laut.de-Kritik
Original-Post Punk-Herzblut, abgefüllt in schicke Flakons.
Review von Michael Schuh"Wir müssen die Leute dazu bringen, dass ihnen die Kinnlade runterklappt. Wenn wir uns keine Autorität erarbeiten können, verdienen wir es auch nicht, anerkannt zu werden. Dass wir 23 Jahre älter sind, ist keine Entschuldigung", findet Dave Allen.
Hohe Anforderungen an den eigenen Anspruch, die der Go4-Bassist 2005 zum Bühnencomeback seiner wieder angesagten Post Punk-Band formulierte und die auch bezüglich des Studio-Comebacks nach 16 Jahren Bestand hat. Allein: Der Basser ist seit 2008 wieder draußen, Ur-Drummer Hugo Burnham schon seit 2006.
Die Gründe für den Zwist der einstmals ideologisch verbrüderten Viererbande sind nicht vollständig offen gelegt, dürften sich aber in der Songwriting-Dominanz von Sänger Jon King und Gitarrist Andy Gill finden. "Content" (das Nomen, nicht das Adjektiv) lässt den zahlreichen Line-Up-Nostalgikern dennoch wenig Raum.
Mit der musikalischen Strenge, die ihr Debütalbum "Entertainment!" zu einem Alltime-Favorite von Musikern wie Flea, Michael Stipe und Nick Zinner machte, rühren Gill und King eine Soundrezeptur an, die aus der Masse heutiger Gitarrenalben heraussticht. Ein bisschen Math Rock, ein bisschen Hendrix, aber doch vor allem: Gang Of Four.
Der Opener "She Said 'You Made A Thing Of Me'" ist ein heftig vibrierendes Stück Heavy Rock, das durch den Einsatz von Rückkopplungen, Halleffekten und den verschleppten Drums etwas Dub-Charakter aufweist. Gills Gitarre dominiert den Song, doch bereits hier ist das eingespielte Team mit den 'Neuen' Thomas McNiece (Bass) und Mark Heaney (Drums) offenkundig.
Hörte man hier nicht ohne Weiteres die mit kargem, mechanischem Soundbild zu Ruhm gekommenen Gang Of Four heraus, startet "You Don't Have To Be Mad" mit einem Funk-Lick, wie es nur Andy Gills Gitarre entspringen kann. Hier werden wieder diese Spielräume frei, die damals Songs wie "Ether" und "Natural's Not In It" zu Meisterwerken linken Post Punks machte. Auch King spuckt seine Texte mit altbekannter Abneigung heraus.
Etwa gegen die vermeintlich heilsbringende digitale Revolution ("You look good with no clothes / I take photos with my phone") oder, im Wissen um ihre frühere Nähe zu marxistischen Ideen naheliegender, gegen korrupte Banker ("You never pay for the farm / someone should ring the alarm (...) You can't get back what you bet").
Der Spagat zwischen Innovation und eigenem Vermächtnis gelingt ihnen nicht immer so perfekt wie in "I Party All The Time", dessen Gitarrenriff an "I Love A Man In Uniform" erinnert. "You'll Never Pay For The Farm" und "Do As I Say" verharren unentschlossen im synkopierten Gitarren- und Bassgewitter.
Im Gegenzug überrascht die melancholische Wärme in "A Fruitfly In The Beehive" und die Drone-Ballade "It Was Never Going To Turn Out Too Good", wobei man auf den albernen Vocoder gerne hätte verzichten können.
Wie ernst es Gill und Co. im Jahr 2011 mit ihrer Karriere (und deren Vermarktung) ist, belegt eine auf 500 Stück limitierte Metallbox, die einen Bonustrack, ein 40 Jahre Weltgeschichte behandelndes Kunstbuch (!) sowie Flakons mit verdünntem Blut der Mitglieder enthalten, was laut Gill erst nach "langwierigen Diskussionen mit der Gesundheitsbehörde" möglich war.
Eine Runde Original-Post Punk-Herzblut für 40 Euro: Bei der Gang Of Four geht es eben tatsächlich noch, siehe Albumtitel, um Inhalte. Etwas teurer und längst vergriffen: Die auf 20 Exemplare limitierte "Ultimate Content Can" inklusive Geruchstücher (Schweiß, Geld, Sex) und einer Live-Aufnahme des ersten Go4-Gigs von 1977 in einem von Gill verzierten Walkmen. That's Entertainment!
1 Kommentar
schade, dass hier keiner soviel diskutiert wie im lena thread. ^^
schön mal wieder was von der band zu hören und auch gut den post-punk oder wie man es nennen will "originalgetreuer" zu hören als interpol und konsorten.