'n'Roller gesehen. Ich fand unsere Musik, so vielschichtig wie sie war, in Ordnung.

Havaii: Ich finde schon, dass wir teilweise hardrockig sind und auch Berührungspunkte zum Heavy Metal haben.

Kleinkrieg: "Kleptomanie" fanden viele Leute aus der Metalabteilung unheimlich gut.

Havaii: Wie das funktioniert, haben wir 2018 und 2019 in Wacken gesehen. Da haben wir zweimal vor 25.000 Leuten auf der Biergarten-Stage gespielt, die sind abgegangen wie die Zäpfchen. Der Wacken-Mitbegründer Holger Hübner ist natürlich mit Metal sozialisiert worden. Doch Extrabreit fand er in seiner Jugend auch immer gut.

Kleinkrieg: Auf unserer Levis-Tour 1982 standen vorne im Publikum viele Jungs, die auf ihrer Kutte AC/DC- und Iron Maiden-Aufnäher hatten. Der Tom Angelripper von Sodom hat übrigens mit seinem Soloprojekt "Onkel Tom" unsere "Polizisten" gecovert.

Bei dem am Anfang erwähnten Song "Immer wieder Extrabreit" heißt es auch: "Und kein Ende weit und breit." Ist das als Drohung zu verstehen?

Kleinkrieg: Wir haben uns alle tief in die Augen geschaut und sind zu dem Entschluss gekommen: Die Band jetzt aufzulösen, wäre quatsch. Wir warten auf eine biologische Lösung. Oder wenn einer von uns krank werden würde, wäre das ein Grund aufzuhören. Wir wollen dieses Geschenk, das uns zuteil geworden ist, so lange pflegen, wie es möglich ist. Der alte Lemmy hat gesagt: "Ich hatte als Kind einen Traum. Und der ist wahr geworden. Warum sollte ich den aufgeben?" Bei uns ist es ähnlich: Wer hat schon eine Band, die es seit über 40 Jahre gibt, und es kommen immer noch Leute? Als wir zum Jahresabschluss-Konzert aus der ausverkauften Hamburger Markthalle raus sind, habe ich gesagt: "Danke lieber Gott!"

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