laut.de-Kritik
Lasst euch das Trommelfell umspülen!
Review von Jeremias Heppeler"Shadows": Der Songtitel passt irgendwie total zu den Future Islands. Die Kompositionen der Band um Frontmann Samuel T. Herring besitzen nie ein klares, fleischiges Antlitz, sondern erscheinen uns irgendwie durchsichtig und neblig. Als dunkler, tanzender Schatten eben, der uns umschlingt und fasziniert.
Passend dazu trägt der vielleicht gewichtigste Song des neu erschienen "The Far Field" ebendiesen Namen. Zunächst zittert sich Herring auf Solopfaden durch das Sounddickicht und schiebt mit bloßer Stimmung all die dort vibrierenden New Wave-Lianen beiseite, als plötzlich, einem Raubtier gleich, Debbie Harry aus der Dunkelheit auftaucht und über unseren lieb gewonnen Barden herfällt.
Aus dem Raubüberfall entwickelt sich in Windeseile ein faszinierendes Liebesspiel, wie wir in solcher Intensität und Zuneigung schon lange keins mehr bezeugt haben. Die beiden Schatten verschmelzen zu einer rauschenden Masse, die immer stärker wirbelt und wirbelt und wirbelt, bis sie uns, die Hörer, total ausgelaugt und schwitzend auf die nächste Waldlichtung rotzt.
Der Erstkontakt zu den Future Islands läuft meistens nach folgendem Schema ab: Irgendein Internetdude (musikaffin) schickt dir (ebenfalls musikaffin) ein YouTube-Video einer Liveperformance. "Digger, schau dir mal den Frontmann an. Das nenn' ich Livepräsenz." Also draufgeklickt, im Prokrastinations-Modus. Dann folgender Gedankengang: 1. Was für ein merkwürdiger Typ. 2. Ob man mit diesen Tanzmoves Indiegirls beeindrucken kann? 3. Wow!
Tatsächlich sorgt Samuel Herrings sich selbst zerfleischende und in denkwürdigen Verrenkungen komprimierte Leidenschaft dafür, dass die Musik seiner Band nicht selten nur wie ein Beiprodukt wirkt. Das erscheint logisch, aber nicht ganz fair. Beziehungsweise ziemlich dämlich. Immerhin hat das Trio aus Baltimore mit seinen sphärisch verwehten Klang-Assoziationen dem oftmals gleichfarbigen Indiekosmos einen bunt verwehten Astroidengürtel umgeschnallt: einer der wichtigsten Genreauswüchse der letzten fünf Jahre, wenn nicht gleich deren wichtigster.
Trotzdem war die Band immer ein Songprojekt. Auf kompletter Albenebene haben sich Herring und Co. aufgrund der Eintönigkeit immer nur bedingt erschlossen. Spoiler: Das ändert sich auch mit "The Far Field" nicht. Genau genommen ändert sich insgesamt nicht besonders viel, nämlich ... gar nichts!
Beim ersten Hinhören umschwappen die selben aufgeschäumten Klangwellen den Hörer, der in dieser Metapher natürlich barfuß am Strand marschiert und sich die ausgetretenen Quanten (aka sein Trommelfell) nur zu gerne umspülen lässt. Der Rhythmus, die Lautstärke, das Tempo, die Qualität und die Quantität der landenden Wasserkörper aber bleibt die selbe wie auf den Vorgängern. Soll heißen: Alles wunderbar! Aber: Mitreißen und wegschwemmen wird es dich nicht, weil du die Wellen ja bereits kennst und dich längst darauf eingestellt hast.
"Ran" etwa könnte in seinem Aufbau sogar für die Blaupause eines Future Islands-Songs herhalten: Zuerst tönt da die 80er-Jahre-Romanzen-Orgel, die vor verklebten Kitsch nur so trieft. Darüber schichtet die Truppe Ebene auf Ebene wie beim Sandburgen-Bau, in erster Linie jene pumpenden, aber doch zerbrechlichen Basslines, ehe Herring sich auf ebendiesen austobt, fast zärtlich, aber eben auch mit dem altbekannten Druck, den wir alle zu respektieren gelernt haben, später mit den dezent irrsinnigen Ausbrüchen. Fantastischer Song, eh klar! Aber, you know the drill, nichts Neues. Nirgends.
Hier befinden wir uns einem grundlegenden Dilemma: Unsere liebsten Bands können es uns ja doch nie recht machen. Wenn sie sich von Album zu Album neu erfinden, gehen wir auf die Barrikaden, weil wir doch nur diese eine Art von Stimmung und Sound absorbieren wollen, die uns damals ganz verrückt vor Liebe machte. Kocht eine Truppe aber stetig nach dem altbekannten Rezept, das uns damals Kopf und Gaumen in alle Himmelsrichtungen verdrehte, beschweren wir uns abermals im Stile des vorliegenden Textes.
Deshalb, um allen Missverständnissen vorzubeugen: Bei "The Far Field" handelt es sich um ein wunderbares Werk, das in seiner sprießenden Euphorie wunderbar in den Frühling passt. Vielschichtig und kurzweilig, weil einerseits so klein und selbstverschraubt, andererseits wieder so groß und größenwahnsinnig und pathetisch.
Dafür exemplarisch steht "Ancient Water", dessen Beat seltsam fröhlich und naiv vor sich hin zuckelt. Oder der Opener "Aladdin", der so emotional explodiert, das man selbst aus Prinzip ein paar Teller an die Wand klatschen möchte, ehe die finalen Streichersekunden wieder liebevoll beruhigen. Oder das abschließende "Black Rose", aus dem Herrings Stimme immer weiter verschwindet, in sich zerfällt, bis nichts mehr bleibt als Soundbytes und ein wenig verschwommene Luft, wo der Sänger gerade noch marschierte.
Wenn "The Far Field" dein erstes Future Islands-Album ist, wird dir vermutlich die Kinnlade auf die Tastatur klatschen. Dfjsdflsdpeok! Wenn du allerdings mit dem Werk dieser Band einigermaßen vertraut bist, läuft die Platte durchaus Gefahr, bei einer Gesamtrundfahrt ihre Passagiere aber dem dritten, vierten Stück zu langweilen. Die Songkonzepte jedenfalls variieren meist nur minimal, den Grundaufbau verfolgen sie beinahe sklavisch konzentriert. Bleibt nur zur hoffen, dass das nicht das Ende der Future Islands-Fahnenstange ist. Ansonsten wäre "The Far Field" sicherlich ein guter Schlusspunkt, bevor die Stimmung kippt.
2 Kommentare
Hat mich nach dem ersten Hören nicht gerade begeistert. Statt dem aktuellen Album kann man einfach auch nochmal den Vorgänger hören. Große Unterschiede seh ich da nicht (nur das etwa ein Überhit wie "Seasons" fehlt). Das wäre ja kein Problem, aber irgendwie "sättigt" mich der Vorgänger schon ausreichend.
Ich feier gerade das "Dfjsdflsdpeok", danke!