laut.de-Kritik
Das HiFi-Juwel des Jahres.
Review von Philipp KauseEigentlich müssen sich Musiker heute keine Sorgen machen. Musik versüßt als akustischer Dauerschnuller unser Leben. Sie trägt ihren Teil zum "Paradise State Of Mind" bei, der Regulation von Stimmungen: Mood Management. Wahrscheinlich wurde noch nie so viel und so viel verschiedene Musik allerorten gehört wie heute. In Home-Offices oder unterwegs über kabellose in-ear-Pods oder HiFi-Kopfhörer, für die man nicht mehr schräg angeglotzt wird. Nur selten macht es aber in allen Gehirnregionen, die irgendwie Glückshormone ausschütten können, 'klick'.
Foster The People haben die Rezeptur, mit der all ihr Sound einfach juwelenhaft klingt, sauber, satt, scharf, räumlich, edel, bassschwer, glitzernd in den Höhen, kurzum attraktiv. Und Herr Mark Foster, nicht der, sondern ohne R nach dem O, entwirft in dieser perfekten Tonqualität Songs, zu denen sich wirkungsvoll Stress abschütteln lässt.
Die gesamte Scheibe läuft bruchlos durch. Verschiedene Stimmen flößen einzelne Strophen und Ideen in die Ohren. Der Fokus bei den Vocals liegt, noch etwas mehr als beim Yacht-Pop Tame Impalas, auf der Einbindung der Stimmen in die Beat-Gebirge. Entsprechend arbeitet man mit Verfremdung. Ein schönes Beispiel hält das Ende von "Glitchzig", ein auch sehr gutes das lange Acapella-Intro von "A Diamond To Be Born" bereit.
Für die Beats und Bässe zeichnet Programmierer und Percussionist Isom Imnis verantwortlich, Foster The People sind heute nur mehr ein Duo zweier Multi-Instrumentalisten. Die beiden kombinieren knallenden Electro-, chilligen Dreampop und eine Art schnell gespielten Downbeat mit je einem Schuss Power-Glitter und Bubblegum. Diese Klangfarben dominieren die hintere Hälfte, die B-Seite des Albums. Vorne passiert noch etwas anderes, dazu gleich mehr. "Paradise State Of Mind" ist jedenfalls in Summe ein sehr schönes Album, ohne Abstriche.
Natürlich kann man sich jetzt fragen, ob da ein bisschen Weiterentwicklung schick wäre, ein neuer Kurs. Gegenüber dem Durchbruchs-Hit "Pumped-Up Kicks" bleibt das Foster-Projekt dort, wo es sich eben seine Nische geschaffen hat: zwischen einerseits Metronomy, ohne auf die Indie-Polizei Acht geben zu müssen, die solche Bands sonst überwacht. Und dezidiertem Zuckerwatte-Sound andererseits, für die Masse derer, die Keyboard-Pop clean, geradlinig, trotzdem verträumt und weitgehend ästhetisch ohne Formbrüche wollen.
Womöglich beißen viele Fans von Marina Diamandis hier an, allerdings verweigern Foster The People Balladen und allzu radiotauglichen Dance-Rotations-Kram. Dazu sind die Tracks in sich zu lang aufgebaut, haben Spannungskurven, die im Mainstream heute schon als zu komplex gelten. Dafür wendet man sich an den Teil der M83-Gefolgschaft, der Liedstrukturen und coole Vocals mag, und an die Publikums-Schnittmenge aus allen, denen Weval, Empire Of The Sun, MGMT, Tame Impala und eben Dreampop-Playlists gefallen.
"See You In The Afterlife" ist der schwächste Track, nachdem sich schon so viele Acts in Chic- und Hot Chocolate-Imitation geübt haben. Zwar leuchtet es direkt ein, eine lebhafte Nummer als Appetizer zu platzieren, die ordentlich auf den Floor peitscht. Ein wirkliches Club-Feeling kommt dann aber erst nach einiger Zeit auf, bei "Lost In Space". Das bounzt dann so arg retro in den Tastentönen nach 70er Jahren, wie wir's in dieser Deutlichkeit selbst von Jamiroquai selten vernommen haben.
Im positiven Sinne. Genau diesen "Verloren im All"-Effekt, ein echtes "Lost In Space", möchten die Foster The People anscheinend evozieren. Denn das folgende "Take Me Back" beruft sich drauf, dass früher alles besser gewesen sei: "Bring me closer to the good times."
Bei "Let Go" hat das Werk sich dann so weit in Kunst-Geigen und NYC-Disco 54-Euphorie und Nostalgie ausgetobt, dass nur mehr singuläre Elemente mit Psychedelic-Electropop und cinematoskopischem Wohlklang verschmelzen. Die A-Seite des Albums bedient deutlich mehr das Publikum von Mark Ronson, Jessie Ware und - siehe "Feed Me" - Yello, verwoben mit der Verspieltheit von The Avalanches.
Mit dem Titelstück gelingt dem Electro-Projekt dann in der Überleitung von Retro-70er in Richtung Retro-80er ein großer Wurf, mit einer sehr charismatischen Akkordfolge. Trotz eindrucksvoller, sympathischer und herausragend toller Tracks wie "Paradise State Of Mind", "Lost In Space", "Take Me Back", "Feed Me", "Glitchzig" und "A Diamond To Be Born" nutzt sich das Album rasch ab. Es fehlt ein wirklicher Über-Hit. Und Foster und Imnis kombinieren vieles oft da-Gewesene intelligent neu, ohne aber wirklich etwas Neues zu erschaffen.
Dennoch ist die Scheibe eine der wenigen aus den 2020ern, die ich persönlich Ende des Jahrzehnts bestimmt noch hören werde. Dass sich die Begeisterung rasch abschleifen kann, ändert nämlich rein gar nichts an den durchdringend positiven Vibes des ganzen Albums, an der exzellent 'stereophilen' Machart, den übersprudelnd harmonischen Melodien, psychedelischen Widerhaken und an der vorbildlichen Dramaturgie des Werks.
9 Kommentare mit 2 Antworten
Ich bin begeistert!
Ich hatte das Glück, die Kritik zu lesen und mich dann mit dem Auto durch schönste Landschaften bei bestem Wetter bewegen zu dürfen!
Fenster runter, FOSTER THE PEOPLE auf den Ohren und man hatte einfach Zeit und Lust die Fahrt gemütlich und stressfrei zu genießen!
Feine Sache das!
So kann abwechslungsreicher Musikgenuss aussehen!
PS: Auf der heimischen Anlage kommt die Platte in der Tat klanglich bemerkenswert rüber!
Nun hast du mich neugierig gemacht. Werde ich nachher mal laufen lassen.
Jupp, ist so ein bisschen easy listening, gefällt. Hilft mir gerade auf der Arbeit locker zu bleiben.
INXS für Arme.
was weiß ich denn, was ich Ende des Jahrzehnts noch hören werde
Hatte aufgrund des Covers auf Psychedelic-Prog gehofft, 5 Sekunden und ich war eines schlechteren belehrt...
Die Musik 2024 muss ja arg furchtbar sein, wenn das "Das HiFi-Juwel des Jahres" ist.
Bin der Band zugeneigt, "Call It What You Want" war brillanter State-of-the-Art-Pop und das Album dazu auch gut.
Das hier sind Varianten von Langeweile, vorgetragen mit nervtötender Frettchen-Stimme und überwiegend getragen von schunkelndem Furz-Beat.