laut.de-Kritik

Kurzweiliges Potpourri verschiedener Einflüsse und Sounds.

Review von

Acht Jahre nach dem düsteren und subtilen selbstbetitelten Debüt behandelte Karin Dreijer alias Fever Ray auf "Plunge" 2017 LGBTQ+-freundliche Themen und offensive gesellschaftskritische und sexualethische Statements. Nur klang das auf musikalischer Ebene reichlich zerfahren und wenig schlüssig. Nun soll laut Pressetext "Radical Romantics" sowohl "das Herz" und "den Kopf" als auch "die Tanzfläche und das Schlafzimmer" ansprechen. Dabei hört man Bruder Olof in vier Songs, mit dem der:die genderfluide Karin Dreijer nach acht Jahren wieder zusammenarbeitete. Zudem haben sich alte Bekannte wie Peder Mannerfelt oder Nídia an den Aufnahmen beteiligt, aber auch das grammyprämierte Erfolgsduo Trent Reznor/Atticus Ross.

"What They Call Us", das Olof auch mitgeschrieben und mitproduziert hat, bildet trotz wummerndem Bass einen eher verhaltenen Einstieg, der vom beschwörenden Gesang Dreijers lebt. Textlich geht es dabei um die Verteidigung alternativer Lebensmodelle. "Shiver" bietet mit mysteriösen Synthies und Percussionklängen sowie androgynen Vocals genau das, was man am Debüt geliebt hat. Nur steht mehr eine vergnügte und euphorische Stimmung im Vordergrund als vor rund eineinhalb Dekaden. Vergnügte Töne schlägt Fever Ray auch in "New Utensils" an, das mehr ins Experimentelle driftet, wenn sich die ungezügelt umherschwirrenden Sounds in alle Himmelsrichtungen ausbreiten.

Um Queerness und Sexualität dreht sich "Kandy", das musikalisch mit trappigen Rhythmen, unterkühltem Gesang und exotischen Elektronikklängen wieder etwas mysteriöser ausfällt. "Even It Out" überrascht mit eisigen New Wave-Synthies, aufmüpfigen Vocals sowie verzerrter Gitarre und klingt so, als hätte man die Musik von Blondie durch den Industrial-Filter gedreht. Inhaltlich bekommt ein Mobber sein Fett weg.

In "Looking For A Ghost" schlägt Fever Ray wieder verspieltere Töne an. Im Grunde passiert in diesem Track alle paar Sekunden mehr als auf ganzen Alben anderer Acts. "Carbon Dioxide" lädt dann als ausgelassener Electro-Pop-Song auf die Tanzfläche und dreht gegen Ende hin mit laut tönender Elektronik richtig auf.

Das sexuell aufgeladene "North" erinnert danach mit nächtlich melancholischen Synthies und der hauchenden Stimme Dreijers an die dunklen Nummern auf Depeche Modes "Violator". Dunkel und geheimnisvoll gestaltet sich auch "Tapping Fingers". Die recht zupackenden Sounds setzen der Melancholie jedoch eine gewisse Körperlichkeit entgegen.

In "Bottom Of The Ocean" denkt man bei den auf- und abebbenden, versponnenen Vocals dann kurz, dass sich der Song zum "Bohemian Rhapsody" des Electro-Pops aufschwingen könnte. Am Ende stellt der Track aber lediglich eine rund siebenminütige dronige Klangcollage dar, was aber nicht weiter schlimm ist. So kann man das zuvor Gehörte noch einmal im Kopf Revue passieren lassen.

Letzten Endes bleiben zwischen Gefühl, Verschrobenheit, Unbekümmertheit und Sinnlichkeit keine weiteren Wünsche offen. "Radical Romantics" stellt wie auch "Plunge" ein buntes Potpourri verschiedenster Einflüsse und Sounds dar. Jedoch findet Fever Ray klanglich und songwriterisch wieder zu den Stärken des Debüts zurück, so dass die Musik endlich wieder Hand und Fuß besitzt, was man dem Projekt nach dem enttäuschenden Vorgänger nicht unbedingt zugetraut hätte. Chapeau!

Trackliste

  1. 1. What They Call Us
  2. 2. Shiver
  3. 3. New Utensils
  4. 4. Kandy
  5. 5. Even It Out
  6. 6. Looking For A Ghost
  7. 7. Carbon Dioxide
  8. 8. North
  9. 9. Tapping Fingers
  10. 10. Bottom Of The Ocean

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3 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Ich liebe sowohl das Debüt als auch "Plunge", aber die Rezension steigert meinen Optimismus noch einmal erheblich. "Kandy" klingt halt wie "Pass This On" als Fever-Ray-Variante, was mir schon sehr gefallen hat. Ich bleibe gespannt...

    • Vor einem Jahr

      Wie erwartet ein drittes fantastisches Album von Fever Ray, tatsächlich; neben "Carbon Dioxide" und "Kandy" sind sowohl "Shiver" als auch "North" ganz, ganz groß für meine Ohren, auch sonst: ein Album "für Tanzfläche und Schlafzimmer" habe ich hier erwartet, erhofft, und es auch bekommen. Ich bin ein bisschen verliebt...

  • Vor einem Jahr

    Plunge war großartig ✌️. Jetzt ist es aber tatsächlich mehr alte The Knife ???? meets neue Fever Ray. Top Platte!

    • Vor einem Jahr

      Ich finde die deep Cuts und die silent shout von knife sehr geil. Mit fever Ray bin ich nie so recht warm geworden. Versuche es hier aber wieder hoffnungsvoll

  • Vor einem Jahr

    Unglaublich toll, wie hier wieder eine eigene soundwelt erschaffen wird, in der alles passt. Musik, Stimme, Stimmung. Jetzt schon Anwärter für das Album 2023!